Bei der Mikrosteuer wäre dies viel weniger der Fall als bei der Mehrwertsteuer. Die AHV könnte mit vielleicht 0,1 Prozent auf sichere Beine gestellt werden. Ohne bürokratischen Aufwand. Die Vertreter der KMU klagen immer über die Bürokratie mit der Mehrwertsteuer und der AHV-Abrechnung.

Bei einer Umlegung eines Steuersystems gibt es immer Gewinner und Verlierer. Welches sind die Verlierer der Mikrosteuer?

Eine kleine Minderheit – Banken, die Hochfrequenzhandel betreiben, vor allem Grossbanken, die Schweizer Börsenbetreiberin SIX. Kleinere Banken hingegen könnten profitieren. Das klassische Retailgeschäft ist nicht betroffen.

«Wir könnten zeigen, dass wir zwar ein kleines Land sind, aber kluge Ideen haben»

Ansonsten werden rund 99 Prozent der Haushalte und 99 Prozent der Unternehmen besser gestellt: weniger Steuern, mehr Transparenz, weniger Bürokratie. Klar, die Progression bleibt: für sehr reiche Familien mit einem aktiv bewirtschafteten Aktienportfolio zum Beispiel. Für ihren Handel mit Aktien und Anleihen werden sie mehr Mikrosteuer bezahlen müssen. Oder für Handelsgesellschaften wie Rohstoffhändler, die mit enormem Trading-Volumen arbeiten.

Die Grossbanken empfinden die Mikrosteuer als Angriff auf den Finanzplatz.

Das werden sie sagen, ja. Ich entgegne darauf: Was braucht der Finanzplatz vor allem? Transparenz. Wir hatten so viele Skandale, jetzt müssen wir auf die Bankenwelt und vor allem auf den guten Ruf achten. Zudem: Weniger Bürokratie ist gut, wenn man proaktiv sein möchte. Bis jetzt haben wir immer darauf gewartet, was Brüssel und Washington uns sagen. Wir behaupteten einst, das Bankgeheimnis sei in Stein gemeisselt. Jetzt ist es weg.

Hier könnten wir einmal zeigen, dass wir zwar ein kleines Land sind, aber kluge Ideen haben. Die Idee ist weder links noch rechts, sie ist schlicht intelligent.

Was passiert, wenn die Grossbanken wegen der Mikrosteuer ihre Tätigkeit ins Ausland verlagern?

Dies wäre eine sehr grosse Entscheidung: aus der Schweiz wegziehen, nur um 0,1 Prozent Steuern zu vermeiden? Es gibt viele Vorteile fürs Banking in der Schweiz: Optimale Ausbildung, optimale Infrastruktur, die Bundessteuer wird abgeschafft – die Grossbanken werden also entscheiden müssen.

Für kleinere Banken lohnt es sich wahrscheinlich nicht, wegzuziehen. Sie werden dank der Ablieferung der Abgabe an den Bund einen Gewinn erzielen und selber sind sie nicht im Hochfrequenzhandel tätig. Warum also sollten sie den Prozess umgehen?

Wie würden die Grossbanken die Steuer umgehen? Würden sie Teile ihrer Tätigkeit ins Ausland verschieben?

Im Initiativtext steht, dass die Konzerne abgabepflichtig sind. Die UBS London gehört ebenso dazu wie die Credit Suisse in New York. Wenn die UBS London einen Handel mit der Credit Suisse Frankfurt abwickelt, ist dieser Mikrosteuer-pflichtig. Wenn aber Grossbritannien auch eine Mikrosteuer erheben würde, müsste die UBS nur einmal eine Steuer bezahlen – an Grossbritannien.

Aber das Risiko bei einer Verlagerung für das Steuersubstrat ist gleichwohl bedeutend?

Ich gebe Ihnen ein extremes Beispiel: Sagen wir einmal, dass 80 Prozent der elektronischen Transaktionen verschwinden. Wir brauchen aber 47 Milliarden Franken pro Jahr, um die drei erwähnten Steuern abschaffen zu können. Mit 0,1 Prozent erzielen wir plötzlich nur noch 20 Milliarden Franken. Da müssen wir schlicht 0,25 Prozent einziehen. Das bleibt trotzdem eine Mikrosteuer.

«Die Nationalbank wird bestimmt nicht nach Singapur gehen»

Zudem gibt es viele Transaktionen, die hier bleiben werden. Die Schweizerische Nationalbank oder die SIX werden bestimmt nicht nach Singapur abwandern.

Was passiert in einer wirtschaftlichen Krisenlage?

Es würde alles noch besser werden! Die Unternehmen bezahlen ja viel weniger Steuern. Und wir haben genug Spielraum nach oben. Vergessen Sie nicht, eine Industriefirma bezahlt keine Bundessteuer und keine Mehrwertsteuer mehr.

Wieviel eine Firma bezahlen muss, hängt von ihrem Transaktionsvolumen ab. Für die meisten Industriezweige wird die Bilanz positiv sein. Besonders die Abschaffung der Mehrwertsteuer ist ein grosser Vorteil.

