Trotz ausgeprägter Rezessionsängste auf der anderen Seite des Atlantiks erklärte der CEO der amerikanisch-schweizerischen Handelskammer gegenüber finews.ch, warum die USA der wichtigste Markt sind, auf den sich Schweizer Unternehmen dieses Jahr konzentrieren sollten.

Martin Naville steht seit 18 Jahren an der Spitze der «Swiss American Chamber of Commerce» und hat sich die Förderung der schweizerisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen zur Aufgabe gemacht. Die «AmCham» befasst sich mit Themen, die den freien Fluss von Waren, Dienstleistungen, Menschen und Investitionen zwischen den beiden Ländern behindern.

Der Schweizer Finanzplatz ist derzeit «so sauber, wie er nur sein kann», sagte Naville in einem Interview mit finews.ch. Dies ist zum Teil der Rehabilitation des Bankensektors nach dem Steuerhinterziehungsstreit mit den US-Behörden zu verdanken.

Allerdings sei die Kritik an den Akteuren des Sektors «immer posthum», fügte er hinzu. Die jüngste Medienberichterstattung über Roman Abramowitsch, der zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine mindestens 700 Millionen Dollar bei der UBS angelegt hatte, ist ein Beispiel für eine Bank, die dafür kritisiert wird, dass sie Kunden betreut und an ihnen festhält, die einst seriös waren, inzwischen aber in Ungnade gefallen sind.

Wie die Medien jedoch auch im Fall Abramowitsch hervorgehoben haben, betrachtet die Schweizer Regierung den russischen Geschäftsmann bereits seit 2018 als Reputationsrisiko für die Schweiz.

Nicht die heutigen Masstäbe anlegen

«Eine Bank sollte, solange ein Kunde alle Anforderungen erfüllt, die Erlaubnis haben und sich sicher fühlen, einen Kunden aufzunehmen», sagte Naville und fügte hinzu, dass Banken und Regierungen sich an dem orientieren sollten, was zu der Zeit legal war, und nicht die heutigen Regeln auf Verfehlungen aus der Vergangenheit anwenden.

Auf diese Weise sollten sie auch die Herkunft des Vermögens eines einzelnen Kunden beurteilen. «Viele Familien sind aufgrund einer kolonialen Vergangenheit reich geworden, weil sie Dinge getan haben, die damals völlig legal waren», sagte er. Man könne vergangenes Verhalten nicht nach den heutigen Massstäben beurteilen.

Für Naville, der lieber in die Zukunft als in die Vergangenheit blickt, sollte das auch für Finanzinstitute gelten. Wenn eine Schweizer Bank Fakten verheimlicht, die sie den US-Behörden schon vor 10 oder 15 Jahren hätte melden müssen, dann verjährt das nicht und sollte entsprechend geahndet werden. «Wenn das nicht der Fall ist, sollten wir nach vorne schauen», sagte er.

Naville sieht noch einen anderen Grund dafür, dass der Finanzplatz Schweiz mit seiner politischen und finanziellen Sicherheit und Stabilität eine erhöhte Aufmerksamkeit geniesst. «Es liegt auf der Hand, dass wir immer mehr Investitionen anziehen werden, als es unserem normalen Anteil entspricht. Das kann zu einer gewissen Eifersucht führen», sagte er.

Widersprüchliche Imperative

Der Druck auf die Schweiz habe auch zunenommen, nachdem die EU-Sanktionen gegen Russland übernommen wurden. «Das macht es für die Schweiz umso schwieriger, in der Mitte zu stehen», sagte Naville und wies darauf hin, dass das Einfrieren von Geldern und deren Enteignung für andere Zwecke «nicht politischen Gründen dienen soll».

Die jüngste Debatte um die die Schweizer Neutralität sei «völlig irreführend». Seiner Meinung nach hat die Schweiz drei primäre Imperative: Neutral zu sein, zu den normativen Ländern mit Demokratien und Menschenrechten zu gehören und die Menschenrechtskonvention von Genf zu schützen. «Es wird immer wichtig sein, diese manchmal widersprüchlichen Imperative in Einklang zu bringen», sagte er.

Fantastischer US-Lauf

Ein Bereich, in dem Naville keine Ambivalenzen sieht, sind die Chancen, die sich für Schweizer Unternehmen für Geschäfte in den USA bieten. Diesen Firmen steht in diesem Jahr ein «fantastischer Lauf» bevor, sagte er.

Seine Prognose stützt sich auf das Wachstum der Exporte in die USA in den letzten 10 Jahren. Diese seien im Schnitt jährlich um 10 Prozent gewachsen und machen heute fast 20 Prozent aus. Im Jahr 2021 würden die US-Exporte sogar den ersten Platz einnehmen und «zum ersten Mal in der Geschichte die Exporte nach Deutschland übertreffen», sagte er.

Neben dem Vorteil einer langen Präsenz in den USA werden Schweizer Unternehmen, die in den Bereichen Infrastruktur, Industrie 4.0, nachhaltige Energie und Gesundheitswesen tätig sind, in den kommenden Jahren auch von massiven US-Subventionen profitieren, so Naville.

Und angesichts der schwierigen Beziehungen der Schweiz zur EU und der immer komplizierter werdenden Geschäfte mit China, «wo sonst als in den USA sollte die exportorientierte Schweiz relevantes Wachstum finden», fragte Naville.

«So gesehen sollte jeder Bundesrat drei- bis viermal im Jahr in die USA reisen», fügte er hinzu.

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