Mit dem Homeoffice-Zwang bewegen wir uns noch weniger bei der Arbeit. Doch die Tage des Rumsitzens sind wohl gezählt.

Sitzen ist des Teufels, davor warnen Studien schon seit langem. Gerne zitiert wird etwa der Befund, dass nach einer Stunde im Sessel die Produktion von Enzymen, die bei der Fettverbrennung helfen, um 90 Prozent sinkt. Wer regelmässig und noch länger sitzt, riskiert Herzkrankheit und Diabetes. Von der Belastung der Bandscheiben und der Schwächung der Rumpf-Rückenmuskulatur ganz zu schweigen.

Lifestyle-Bonus

In der Corona-Krise bewegen sich beim Arbeiten Sitzende erst recht in der Gefahrenzone. Wegen des behördlich verordneten Homeoffices schrumpft der Bewegungsradius empfindlich, während die Arbeitsstunden tendenziell zunehmen, und die Trennlinie zwischen Arbeit und Privatleben noch mehr verwischt. Im Finanzwesen ist das Problem bereits akut: Investmentbanker haben ihrem Unmut über die neuen Arbeitsbedingungen laut Luft gemacht – und wurden gehört.

Die Grossbank Credit Suisse (CS) zahlt deswegen nun einen etwa so genannten «Lifestyle-Bonus» an die unteren Ränge im Firmenkunden-Geschäft. Dieser ist explizit dazu gedacht, das eigene Wohlbefinden bei der Arbeit zu steigern. Ob die solcherart beglückten CS-Banker nun Stehpulte en masse kaufen, bleibe dahingestellt. Doch solches Sponsoring macht auch anderorts im Finanzwesen Schule.

Ein Fall fürs Wall Street Journal

So hat der Versicherer Axa seinen Schweizer Angestellten eine jährliche Pauschale von 200 Franken in Aussicht gestellt, mit der sie Aufwendungen bei der Arbeit zuhause begleichen können. Egal, ob sie das Homeoffice nutzen oder nicht.

Die schädlichen Auswirkungen des Sitzens werden mittlerweile auch in den Spalten der Banker-Bibel «Wall Street Journal» (Artikel bezahlpflichtig) diskutiert. Dort rät die Ratgeber-Redaktion zu Tricks, um vom Sessel hochzukommen und sich selber zu mehr Bewegung zu überlisten. So solle man für die Arbeit und die Video-Calls jeweils andere Zimmer benützen; zudem sei jeweils jene Toilette zu nutzen, die am weitesten vom Pult entfernt ist.

Was natürlich dann besonders effektiv ist, wenn man wie gewisse Investmentbanker über ein entsprechende Anwesen verfügt.

Wie im 19. Jahrhundert

Das Stehpult als Gegenmittel der Wahl ist dabei nicht unumstritten, wie finews.ch in früheren Beiträgen aufzeigte. Fakt ist, das die Finanzbranche die Förderung der Gesundheit am Arbeitsplatz bereits aktiv bei der Rekrutierung und bei der Retention von Arbeitskräften in die Waagschale wirft. Banken und Versicherer werden dies künftig eher noch verstärkt tun müssen, um im Wettbewerb um die besten Talente gegen andere Branchen zu bestehen. Jene, die im Sitzen eine ebenso verpönte wie ungesunde Aktivität wie das Rauchen erkennen, erhalten deshalb Oberwasser.

Sinnigerweise sähen die Post-Corona-Büros mit lauter aufrechtem Personal wieder so aus, wie es während des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts üblich war. Damals stand alles am Arbeitsplatz – galt doch Sitzen als Zeichen von Faulheit und Nachlässigkeit.