Vertrauen in der Krise: Wenn KI zum Stresstest wird
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Krisen gehören in der Finanzbranche zum Alltag und es werden immer mehr. Ob Geldwäscherei-Skandale, regulatorische Verstösse, unerwartete IT-Ausfälle oder Cyberangriffe – innerhalb weniger Stunden kann das Vertrauen von Kunden, Investoren und Aufsichtsbehörden ins Wanken geraten.
Für Banken und Vermögensverwalter, für die ihre Glaubwürdigkeit ihr grösstes Kapital ist, ist eine professionelle Krisenkommunikation deshalb überlebenswichtig.
«Was früher Gerüchte am Finanzmarkt waren, sind heute Deepfakes in den sozialen Medien.»
Doch mit dem Einzug der Künstlichen Intelligenz (KI) verschieben sich die Spielregeln. KI ist nicht nur Werkzeug, sondern auch Risiko: Sie kann Falschinformationen in Lichtgeschwindigkeit verbreiten – und gleichzeitig helfen, Gegenmassnahmen effizienter und präziser zu organisieren.
Neue Bedrohungen durch KI
Was früher Gerüchte am Finanzmarkt waren, sind heute Deepfakes in den sozialen Medien. Ein manipuliertes Video eines CEOs, das angeblich Rücktritte oder Milliardenverluste verkündet, kann in Sekunden ganze Märkte bewegen. Auch gefälschte Dokumente – etwa im Zusammenhang mit Bilanzen oder ESG-Ratings – werden durch generative KI leichter herstellbar.
Hinzu kommen Risikoherde aus dem eigenen Haus: automatisierte Chatbots, die in Krisensituationen widersprüchliche Antworten geben, oder schlecht gesicherte Systeme, die Zielscheibe von KI-gestützten Hackerangriffen werden.
Chancen für Kommunikationsteams
So bedrohlich das klingt: KI eröffnet auch Chancen. Richtig eingesetzt, ermöglicht sie ein Krisen-Monitoring in Echtzeit. Social-Media-Analysen mit KI-Tools helfen, Gerüchte frühzeitig aufzuspüren und einzuordnen. Die schnelle Validierung von Fakten ist unverzichtbar, denn in einer von Falschmeldungen überfluteten Öffentlichkeit wird Transparenz zur härtesten Währung.
«Die Geschwindigkeit, mit der KI Falschinformationen erzeugt, verlangt eine neue Haltung in Unternehmen.»
Trotzdem bleibt eine Tatsache unumstösslich: Glaubwürdigkeit entsteht am Ende durch Menschen. Stakeholder wollen wissen, dass jemand mit Verantwortung und Empathie die Botschaften steuert. KI darf dabei höchstens eine Nebenrolle spielen.
Praktische Massnahmen
- Offizielle Kommunikationskanäle deutlich als «Trusted Source» kennzeichnen
- Regelmässige Krisensimulationen durchführen – inklusive Szenarien mit Deepfakes oder Desinformationswellen
- Klare Regeln für den Einsatz von KI in der Kommunikation schaffen und offenlegen
- Botschaften final immer durch erfahrene Kommunikationsexperten prüfen lassen
Der entscheidende Faktor
Die Geschwindigkeit, mit der KI Falschinformationen erzeugt, verlangt eine neue Haltung in Unternehmen: nicht abwarten, sondern vorbereitet handeln. Es ist weniger die Frage, ob Desinformation auftritt, sondern wann– und wie schnell man dagegenhält.
Um Reputation zu schützen, führt deshalb kein Weg an einer proaktiven, ehrlichen und resilienten Kommunikationsstrategie vorbei. KI kann ein nützliches Werkzeug sein, aber das letzte Wort muss der Mensch behalten – und zwar einer, der glaubwürdig auftritt und im entscheidenden Moment die Ruhe bewahrt.
Marionna Wegenstein ist Kommunikationsberaterin in Zürich. Ihr Unternehmen Wegenstein Communication betreut vorwiegend Kunden aus der Finanzbranche und Familienunternehmen. Sie ist Mitgründerin des Family Governance Kompetenzzentrum, einem Netzwerk von Expertinnen, die sich für die erfolgreiche Führung von Familienunternehmen einsetzen und sie ist Mitglied von Women for the Board. Sie blickt auf mehr als 25 Jahre Kommunikationserfahrung in der Finanzbranche zurück, zuletzt als Head PR & Communication bei der Schweizer Privatbank Lombard Odier.