Was ist der Unterschied zur sogenannten Tobin-Tax?

Es gibt zwei Hauptunterschiede. Erstens handelt es sich um alle elektronischen Transaktionen, also nicht nur um diejenigen im Finanzbereich. Deshalb ist das Steuersubstrat auch viel grösser. Zweitens ist es nicht unser Ziel, eine zusätzliche Steuer einzuführen – davon haben wir ja schon genug. Unser Ziel ist es, andere Steuern zuerst zu reduzieren und dann abzuschaffen. Das ist viel ehrgeiziger.

Sollten wir nicht mit anderen Staaten zusammen eine Steuerpolitik verfolgen?

Wenn wir proaktiv bleiben, haben wir einen «first-mover»-Vorteil. Unternehmer in Deutschland oder Frankreich werden denken, dass die Schweiz noch stabiler wird als zuvor, noch vorteilhafter und transparenter ist und noch weniger Bürokratie hat: Sie werden sich sagen, wir möchten unbedingt in der Schweiz arbeiten.

Haben Sie Unterstützung zugesichert erhalten von politischen Parteien?

Wir sprechen natürlich mit allen. Vor zwei Jahren wurde ich beispielsweise von der Finanzkommission des Nationalrates eingeladen, um die Mikrosteuer vorzustellen. In allen Parteien hatte es Leute, die sehr interessiert waren an unserer Idee und solche, die allergisch darauf reagiert haben. Die Initiative ist eben nicht links oder rechts.

«Wir müssen in der Lage sein, komplex zu denken, aber einfach zu sprechen»

Aber wenn morgen Parteien uns unterstützen wollen, sind sie natürlich willkommen. Aber es wird nicht die Initiative einer einzelnen Partei sein. Wir wollen nicht in eine linke oder rechte Ecke gedrängt werden.

Eine Idee, die von Akademikern geboren wird, aber von der breiten Bevölkerung unterstützt werden soll, braucht gute Kommunikation. Was ist Ihr Plan?

Wir müssen in der Lage sein, komplex zu denken, aber einfach zu sprechen. Wir haben eine Seite Text nach Bern geschickt. Der Steuercode der USA umfasst ungefähr 75'000 Seiten. Man braucht also nicht Doktor der Rechtswissenschaft oder der Wirtschaft zu sein, um unseren Initiativtext zu begreifen.

KMU-Vertreter werden schnell verstehen, dass die Mikrosteuer für sie von Vorteil wäre. Familien genauso.

Der Initiativtext steht. Was sind Ihre nächsten Schritte?

Das Wichtige ist das Budget. Da wir keine Partei hinter uns wissen, haben wir ihre finanzielle Unterstützung auch nicht. Jetzt werden wir sehen, ob wir genügend Geld zusammenbringen, um eine Kampagne lancieren zu können. Wir hoffen, dass Unternehmen, KMUs, Parteien oder Gewerkschaften mit uns arbeiten werden.

Denken Sie, dass die Bevölkerung immer noch die Finanzkrise im Hinterkopf hat und deshalb für Ihre Idee empfänglich ist?

Klar. Der Ursprung der Finanzkrise waren unter anderem zu viele dubiose Geschäfte und intransparente Transaktionen – wir müssen Licht ins dieses Dunkel bringen. Die Mikrosteuer wird im Minimum eine interessante Diskussion erzeugen und dies können sie nur in der Schweiz tun. Im Ausland ist das nicht möglich.

Wir haben den Vorteil, ausserhalb der EU über dieses Thema sprechen zu können. Wir haben viel mehr politischen Spielraum als innerhalb der EU. Das Beispiel ist die Finanzkommission in Bern: Sie hat mich kontaktiert, um mit mir darüber zu diskutieren – im Ausland wäre dies eher unrealistisch. Diese positive Geisteshaltung spricht für unsere Demokratie!

Wann beginnen Sie, Unterschriften zu sammeln?

Es fehlt uns nur noch die letzte Bedingung für die Lancierung, nämlich Geld. Falls wir schon bald ein Budget erstellen können, beginnen wir im November mit der Sammlung der Unterschriften, also nach den Nationalratswahlen.


Marc Chesney, 60, ist Ökonomieprofessor und seit 2003 Leiter des Instituts für Banking und Finance der Universität Zürich. Er hat in Paris und Genf Mathematik und Ökonometrie studiert. Er ist Autor von mehreren Büchern. Sein neuestes Werk heisst «A Permanent Crisis», das 2018 beim Palgrave Macmillan Verlag erschien. Chesney ist Teil eines fünfköpfigen Initiativkommitees für die Einführung einer Mikrosteuer. Seine Mitstreiter sind Felix Bolliger (Zürcher Vermögensverwalter und Erfinder der Idee), Oswald Sigg (ehemaliger Bundesratssprecher und Vize-Kanzler der Eidgenossenschaft), Anton Gunzinger (ETH-Professor und Verwaltungsratspräsident des Unternehmens Super Computing Systems) und Jacob Zgraggen (Rechtsanwalt). 

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