Die Finanzbranche hat in der Pandemie rasch und umfassend auf Fernarbeit umgestellt. Der Erfolg mit dem Homeoffice könnte Banken und Versicherer dazu bringen, sich grundsätzliche Gedanken übers teure Schweizer Personal zu machen.

«Virtual Workforce» heisst das neue Buzzwort, das in Beraterkreisen und im Management von Finanzfirmen die Runde macht. Gemeint ist ein Arbeitsmodell, bei dem sich Arbeitnehmer und Führungskräfte hauptsächlich über den digitalen Kanal austauschen – eine Entgrenzung, wie es sie wohl nie zuvor in der Arbeitswelt gegeben hat.

Finanzfirmen wären dazu prädestiniert, wie die Erfahrungen aus der Pandemie zeigen. In Rekordzeit und ohne grosse Pannen schickten Schweizer Banken und Versicherer ihre Angestellten ins Homeoffice. «Während des Shutdown waren wir selber überrascht, wie schnell sich die neue Arbeitsweise etablierte», berichtet Stephan Surber, Senior Partner beim Kaderstellen-Vermittler Page Executive in Zürich.

Tatsächlich bekunden einige Finanzfirmen seither Mühe, ihre Mitarbeitenden zurück ins Büro zu holen, während andere das Homeoffice fix in die Arbeitsroutine einplanen.

Es spielt keine Rolle mehr, wo die Arbeitskräfte sind

Damit ist die Saat für einen neuen Trend gelegt. «Mit der rasanten Ausbreitung von Remote-Arbeitsmodellen stellt sich für Schweizer Banken die Frage, ob sie zu einer Form der virtuellen Arbeit übergehen, bei der es keine Rolle mehr spielt, wo die Arbeitskräfte stationiert sind», findet Tanguy Dulac, Director im Bereich Human Capital bei der Beratungsfirma Deloitte Schweiz. Dulac zählt insbesondere Genfer Privatbanken zu seiner Kundschaft.

Die virtuelle Arbeitskraft, sagt Dulac, könnte eine Option für hiesige Geldhäuser sein. Dies allerdings nur, wenn die Vorbedingungen dafür stimmen.

Erfahrungen in Indien und Osteuropa

Die Option birgt Sprengkraft. Wenn es keine Rolle mehr spielt, wo sich die Expertise für eine bestimmte Aufgabe gerade physisch aufhält, muss sie nicht mehr zwingend in der Schweiz angesiedelt sein. Im so genannten Offshoring haben hiesige Finanzfirmen längst gelernt, dass sie die Talente dort suchen müssen, wo sie zu finden sind – bekanntes Beispiel für IT-Knowhow sind etwa die Destinationen Indien oder Osteuropa. Dass das Lohnniveau dort meist wesentlich tiefer als hierzuland liegt, ist ein angenehmer Nebeneffekt.

Für die Finanzbranche ist das relevant. Dass die Schweiz der grösste Offshore-Finanzplatz der Welt ist, bedeutet eben auch, dass die meisten Erträge in Fremdwährungen anfallen, das Gros der Kosten aber in Franken. Die Verlockung ist da, selbst hochqualifizierte Stellen via Remote-Working im Ausland anzusiedeln. Dies könnte in einem weiteren Schritt die hohen Schweizer Löhne unter Druck bringen.

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