Dass die AHV-Renten jederzeit pünktlich überwiesen werden, liegt unter anderem in der Verantwortung von Compenswiss. Die unabhängige öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes zählt dabei auch auf die Dienste des Finanzmarkts, dessen Puls Compenswiss-Präsident Manuel Leuthold besonders gut fühlen kann. Was dem gewichtigen institutionellen Investor derzeit besonders auffällt, verrät er im Interview mit finews.ch.

Herr Leuthold, der Compenswiss obliegt die Verwaltung der Ausgleichsfonds von AHV, IV und EO. Im vergangenen Anlagejahr schrumpfte das verwaltete Vermögen um fast 13 Prozent auf 37 Milliarden Franken. Dieser Einbruch war stärker als im Schnitt der Pensionskassen, die häufig ähnlich anlegen.

Das ist richtig. Die Resultate waren im 2022 sehr enttäuschend, zumal die Diversifikation zwischen den verschiedenen Anlageklassen nicht gespielt hat. Dass die Obligationen wegen der Zinswende etwa 15 Prozent verloren, war sehr aussergewöhnlich. Aber es war klar, dass nach den langen Jahren von sinkenden Zinsen mit steigenden Anleihekursen irgendwann die Zeche zu bezahlen ist.

Sie haben im vergangenen Jahr auf Verkäufe verzichtet. Wollten Sie die Baisse einfach aussitzen?

Wir haben die Liquidität sehr sogfältig überwacht und mussten keine Wertschriften ausgerechnet in einem Tief abstossen. Das Wichtigste war, dass wir als Grossinvestor vermeiden konnten, wegen Liquiditätsengpässen im dümmsten Moment Anlagen zu verkaufen. Das war früher anders, als wir die Risiken stärker auf die Volatilität an den Märkten ausgerichtet haben.

Hat sich die Situation inzwischen etwas entspannt?

Ende Mai hat unser Portfolio eine Anlagerendite von rund 3 Prozent erwirtschaftet, was auf ein normales Anlagejahr hindeutet. Das entspricht auch unserem Hauptszenario einer Fortschreibung des langsamen Wachstums, dessen Wahrscheinlichkeit wir 50 Prozent zumessen.

Anders als eine Pensionskasse sind wir ein Reservefonds

Die beiden anderen Szenarien deuten mit je 25 Prozent entweder auf eine deutliche Verschlechterung oder deutliche Verbesserung an den Finanzmärkten hin. Wir haben noch wenig klare Hinweise, wohin die Reise letztlich geht.

Auch die Aufteilung der Anlageklassen veränderte sich nicht. Sie halten rund 55 Prozent in Obligationen, 25 Prozent in Aktien und 15 Prozent in Immobilien. Damit sind sie nahe bei einem klassischen 60/40-Portfolio. Ist das die richtige Anlagestrategie in dieser Zeitenwende?

Wir haben in den letzten Jahren unseren Anteil an Immobilien zulasten von Obligationen etwas ausgebaut, sind aber mit der jetzigen Strategie gut aufgestellt.

Sie hätten aber durchaus einen grossen Spielraum für Anpassungen.

Das ist so. Anders als eine Pensionskasse sind wir ein Reservefonds. Wir haben mit Ausnahme von geänderten politischen Rahmenbedingungen keine zwingenden Verpflichtungen. Und auch auf der Aktivseite sind wir frei, indem wir keine Anlagevorschriften zu beachten haben wie etwa die berufliche Vorsorge mit der BVV2-Verordnung. Eine wichtige Einschränkung gegenüber anderen Institutionellen besteht hingegen in unserem Anlagehorizont.

Das müssen Sie erklären.

Damit die Auszahlung der Renten unter allen Umständen gesichert bleibt, müssen wir genau darauf achten, nicht zu viele illiquide Anlagen zu halten. Das schränkt unseren Anlagehorizont ein.

Unsere Heimwährung ist ein Handicap

Übrigens hat dem Fonds die Annahme der AHV21-Vorlage mit der Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau sehr geholfen. Weil damit die Defizite in der AHV über einige Zeit aufgefangen werden, hat sich der Anlagehorizont bei Compenswiss um 10 Jahre verlängert. Das eröffnet uns zum Beispiel einen Spielraum, um den für uns neuen Bereich Private Debt zu erschliessen.

Wie gehen Sie beim Investieren in diese oder die weiteren Anlageklassen vor?

Weder der Anlageausschuss des Verwaltungsrats von Compenswiss noch das Investment-Komitee in der Geschäftsleitung treffen Entscheide über die Titelauswahl. Stattdessen vergeben wir Mandate für alle Anlagekategorien. Das sind zum einen externe Mandate, wenn ein Vermögensverwalter ein spezielles Know-how vorweist, und zum andern interne Mandate, die meistens für passiv verwaltete Kategorien eingesetzt werden.

