Marcel Schindler: «Kredit- und Aktienanalyse sind wie Yin und Yang»

Wie stark ist das Schweizer Erbgut bei Stepstone Group heute noch zu spüren? Die US-Gesellschaft gilt als eine der weltweit grössten Akteurinnen im Geschäft mit Private Markets, also Private Equity, Private Debt und Infrastrukturfinanzierungen. Die an der Nasdaq kotierte Gruppe verwaltete per 30. Juni 2025 723 Milliarden Dollar (199 Milliarden davon gelten als Assets under Management) und beschäftigt rund 1100 Mitarbeiter.

Vor bald zehn Jahren hat Stepstone die Swiss Capital Group übernommen. Diese Finanzboutique wiederum war 1998 nach der Schweizer Grossbankenfusion von ehemaligen SBG-Investmentbankern gegründet worden. Eine prägende Rolle hatte dabei Hans-Jörg Baumann inne.

Zürich ist Schwerpunkt geblieben

Marcel Schindler stiess 2004 als Chief Operating Officer zu Swiss Capital und wechselte dann in den Anlagebereich. Heute ist er CEO von Stepstone Private Debt (des von der neuen Mutter eigens für die bis dahin selbständige Schweizer Finanzboutique geschneiderten Mantels) und auch Länderchef Schweiz; Baumann ist weiterhin als Partner der Gesellschaft tätig.

Schindler führt ein Team von rund 160 Mitarbeitern, davon 60 in der alten Heimat Zürich, der Rest in Dublin, New York und London. «Für uns hat sich insbesondere die Expertise von Stepstone im Private-Equity-Bereich als wertvoll erwiesen, weil die Perspektive der Aktienanalyse die Kreditsicht ergänzt, wie Yin und Yang», hält er im Gespräch mit finews.ch im Sitz in Zürich-Seefeld fest.

Schon zur Zeit von Swiss Capital Group: Weg von Hedge Funds

«Wir hatten bei Swiss Capital viel Knowhow über Hedge Funds, Distressed Debt (notleidende Anleihen und Kredite) und hochverzinsliche Anleihen (High Yield). In der Finanzkrise 2008 entschieden wir uns, in Richtung Private Debt zu gehen, weg von Hedge-Funds-Anlagen und den entsprechenden Gebührenstrukturen», erinnert er sich. Den Begriff «Private Debt» habe es damals allerdings noch gar nicht gegeben (er kam erst 2012 auf), die entsprechenden Kreditstrategien aber sehr wohl, nämlich eben bei Hedge Funds und im Distressed-Segment.

Die Grundzüge des Private-Debt-Geschäftsmodells von Stepstone sind rasch erklärt. Institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Versicherungen, Family Offices usw. suchen in diesem Bereich für die ihnen anvertrauten Mittel nach Anlagemöglichkeiten. Stepstone findet diese – sei dies mit anderen Co-Investoren direkt für spezifische Projekte (Direct Lending), in Fonds von Private-Debt-Managern oder durch Käufe am Sekundärmarkt – und wählt dafür das passende Kleid (meist Evergreen oder Closed-end Funds).

Keine Kreditgeber, aber mehr als blosse Vermittler

Schindler erläutert: «Wir sind definitiv keine Kreditgeber wie Banken, aber doch mehr als nur Vermittler, weil wir an der Seite unserer Kunden ebenfalls investieren, was für gleichgerichtete Interessen sorgt.» Die Mandate sind diskretionär oder auf Advisory-Basis, Stepstone trifft somit die Entscheide bzw. ist nur beratend tätig.

Private Debt kann vom Risiko-Ertrags-Profil zwischen Anleihen und Aktien oszillieren. Tief nachrangige Strukturen (Mezzanine) ähneln Aktien, vorrangige und besicherte (Senior secured first lien) entsprechen Corporate Bonds. Stepstone ist überwiegend für Kunden tätig, die eine Ergänzung zu Bondanlagen suchen.

Variabel verzinst und höherer Renditeaufschlag für das Kreditrisiko

«Unsere Kunden schätzen, dass Private Debt variabel verzinst ist. Sie müssen dabei nicht wie mit Corporate Bonds neben dem Kreditrisiko auch noch ein Zinsveränderungsrisiko eingehen. Zudem ist für den Investor die Entschädigung für das Kreditrisiko, der Credit Spread, höher als am Bondmarkt», hält Schindler fest.

Das ist insbesondere in einer Zeit wichtig, in der die Spreads für Unternehmensanleihen allgemein sehr eng sind. «Die Ausfallquote liegt am High-Yield-Markt zwar schon länger unter dem historischen Referenzwert von 4 Prozent, aber das muss nicht so bleiben. Kommt es zu einer Stresssituation, kann das Polster bei Private Debt deutlich komfortabler sein.»

Komplexität- und Finder's Fee oder Liquiditätsprämie?

Doch weshalb unterscheidet sich der Renditeaufschlag so deutlich? Schindler begründet dieses Phänomen mit der Komplexität von Private Debt und der «Finder’s Fee», also einer Art «Vermittlungsgebühr», die Stepstone (wie auch andere Private-Debt-Häuser) zumindest teilweise den Investoren weiterreicht.

