Retail- und Private-Banking-Kunden haben auf die Coronakrise ganz unterschiedlich reagiert. Erstaunlicherweise blieb die grosse Panik aber aus. Warum eigentlich? Eine Einschätzung von Finanzprofessor Teodoro Cocca.

Sehr vermögende Schweizer Privatkunden haben auf die Corona-Krise bisher eher passiv reagiert. Darauf deuten die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Befragungsdaten des LGT Private Banking Reports 2020.

Fanden Portfolio-Anpassungen statt, dann erfolgten sie meist, um günstige Kurse zu nutzen und/oder gezielte Umschichtungen vorzunehmen. Aktienverkäufe zur Verlustbegrenzung oder Absicherungsstrategien mit Optionen wurden erstaunlicherweise höchst selten verfolgt.

Langfristige Folgen schwer einschätzbar

Mit ein Grund für den hohen Anteil weitgehend unveränderter Portfolios auf Ebene der Anlageklassen könnte sein, dass die Kurseinbrüche zwischen Mitte Februar (als die Aktienindizes noch Höchststände verzeichneten) und dem vorläufigen Tiefpunkt der Kurskorrektur Mitte März mit hoher Geschwindigkeit eintraten.

Viele Anleger könnten von der abrupten Kursreaktion derart überrascht worden sein, dass sie schlichtweg nicht frühzeitig reagieren konnten und dann bei sehr viel tieferen Kursen auf eine späte Reaktion verzichtet haben. Erschwert wurde eine zeitnahe Reaktion der Anleger sicherlich auch dadurch, dass die längerfristigen Folgewirkungen der Coronakrise nur schwierig einzuschätzen waren (und weiterhin sind).

Mehr Mut als Panik

Auch wenn die Anleger von den Ereignissen überrascht wurden, sind vermögende Privatanleger nicht in Panik geraten. Im Gegenteil, wenn sie reagiert haben, dann haben sie mehrheitlich günstige Zukäufe getätigt.

Vor dem Hintergrund der düsteren Zukunftsszenarien, die mit zunehmender Ausbreitung der Krise veröffentlicht wurden, erwiesen sich einige Private-Banking-Kunden sogar als durchaus mutige «Contrariens». Während des gesamten Zeitraums waren besonders jene Anleger aktiv, die in der Regel selbst über ihre Anlagen entscheiden und zu den Online-Tradern zu zählen sind.

Billige Zukäufe

Auch die kürzlich veröffentlichten Daten von Online-Brokern in der Schweiz und in den USA deuten darauf hin, dass vor allem Kunden, die man als Soloisten bezeichnen kann, die Coronakrise als Chance für billige Zukäufe genutzt haben – teilweise durchaus im grossen Stil.

Als Soloisten bezeichnet man Anleger, die Anlageentscheidungen völlig selbstständig treffen ohne dies mit einem Anlageberater abzusprechen und dies dann vor allem online umsetzen.

Vielbeachtete Studie

Vor diesem Hintergrund ist die zurzeit an den Märkten viel diskutierte These, dass vor allem die US-Retailanleger den starken Aktienrebound tragen, zu betrachten. Jüngst veröffentlichte Goldman Sachs eine vielbeachtete Studie, die einen Zusammenhang zwischen den beliebtesten Aktien unter den Kunden des US-Online-Brokers Robinhood und der Kursperformance von US-Aktien aufzeigte.

Bereits statistisch gut dokumentiert ist der Umstand, dass die Retail-Trading-Aktivität tatsächlich während der Corona-Zeit deutlich gestiegen ist. Während Corona hatten Retail-Investoren offensichtlich mehr Zeit, sich mit den eigenen Finanzen zu beschäftigen respektive gab es auch kaum Alternativen, als ein Online-Account zu nutzen.

Kontroverses Thema

Doch reichen diese eher anekdotischen Zahlen, um dem Retailsektor die gleiche Bedeutung auf die Kursentwicklung wie damals während der Internet-Blase zur Jahrtausendwende zuzumessen?

Eine statistische Korrelation muss nicht heissen, dass es eine Kausalität zwischen der erhöhten Retail-Aktivität und den Aktienkursen gibt. Inzwischen gibt es auch schon eine Untersuchung der britischen Barclays Bank zu den Aktienpositionen der Robinhood-Kunden und den Aktienrenditen dieser Titel, die zu einer genau gegensätzlichen Konklusion kommt. Auch die Finance-Literatur geht übrigens eher davon aus, dass Aktienrenditen Handelsvolumen anziehen und nicht umgekehrt, wobei das Thema in der Wissenschaft kontrovers ist.

Rationales Swiss Private Banking

Verlässt man die Welt der Soloisten und betrachtet die klassischen Beratungskunden, zeigt sich bei Anlegern, die im Regelfall die Anlageentscheidung zusammen mit dem Berater treffen – also dem klassischen Swiss Private Banking – eine Strategie der «ruhigen Hand». Sie scheinen während der Corona-Krise seltener kurzfristige Portfolioanpassungen getätigt zu haben und halten mit Überzeugung an der langfristigen Anlagestrategie fest.

Geht man von klassischen Anlagemustern der Unvernunft aus, so lässt sich schlussfolgern, dass sich die Private-Banking-Kundschaft während der Krise bisher erstaunlich vernünftig verhalten hat.

Schlimmer als die globale Finanzkrise?

Auch der direkte Vergleich zur Finanzkrise von 2008 zeigt eine gewisse Gelassenheit. Die Mehrheit hat keine Angst, dass die Corona-Krise einschneidender sein wird als die Finanzkrise von 2008. Nur ein sehr geringer Anteil der Befragten gibt an, während der (bisherigen) Corona-Krise Angst um das eigene Vermögen gehabt zu haben.

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im Nachgang der Finanzkrise von 2008 ein deutlich höherer Anteil angab, Ängste um das eigene Vermögen gehabt zu haben. Somit deckt sich dies – zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt – mit der Einschätzung, dass die Corona-Krise im Vergleich zur Finanzkrise von 2008 weniger einschneidend wird.

Dies ist durchaus erstaunlich vor dem Hintergrund der doch sehr massiven negativen Berichterstattung in den Medien und der häufigen Darstellung der Corona-Krise als schlimmste Krise seit den 1920er-Jahren.

Anleger, Berater und Ökonomen uneinig

Die «ruhige Hand» vieler Private-Banking-Kunden dürfte somit auf ihr Vertrauen in ihre langfristig festgelegte Anlagestrategie zurückzuführen sein – üblicherweise ein zentrales Element des Private Bankings. Die aktiveren Investoren haben sich während der Krise als «Contrariens» bewiesen und günstig Aktien gekauft.

Auch wenn die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise als massiv und langwierig eingestuft werden, scheinen Investoren in den allermeisten Fällen keine übertriebenen Ängste oder gar Panik zu haben. Das scheint sowohl Soloisten wie auch Beratungskunden zu vereinen. Dies kontrastiert ziemlich offensichtlich mit den düsteren Szenarien aus den volkswirtschaftlichen Abteilungen der Banken.

Die Front, also Kunden und Berater scheinen in den letzten Wochen optimistischer geblieben zu sein als manche Research-Abteilungen. Robinhood und das Swiss Private Banking finden sich – wohl für beide etwas überraschend - auf der gleichen (Markt-)Seite wieder. Zumindest für den Moment.


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig. Seit April 2011 ist er Mitglied des Verwaltungsrats der VP Bank in Vaduz und leitet dort den Strategie- und Digitalisierungsausschuss.

 

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.2%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.69%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.3%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.45%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.36%
pixel