Als grosser Investor können sie nicht alle anlagesuchenden Gelder am heimischen Markt unterbringen. Wie gehen Sie bei Investitionen im Ausland vor?

Bei unseren Investitionen im Ausland können wir zwar die Diversifikation verbessern. Gleichzeitig müssen wir aber bedenken, dass unsere Heimwährung sehr stark ist. Der Franken wertet sich jährlich seit 50 Jahren im Schnitt um 1,5 Prozent auf. Dieses Handicap können wir überwinden, sofern unsere Anlagen im Ausland deutlich mehr Renditen einfahren als die zu erwartenden Währungsverluste wegen unserer Hartwährung.

Sie müssen immer wieder Kritik einstecken, dass Sie beim nachhaltigen Anlegen die sozialen Gesichtspunkte deutlich stärker gewichten als die ökologischen.

Ich verstehe die Kritik. Sie relativiert sich aber, wenn wir an die gesetzlichen Ziele von Compenswiss – also Liquidität, Sicherheit und Rendite - erinnern. Zuallererst müssen wir die jederzeitige Auszahlung der Renten mit den bestehenden Mitteln sicherstellen. Zudem müssen wir die überschüssigen Mittel im Ausgleichsfonds sicher anlegen und damit eine marktkonforme Rendite erwirtschaften.

Wir machen keine Zugeständnisse hinsichtlich ökologischer Forderungen

Gesetzliche Vorgaben zum Klimaschutz oder anderen gesellschaftspolitischen Anliegen haben wir hingegen nicht. Deshalb machen wir keine Zugeständnisse hinsichtlich ökologischer Forderungen, wenn sie zulasten der Sicherheit der Renten gehen. Klimarisiken fliessen im Übrigen wie andere Risiken in die Beurteilung unseres Portfolios ein, und wir legen auch ESG-konform an.

Mit anderen Worten: Ökologisches Investieren lohnt sich nur bedingt.

Es ist ganz einfach so, dass «grüne» Anlageprodukte nicht immer besser rentieren als konventionelle Anlagen. Hätte Compenswiss sämtliche Positionen in Erdöl abgestossen, wäre im vergangenen Jahr auf Einnahmen von 200 Millionen Franken verzichtet worden. Ein Ausschluss dieser Anlagen ist mit Respekt vor den Leuten, die auf eine AHV-Rente angewiesen sind, nicht zumutbar.

Zum ESG-konformen Anlegen gehört auch, die Governance genau unter die Lupe zu nehmen. Sie haben entschieden, ihre Stimmrechte bei Schweizer Investments systematisch wahrzunehmen. Wann hat Compenswiss letztmals in einer GV gegen die Empfehlung des Verwaltungsrats opponiert?

Im 2022 haben wir an 95 Generalversammlungen von Schweizer Unternehmen teilgenommen und dabei 71 Prozent der Vorschläge der Verwaltungsräte angenommen. Im Ausland verzichten wir gegenwärtig aus administrativen Gründen und wegen der Kosten darauf, unsere Stimmrechte aktiv auszuüben.

Der norwegische Staatsfonds ist wie Compenswiss im Besitz des Staats und hat ebenfalls keine Anlagerestriktionen. Er versteht sich als indexnaher Investor und hat rund 70 Prozent seines Vermögens in globale Aktien investiert. Können Sie sich davon etwas abschauen?

Die Ausgangslage des weltgrössten Staatsfonds mit einem nahezu unendlichen Anlagehorizont ist mit unserem Reservefonds nicht vergleichbar. Im Gegensatz zum wachsenden norwegischen Fonds wird unser Anlagevolumen lediglich in den nächsten fünf Jahren um etwa 10 Milliarden Franken steigen.

Als Hauptpartner brauchen wir eine Schweizer Geschäftsbank

Danach sinkt es aber wegen der Überalterung in der Schweiz wieder kontinuierlich. Anders als der Staatsfonds können wir deshalb keine Zeitprämie einkassieren.

Unlängst sagten Sie noch, dass die Credit Suisse eine wichtige Gegenpartei für Compenswiss ist. Was ändert sich nun mit der Integration der Bank in die UBS?

Unsere Tresorerie ist sehr bedeutsam und verschiebt Milliardenbeträge. Wir müssen uns jetzt darauf einstellen, dass die Credit Suisse als wichtige Gegenpartei wegfallen kann.

Wer könnte denn in die Bresche springen?

