Wie Rüstungsaktien für die ETF-Branche investierbar wurden
Früher galten Rüstungsaktien meist als nicht investierbar, heute gibt es grossvolumige Defense ETF. Der CEO des Europageschäfts von VanEck, Martijn Rozemuller, erklärt, wie es zum Sinneswandel gekommen ist. Er ist zudem davon überzeugt, dass das Screening mit Ausschlüssen in den nächsten Jahren zum Industriestandard werden wird – und will in Europa unter die Top-10-Häuser vorstossen.
Vor einem Vierteljahrhundert wurden an der SIX Swiss Exchange erstmals Exchange Traded Funds (ETF) kotiert; damit begann der Siegeszug des passiven Investierens. Erstmals standen Privatanlegern dafür auch hierzulande (und nicht nur in den USA, wo ETF schon viel länger verbreitet waren) einfache, günstige und jederzeit handelbare Instrumente zur Verfügung. Heute sind ETF aus der Anlagewelt nicht mehr wegzudenken.
Immerhin schon zehn Jahre in der Schweiz mit ETF vertreten ist der weltweit aktive Vermögensverwalter und Anbieter VanEck, seit der Gründung 1955 im Besitz der gleichnamigen niederländischen Familie und in der globalen Rangliste nach in ETF verwalteten Vermögen weltweit auf Platz zwölf. finews.ch war jüngst zur «Ring the Bell»-Zeremonie an der SIX eingeladen und nutzte die Gelegenheit zum Gespräch mit Martijn Rozemuller, CEO VanEck Europe. Rozemuller gründete 2008 ein eigenes ETF-Haus, das er 2018 an VanEck verkaufte, wo er seither als Chef des Europa-Geschäfts tätig ist.
Erster Anbieter mit ETF auf Aktien von Rüstungsherstellern
«Wir sind in Europa derzeit Nummer 12 und wollen unter die Top 10», gibt Rozemuller gleich zu Beginn den Tarif durch. «Das Ziel ist durchaus realistisch, weil unsere Nettoneugeldzuflüsse überdurchschnittlich und die Abstände zwischen den Anbietern in der Rangliste klein sind.»
VanEck war vor zweieinhalb Jahren in Europa der erste Anbieter eines sogenannten Defense ETF. Im Klartext: ein ETF, der ausschliesslich in die Aktien von Unternehmen in der Verteidigungsindustrie (von Rüstungsunternehmen) investiert. Heute ist dieser ETF mit 5,8 Milliarden Dollar das grösste derartige Produkt überhaupt.
«Fühle mich komfortabel mit diesem Produkt»
Bis vor wenigen Jahren galt der unerschütterliche Konsens, dass Rüstungshersteller erstens per se nicht nachhaltig sein könnten und zweitens als hochproblematische Unternehmen schon gar nichts in den publikumswirksamen ETF zu suchen hätten; allerdings gab es schon immer eine gewisse Grauzone, etwa bei Produzenten von Dual-use-Gütern oder solchen mit einer kleinen Rüstungssparte.
«Ich fühle mich komfortabel mit diesem speziellen Produkt und rede auch gerne über seine Entstehung und unsere Überlegungen dahinter», hält Rozemuller fest. Die Initialzündung kam von Privatanlegern, die ihm an Präsentationen 2022 nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine immer wieder die Frage stellten, weshalb es keinen Defense ETF gebe. «Ich antwortete stets, das sei schwierig, mit Blick auf die ESG-Kriterien, unsere Reputation und die Banken, die solche Produkte gar nicht vertreiben wollten.»
Privatanleger leiteten den Wandel ein
Doch dann setzte der Sinneswandel ein, die Rozemuller in die provokative Frage fasst: «Wie sozial ist es im Sinne des «S» in ESG, die Ukraine im Stich zu lassen und ihr keine Waffen zu liefern?» Plötzlich stand die Finanzierung der Rüstungsindustrie auf der Traktandenliste der niederländischen Regierung (Rozemuller beteiligte sich an der Debatte), und auch auf EU-Ebene wurde die Verteidigung aufgrund der geopolitischen Verschiebungen unvermittelt eine Toppriorität – die kritischen Stimmen wurden leiser, sind indes bis heute nicht ganz verstummt.
«Wir fanden zusammen mit einem Indexanbieter eine Lösung, die kontroverse Waffen ausschliesst, aber gleichwohl genügend diversifiziert bleibt.» Dass der ETF die ESG-Kriterien nicht erfüllt, tat seinem Erfolg keinen Abbruch, sind doch Rüstungsaktien an der Börse seither so beliebt wie noch nie. In den letzten Monaten sprangen auch immer mehr institutionelle Anleger auf den fahrenden Zug auf. «Die Retailer waren zuerst, weil sie kaum regulatorische Schranken beachten müssen und ihre Anlageentscheide rasch fällen können», erklärt Rozemuller.
