Wie Swiss Re seine Talentstrategie neu denkt

Ob «Build before Buy», KI im Recruiting oder flexible Modelle für Berufsrückkehrer: Swiss Re verfolgt eine konsequent vorausschauende Talentstrategie. Chief HR Officer Cathy Desquesses erklärt, wie der zweitgrösste Rückversicherer der Welt auf Daten, Inklusion und unkonventionelle Ideen setzt, um den globalen Fachkräftemangel zu meistern.


Cathy Desquesses, Swiss Re stellt allein in der Schweiz rund 250 Personen pro Jahr ein. Was ist Ihre Strategie?

Unsere Talentstrategie basiert auf dem Prinzip: «Build before Buy». Wir investieren viel in die interne Entwicklung unserer Talente. Karriereplanung und Upskilling sind essenziell. Eine gezielte Nachfolgeplanung sowie eine gutgefüllte Pipeline zählen ebenfalls dazu. Denn etwa 20 Prozent unserer Mitarbeiter und 21 Prozent unserer Führungskräfte gehen allein in den kommenden fünf bis acht Jahren in Pension. Wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber sein für bestehende und neue Talente. 

Wie gehen Sie konkret vor? 

Wir gleichen unsere künftige Geschäftsstrategie mit unserem Talentpool ab und können so allfällige Skill-Gaps auf Drei- bis Fünfjahressicht identifizieren.

«Im Ausland müssen wir noch mehr auf die Faszination des Rückversicherungsgeschäfts aufmerksam machen.»

Entsprechend richten wir unsere Personalstrategie aus – in enger Abstimmung mit dem CEO und dem Management der einzelnen Business Units. 

In der Schweiz ist Swiss Re ein starker Brand, da werden Sie kaum Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben. Wie sieht es international aus? 

Im Ausland müssen wir noch mehr auf die Faszination des Rückversicherungsgeschäfts und auf unsere Kernaufgabe – die Welt widerstandsfähiger zu machen – aufmerksam machen. Im Wettbewerb um IT-Talente konkurrieren wir mit sehr lauten Tech-Giganten. Wir punkten mit unserem Purpose und mit der Vielfalt an Karrieremöglichkeiten. Bei Swiss Re arbeiten Menschen aus den unterschiedlichsten Industrien und Wissenschaften wie Mediziner, Klimatologen oder KI-Spezialisten. Das ist vielen gar nicht bewusst.  

Was tun Sie konkret, um junge Talente zu gewinnen?

Wir gehen gezielt an Hochschulen – aber nicht mit HR, sondern mit unseren Fachkräften. Alumni sprechen Alumni an. Darüber hinaus haben wir ein etabliertes Graduate-Programm mit Rotationen, Trainings und Lernplattformen. Und wir bieten Ausbildungsplätze für den Nachwuchs und neue Programme, etwa für Berufsrückkehrer.

«Wir bieten Berufsrückkehrern gezielte Unterstützung an.»

Allein in der Schweiz bilden wir 21 Lehrlinge in verschiedenen Berufen pro Jahr aus. 

Wie funktioniert das mit den Berufsrückkehrern?

Unser «Career Returnees @ Swiss Re»-Programm richtet sich an Menschen, die für längere Zeit aus dem Berufsleben raus waren, weil sie beispielsweise eine Familie gegründet haben. Sie besitzen viel Fachwissen, aber trauen sich oft nicht, sich zu bewerben. Da liegt sehr viel Potenzial brach, das wir heben wollen. Wir bieten Berufsrückkehrern gezielte Unterstützung an und erhalten dafür grosses Fachwissen gepaart mit Begeisterung und Loyalität.

Gibt es weitere solche Programme? 

Ja. Unser «58+ Flex»-Modell etwa entstand aus der Initiative eines Pensionierten, der zurückkehren wollte – in Teilzeit, für den Wissenstransfer. Anspruchsberechtigte Mitarbeitende ab 58 Jahren können ihr Arbeitspensum um bis zu 50 Prozent reduzieren, während sich die Beiträge an die Pensionskasse weiterhin am ursprünglichen Gehalt bemessen. Das Modell ist fester Bestandteil unserer Strategie. 

Wie wichtig ist Inklusion für Swiss Re?

Ich gebe Ihnen zwei Zahlen als Antwort: Bei Swiss Re arbeiten rund 120 Nationalitäten und fünf Generationen. Inklusion ist Teil unserer Firmenkultur, und daran wird sich auch nichts ändern. Denn ohne Vielfalt schneiden sich Firmen selbst vom Talentpool ab. Und das ist keine gute Idee, wenn aufgrund der demographischen Entwicklung der Kampf um Talente noch härter wird. 

Wie verändern Technologie und KI Ihre Arbeit? 

KI verändert viele Aufgaben fundamental. Bestimmte Fähigkeiten sind nicht mehr gefragt. Deshalb ist Upskilling so entscheidend und wird von Top-Talenten auch erwartet. Wir schulen unsere Leute, wie sie KI sinnvoll nutzen. Ein schlechter Prompt ergibt schlechte Resultate – ganz einfach. Die Maschine ist nur so gut wie der Mensch, der sie steuert. Wir selbst nutzen KI im Recruiting – etwa für das Matching von Lebensläufen. Die Ergebnisse werden dann von Menschen geprüft. Und sie entscheiden am Ende über die Kandidatenauswahl, nicht die Algorithmen.  

«Kultur entsteht nicht vor dem Bildschirm. Wir erwarten physische Präsenz.»

Wird KI HR ersetzen?

Nein. Sie wird repetitive Aufgaben übernehmen – wie das Screening – und unseren Experten den Raum geben, sich auf wertschöpfende Themen zu konzentrieren. Es geht nicht um weniger Menschen, sondern um sinnvollere Arbeit. Die Steuerung bleibt beim Menschen. 

Und die Homeoffice-Frage? Ist das Thema für Swiss Re erledigt? 

Im Gegenteil, remote zu arbeiten, ist bei uns schon lange möglich. Swiss Re war bereits vor der Pandemie hybrid unterwegs – wir nennen das «Own the way you work». Aber unser Hauptarbeitsplatz ist das Büro. Kultur entsteht nicht vor dem Bildschirm. Wir erwarten physische Präsenz. Gerade für Neueinsteiger ist sie wichtig, um sie gut einzubinden und ihnen ein Teamgefühl zu geben.


Cathy Desquesses ist Group Chief Human Resources Officer & Head Corporate Services bei Swiss Re.