Ausser im Devisenhandel brauchen wir als Hauptpartner eine Schweizer Geschäftsbank. Zum Glück haben wir schon ein breites Geflecht an Bankbeziehungen und arbeiten zudem mit der Schweizerischen Nationalbank zusammen.

Was sind die wichtigsten Anforderungen, die sie als grosser institutioneller Anleger an den Schweizer Finanzplatz haben?

Ein Teil unseres Risikos besteht darin, mit Banken zu arbeiten, deren Solidität leiden könnte. Darum brauchen wir zum einen ein breit abgestütztes und starkes Bankensystem. Zum andern sind qualitativ hochwertige Dienstleistungen wichtig, die auch das Berichtswesen einschliessen.

A propos Solidität: Wie stark hat die Notrettung der Credit Suisse mithilfe staatlicher Einmischung unter Anwendung von Notrecht den Schweizer Finanzplatz in Verruf gebracht?

Dass die Schweiz zwei Grossbanken hatte, war wirklich ein grosses Plus. Rückblickend war der Zusammenschluss jedoch die beste Lösung, zumal sie sehr rasch gezimmert wurde.

Heikel könnte es für mittelgrosse Unternehmen werden

Deshalb glaube ich nicht, dass der Finanzplatz von der Notrettung einen permanenten Schaden davontragen wird. Mit Blick auf den Wettbewerb haben wir zudem im Retail-Banking genügend Konkurrenz.

Für Compenswiss ist aber die Konkurrenz in anderen Segmenten ausschlaggebend.

Nicht nur für uns. Heikel könnte es besonders für mittelgrosse Unternehmen werden, die sich Kapital in der Schweiz beschaffen wollen, aber künftig auf das Ausland ausweichen müssten.

Schauen wir noch auf den Zustand der AHV. Das wichtigste Sozialwerk der Schweiz wird trotz Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau schon bald wieder chronische Defizite schreiben. Wie lassen sie sich beheben?

In der Schweiz besteht ein Konsens darüber, die Leistungen der AHV nicht zu kürzen. Deshalb braucht es zusätzliche Mittel. Eine Erhöhung der Lohnbeiträge um 1 Prozentpunkt würde etwa 3,5 Milliarden Mehreinnahmen jährlich generieren, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt etwa 2,5 Milliarden. Als dritte Möglichkeit könnte das Rentenalter angepasst werden, wobei die Heraufsetzung um ein Jahr für alle Geschlechter der AHV etwa 2 Milliarden jährlich einbringen würde. Welcher Weg eingeschlagen wird, liegt in den Händen der Politik.

Ein echter Reformwille ist aber in der Politik noch immer nicht erkennbar. Diese Lähmung schlägt doch erklärtermassen auch auf Compenswiss zurück.

Immerhin sind mit der STAF- und der AHV-21-Vorlage zwei Reformschritte gemacht worden.

Es gibt keine Zauberei

Damit haben wir einige Jahre Zeit erkauft und sind nicht unter Druck.

Wie sieht denn jenseits dieser Pflästerlipolitik die wichtigste und fairste Lösung für Sie aus?

Es gibt keine Zauberei. Sicher ist, dass jede Lösung weh tut.

Gemäss den Sorgenbarometern befürchtet die junge Generation aber, dass es für sie überhaupt keine Lösung mehr gibt.

Das mangelnde Vertrauen der Jungen ist tatsächlich bedauerlich. In der Schweiz haben wir aber immer gute Lösungen gefunden, wenn der Druck spürbar wurde. Deshalb bleibe ich optimistisch.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Begriff Rente?

Ich bin ein Bankier, der Gelder für vermögende Personen verwaltet hat. Mindestens so befriedigend ist aber auch meine Aufgabe für die Schweizer Sozialwerke. Mich fasziniert vor allem die Beschäftigung mit der Demographie, die zunächst kaum erkennbar, aber über die lange Frist umso mächtiger wirkt. Deshalb werde ich mich bei Compenswiss auf Ende Jahr für eine dritte Amtszeit zur Verfügung stellen.


Manuel Leuthold wurde vom Bundesrat per 1. Januar 2016 zum Verwaltungsratspräsidenten der Compenswiss (Ausgleichsfonds AHV/IV/EO) ernannt. Seit 2016 ist er unabhängiger Verwaltungsrat und übt diverse Mandate vorwiegend im Bankensektor, im Asset Management und im Immobiliensektor aus. Er war vier Jahre als Group Chief Administrative Officer bei der Edmond de Rothschild Gruppe tätig und zuvor 27 Jahre in den Diensten der UBS, unter anderem in der Geschäftsleitung der UBS Schweiz. Leuthold hat das Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften je mit einem Master der Universität Genf abgeschlossen.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
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