Fast 20 Jahre hat der heutige finews.asia-Redaktor Andrew Isbester bei Grossbanken im Risikomanagement und in der Compliance gearbeitet. Das Problem sei nicht das Versagen dieser Abteilungen, sondern der Interessenskonflikt zum Investmentbanking und der Vermögensverwaltung, schreibt er.

Ich lehne mich hier mal weit aus dem Fenster: Das Schlamassel der Credit Suisse (CS) rund um die Firma Archegos Capital Management ist eigentlich nicht auf ein Versagen des Risikomanagements zurückzuführen, wie manche Medien kolportieren – zumindest auf den ersten Blick.

Obwohl die Verluste wahrscheinlich von der Investmentbank getragen werden, kann ich mir nicht eine Minute lang vorstellen, dass die Vermögensverwaltung der CS nicht irgendeine Form von individueller Bankbeziehung mit Archegos-Gründer Bill Hwang hatte. Und wenn nicht, dann können Sie ziemlich sicher sein, dass die CS-Kundenberater keine Gelegenheit ausgelassen haben, um sich bei ihm, seinen Verwandten und anderen Personen von Archegos einzuschmeicheln – zumal es sich da im Wesentlichen um ein Family Office handelte.

Bankgeschäfte mit Milliardären

Natürlich kann eine Bank die strengste Risikomanagement-Governance und die besten Kontrollsysteme der Welt haben. Das ändert nichts an den massiven Interessenskonflikten, die entstehen, wenn man mit Milliardären Bankgeschäfte abwickelt und gleichzeitig in deren Auftrag noch komplexe Kapitalmarkt-Transaktionen für deren Firmen ausführt.

Insofern lohnt es sich, einen Blick auf die Angaben zum Risikomanagement der Credit Suisse in ihrem Geschäftsbericht 2020 zu werfen. Es sind Informationen, die alle Grossbanken bezüglich Absicherung, Aufsicht und Kultur angeben, einschliesslich eines ordentlichen Organigramms, das die wichtigsten Führungsgremien und Ausschüsse illustriert.

Nichts Auffälliges

Im Fall der CS gibt es nichts, was auf den ersten Blick deren Darstellung gegenüber anderen Banken unterscheiden würde. Es findet sich jedoch ein Komitee, das einen ziemlich einzigartigen Namen hat. Es ist das Position & Client Risk (PCR) Komitee, das dem Capital Allocation & Risk Management Committee (CARMC) untergeordnet ist.

Nun nehmen wir mal an, dass der Fall Archegos in ebendiesem Komitee oder in einem anderen Gremium der Risikokomitees in den vergangenen Monaten diskutiert wurde. Können Sie sich dann vorstellen, wie es für einen durchschnittlichen Risikomanagement-Spezialisten war, dort dabei gewesen zu sein?

Ein kleiner Disclaimer

Bevor ich nun weiterfahre, hier noch ein kleiner Disclaimer: Ich habe bei zweieinhalb Banken (die eine wurde gerade abgewickelt) in verschiedenen Bereichen des Risikos und der Compliance gearbeitet und habe an wahrscheinlich Hunderten von solchen Sitzungen als Protokollführer oder Komitee-Mitglied von Risikoausschüssen teilgenommen.

Da sitzt man also da, egal wie hochrangig man ist. Man ist sich, soweit das geht, der Risiken bewusst, welche die Bank eingeht, und man ist auch gut informiert, zögert aber zumeist, etwas zu sagen, weil man typischerweise dann wie fehl am Platz wirkt. Denn die Risikoabteilung ist, wie es immer heisst, für die Einhaltung der Richtlinien und Rahmenbedingungen verantwortlich, nicht aber für die Risiken selber.

Sehr ermüdend

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich in den vergangenen zehn Jahren von anderen Risikomanagern gehört habe, dass sie nicht für das Risiko verantwortlich seien, sondern das Unternehmen. Das ist für alle Beteiligten an solchen Sitzungen immer sehr ermüdend, selbst für die, die das jeweils sagen.

Und wenn ein Risikomanager dann doch etwas sagt, ist es oft nicht besonders gut formuliert. Warum? Weil er alles, was er in Bezug auf den jeweiligen Kunden oder dessen Geschäft weiss, bloss auf abstrakten Daten, E-Mails und im besten Fall auf ein paar informellen Gesprächen beruht.

Mit den Milliardärskunden zum Lunch

Die Besprechung beginnt also. Zumeist sitzt der Risikomanager alleine seinen Arbeitskollegen aus dem Investmentbanking, Wealth Management und anderen, spezialisierten Bereichen gegenüber, weil seine eigene Abteilung damit unterstreichen möchte, wie straff sie organisiert ist und alles unter Kontrolle hat.

Der Risikomanager sitzt dann den Top-Shots aus der Bank gegenüber, die wiederum diese Milliardärskunden wahrscheinlich schon ein paar Mal getroffen haben, auf einen Drink oder bei einem Lunch, und damit gleich zu verstehen geben, dass sie die Verhältnisse – und allfälligen Risiken – bestens kennen.

Der weitere Verlauf der Sitzung ist absehbar: Alles was der Risikomanager vorbringt, wird von den Bankerkollegen abgeschmettert – zu Gunsten eines lukrativen Geschäfts. Die allerbesten Kundenberater machen das so, dass sich der Risikomanager mit der Zeit so richtig blöd und überflüssig vorkommt. Und wenn das Quorum eine einfache Mehrheit ist, dann kann der Risikomanager sicher sein, dass alles, was er vorbringt, überstimmt wird.

Den Regulatoren mit Würde begegnen können

Das Einzige, was der Risikomanager tun kann ist, dafür zu sorgen, dass ein gut formulierter Kommentar oder eine Frage im Sitzungsprotokoll genau festgehalten wird. So kann er sicherstellen, dass er später zumindest mit einer Spur von Würde den Regulatoren gegenübersitzen kann.


Andrew Isbester, ein schweizerisch-britischer Doppelbürger, ist Editor-at-large von finews.asia und finews.com. Er lebt seit zwölf Jahren in Hongkong. Er verbrachte seine Jugend in verschiedenen Ländern wie Argentinien, Brasilien, den USA, Belgien und Schottland, bevor er in den 1990er- und frühen 2000er-Jahre in die Schweiz zurückkehrte, wo er als Korrespondent und später als Büroleiter der internationalen Nachrichtenagentur «AFX News» arbeitete, die Teil der «Agence France Presse» (AFP) und der «Financial Times» war. Danach war er in Zürich und Hongkong für mehrere Grossbanken tätig, bevor er seine Tätigkeit als Journalist wieder aufnahm.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
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