Spiegelt sich darin nicht einfach die Prämie für die fehlende Handelbarkeit von Private Debt? Schindler relativiert: «Wenn es darauf ankommt, in Stresssituationen, versiegt auch die Liquidität am Corporate-Bond-Markt oft. Mitunter ist sogar unser Sekundärmarkt liquider; 2022 konnten wir beispielsweise ein grosses Direct-Lending-Portfolio mit einem gegenüber dem High-Yield-Markt viel kleineren Abschlag veräussern.» Manchmal gaukle auch der bei Anleihen verwendete Mark-to-Market-Ansatz eine falsche Sicherheit vor, weil die Liquidität effektiv sehr dünn sei.

Private-Debt-Manager kalkulieren vorsichtig

Gleichwohl bewertet auch Stepstone die Darlehen. Die Datenbasis umfasst insgesamt 30’000 Positionen, 1'800 davon werden heute permanent beobachtet. «Unsere Zahlen zeigen, dass die Private-Debt-Manager die Rückstellungen für Wertberichtigungen historisch betrachtet doppelt so hoch veranschlagen, wie die tatsächlichen Verluste ausfallen», kommentiert Schindler. Das lasse auf eine insgesamt vorsichtige Einschätzung der Risiken schliessen.

Gemäss Schindlers Rechnung müsste die Ausfallquote auf über 12 Prozent steigen, damit die Rendite von Private Debt negativ wird; dabei wird eine im historischen Vergleich tiefe Wiedergewinnungsrate (Recovery Rate) von 55 Prozent unterstellt.

«Habe das Wort Alpha vor 20 Jahren aus meinen Vokabular gestrichen»

Naheliegend wäre es nun, dass Stepstone damit wirbt, die besten Kredite aus dem Universum herauszupicken und so für die Investoren Mehrwert zu schaffen. Genau das ist nicht der Fall. Schindler: «Schon seit Jahrzehnten höre ich von dieser Geschäftsidee, aber überzeugt hat mich noch keiner davon: Im Aktienbereich wird man für das Eingehen von Konzentrationsrisiken möglicherweise belohnt, weil das Aufwärtspotenzial unbegrenzt ist. Das ist in Bonds und auch in Private Debt völlig anders: Hier ist das Aufwärtspotenzial eng limitiert, das Augenmerk muss darauf gerichtet sein, Ausfälle zu vermeiden.»

Ein einziger fauler Apfel kann die gesamte Ernte empfindlich schmälern. Oder wie es Schindler ausdrückt: «Ich habe das Wort Alpha schon vor 20 Jahren aus meinem Vokabular gestrichen, weil jeder Fehler macht.» Die Konsequenz: Stepstone strebt jeweils eine möglichst breite Diversifikation an, mit mehreren hundert Einzelpositionen.

Marktwachstum zulasten des klassischen Kreditgeschäfts

«Nur dann kommen die Vorteile der Anlageklasse voll zur Geltung. Sie wirft regelmässige Erträge wie Obligationen ab, die aber potenziell höher liegen. Unser Anspruch ist es, den Investoren einen möglichst kosteneffizienten Zugang dazu zu ermöglichen.» Und auch die obige Break-Even-Rechnung gehe nur dann auf, wenn das Portfolio breit diversifiziert ist.

Private Debt ist aber in den letzten Jahren nicht nur für Anleger relevant geworden. Wenn sich grosse Unternehmen heute finanzieren wollen, prüfen sie dafür verschiedene Varianten, neben dem Anleihenmarkt und (syndizierten) Bankkrediten auch Private Debt. «Die Banken haben schon lange erkannt, dass ihr klassischer Kreditmarkt nicht zuletzt wegen der Regulierung schrumpft», hält Schindler fest. «In den USA ist die Disintermediation schon weit vorangeschritten, Unternehmen beschaffen sich nur noch 12 Prozent des Fremdkapitals über Bankkredite. In Europa beträgt der Anteil 40 Prozent, Asien ist hingegen mit über 90 Prozent bankendominiert.»

Weshalb Jamie Dimon syndizierte Loans liebt 

Die Banken reagieren darauf, indem sie strategischen Kooperationen mit Private-Debt-Häusern abschliessen und das risikoarme Kommissionsgeschäft forcieren. «J.P.-Morgan-CEO Jamie Dimon kratzt es nicht, wenn ein US-Unternehmen 100 Millionen Dollar über Private Debt statt über einen Kredit bei seiner Bank aufnimmt. Wenn er aber im syndizierten Loan-Bereich Volumen verliert, schmerzt ihn das viel mehr, weil sein Institut so auf Kommissionen verzichten muss», bemerkt Schindler.

Bald zehn Jahre, nachdem sich Stepstone die Swiss Capital Group einverleibt hat, scheint sich das Schweizer Erbgut darin nicht nur erhalten, sondern auch entfaltet zu haben.