Screening statt ESG-Siegel
Unterstützend wirkte paradoxerweise die laufend verschärfte ESG-Regulierung, die von nachhaltigen Finanzprodukten eine konkrete und messbare Wirkung (Impact) und eine Absicht (Purpose) verlangt. Das hatte nämlich zur Folge, dass viele ETF- und Fondsanbieter auf das explizite Label ESG verzichteten, dem Anliegen der Nachhaltigkeit aber insofern weiterhin Rechnung tragen, als dass sie die Zusammensetzung überwachen (bzw. von spezialisierten Agenturen überwachen lassen) und die schlimmsten Sünder ausschliessen.
«Das Screening wird in einigen Jahren zum Industriestandard werden», ist Rozemuller überzeugt. «Wir wollen den Mund nicht zu voll nehmen und bezüglich Nachhaltigkeit mehr versprechen, als wir mit unseren ETF halten können.» «Dunkelgrüne» Produkte, also solche, die weiterhin das Siegel ESG tragen, haben für ihn ausserdem den Nachteil, dass sie aufgrund der strengen Auswahlkriterien (insbesondere auch hinsichtlich der Datenverfügbarkeit) mitunter das Anlageuniversum und damit die Diversifikation zu sehr einschränken. Eine weitere Eigenheit ist, dass es bei Sustainability keine einheitlichen und damit vergleichbaren Bewertungsstandards gibt: Dasselbe Unternehmen kann im Urteil der einen Agentur ESG-kompatibel sein und bei einer anderen nicht.
Pionier im Kryptobereich
Auch bei einem ganz anderen Anlagethema war VanEck 2020 Pionier. «Wir waren die ersten, die als traditioneller Vermögensverwalter in Europa ein Krypto-Produkt anboten», bestätigt Rozemuller. Die Diskussion habe bereits 2016/2017 eingesetzt, sei aber mit den Regulatoren «schwierig» gewesen, besonders in den USA mit der lange skeptischen Securities and Exchange Commission (SEC) und weniger in der Schweiz, wo die Finma diesbezüglich «offen und konstruktiv» war.
Mittlerweile bietet VanEck 15 Krypto-ETPs an, im Umfang von 1,5 Milliarden Dollar. Rozemuller: «In unserer Unternehmensgeschichte gehörten wir immer zu den ersten, die Trends aufspürten. Gleich nach der Gründung emittierte VanEck einen Fonds auf internationale Aktien – statt wie in den Fünfzigerjahren üblich nur auf US-Aktien.» Bald darauf, noch vor dem Kollaps von Bretton Woods, folgte ein Gold-Fonds.
Auch innerhalb der Kryptoquote breit streuen
Natürlich ist der CEO kein Krypto-Skeptiker und sieht weiterhin Wachstumsmöglichkeiten, doch spielt er die Innovation nicht gegen traditionelle Anlagen aus. «Aufgrund der Diversifikation ist ein Anteil von 2 bis 3 Prozent nicht unvernünftig – und wichtig ist eine breite Streuung auch innerhalb der Krypto-Quote.»
Denn ähnlich wie seinerzeit bei den Tech- und Internet-Werten werde ein grosser Teil der Projekte nicht reüssieren. «Aber man muss dabei sein, weil es darunter einige haben wird, die in zwanzig Jahren – wie heute Alphabet oder Apple – nicht mehr aus einem ausgewogenen Portfolio wegzudenken sind.» Die Distributed-Ledger- und Blockchain-Technolologie könnte sogar das ETF-Geschäft selber verändern. «Vielleicht werden ETF noch günstiger und effizienter, wenn man sie tokenisiert.»
Heute bieten viele Anbieter Krypto-ETPs an, doch VanEck ist der einzige, der mit der Aufbewahrung der Basiswerte eine Bank beauftragt hat. «Die Schlüssel dazu liegen im Tresor der Bank Frick in Liechtenstein, wir haben keinen Zugriff darauf.»
Ausschliesslich physische Replikation, kein Securities Lending
In einem ganz anderen Bereich, der beim Start der ersten ETF in der Schweiz in Debatten für signifikant mehr heisse Köpfe Schlagzeilen sorgte als heute, tickt Rozemuller ebenfalls anders als andere. «Schon 2008 war für mich klar, dass nur die physische Replikation, d.h., das effektive Halten der dem ETF unterlegten Basiswerte in Frage kommt.» Damals war auch die synthetische Replikation, die Abbildung der Basiswerte via Derivate wie Swaps usw., recht verbreitet. Nach der Devise «so einfach wie möglich» verzichtet VanEck generell auf die synthetische Replikation und geht damit auch keine entsprechenden Gegenparteirisiken ein.
«Und wir sind die einzigen Anbieter in Europa, die keine Wertschriftenleihe betreiben. Warum sollte ich einem Akteur mit Securities Lending helfen, gegen meine eigenen ETF-Kunden zu wetten?» Natürlich weiss Rozemuller, dass die mit synthetischer Replikation oder Securities Lending verbundenen Risiken in normalen Zeiten minimal sind, doch ist für ihn eine zweite Devise wichtiger als ein damit erwirtschafteter kleiner Zusatzertrag: «Vorsicht ist besser als Nachsicht.»