Rico Albericci: «Selbst James Bond ist heute compliant»
Herr Albericci, weshalb ist der EWR-Pass über Liechtenstein für Schweizer Vermögensverwalterinnen und Vermögensverwalter so interessant?
Er ist sozusagen der «goldene Schlüssel» zur europäischen Haustür. Bloss wissen viele gar nicht, wie man ihn richtig benutzt. Die Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA) schaut genau hin, wer diesen Schlüssel einsetzt und ob der Träger überhaupt versteht, in wessen Haus er da eigentlich steht.
Wie muss man das verstehen?
Viele Schweizer Vermögensverwalter träumen vom europäischen Parkett. Doch der Weg dorthin führt nicht über eine Postfachadresse oder ein hübsches Logo, sondern über echte Präsenz und Verständnis der Spielregeln.
Trotz der Vielzahl an Schweizer Vermögensverwaltern mit europäischer Kundschaft nutzen nur wenige diese Chance konsequent: Nach meiner Einschätzung verfügen gerade einmal ein Dutzend Gesellschaften über eine aktive Präsenz mit Lizenz in Liechtenstein.
Worin unterscheiden sich Regulierung und Umgangston zwischen Deutschland und Italien am stärksten?
Italien und Deutschland sind – bildlich gesprochen – zwei ganz verschiedene Bühnen. In Italien spielt man mit mehr Emotion und Gestik, in Deutschland eher nach Noten und mit Formular.
«Viele Schweizer Vermögensverwalter träumen vom europäischen Parkett. Der Weg dorthin führt nicht über eine Postfachadresse oder ein hübsches Logo.»
Beide Systeme funktionieren hervorragend – solange man versteht, dass Italien zuerst Emotion verlangt und Deutschland Dokumentation. Wer das respektiert, kann sehr gut arbeiten.
Schon 2019 schickten die italienischen Behörden lange Fragebögen an Schweizer Institute. Nicht aus Misstrauen, eher aus einer typisch italienischen Mischung aus Neugier und Kontrolle. Seither hat sich das Interesse der Behörden spürbar vertieft: Aus Neugier wurde Leidenschaft, vor allem, wenn die Formulare nicht ganz stilecht sind.
Deutschland dagegen bleibt nüchtern und systematisch. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mehrfach gegen Schweizer Vermögensverwalter ermittelt, die ohne deutsche Lizenz tätig waren und zeigt dabei wenig Humor: Geschäftstätigkeit wird gestoppt, Bussen folgen, Verstösse werden veröffentlicht.
Und die FMA – eher eine Aufsicht oder eine Partnerin?
Angenehm, unaufgeregt, aber bestimmt. Die FMA ist streng, professionell und fair. Genau diese Mischung schätzen wir. Ihre Erwartung ist schlicht, aber anspruchsvoll: Man soll verstehen, was man tut. Eine Haltung, die man im Finanzwesen ruhig häufiger antreffen dürfte. Liechtenstein ist aber kein Freifahrtschein.
Wie meinen Sie das?
Wer Verankerung aufbaut, findet Fürstentum einen Brückenkopf mit hoher Glaubwürdigkeit. Wer hingegen nur einen Briefkasten platziert, erlebt rasch, wie eng ein Nadelöhr werden kann. Die FMA sieht vieles – und fragt bei Bedarf mit höflicher Präzision nach.
Die Aufsicht sorgt für Struktur, nicht für Stress. Wer sauber arbeitet, merkt sie kaum – höchstens an den Rechnungen. Genau diese Gelassenheit macht Liechtenstein so attraktiv: klar geregelt, aber menschlich geführt.
Was gilt es bei Kundenbetreuung in der EU zu beachten?
Ganz ehrlich gesagt: Ohne EWR-Pass bleiben Sie besser zu Hause.
«Wer ruhig schlafen will, verlässt sich lieber auf Lizenzen als auf juristische Auslegungen.»
Die EU ist da sehr klar: Wer aktiv betreuen oder verwalten will, braucht eine entsprechende Zulassung. Alles andere fällt unter «Mut zur Lücke». Das ist kein Geschäftsmodell.
Manche verweisen gern auf Reverse Solicitation – jene charmante Vorstellung, der Kunde habe von sich aus den ersten Schritt getan. In der Praxis sehen das die Aufsichtsbehörden allerdings mitunter etwas differenzierter. Wer ruhig schlafen will, verlässt sich lieber auf Lizenzen als auf juristische Auslegungen.
Auch ein einzelnes Meeting in Mailand oder München unterliegt den MiFID-Vorgaben: Aufzeichnungspflichten, Gesprächsdokumentation, Beratungsprotokolle. Das klingt nach Aufwand, ist aber letztlich ein Schutz für beide Seiten.
Und wenn man einmal erlebt hat, wie präzise sich Kunden daran erinnern, was man nicht gesagt hat, versteht man den Sinn sehr schnell.
Liechtenstein steht für strenge AML- und KYC-Vorschriften. Wie handhaben Sie das?
Mit Respekt. Liechtenstein hat die EU-Geldwäscherichtlinien vollständig umgesetzt. Alles wird identifiziert, dokumentiert und regelmässig überprüft, vom wirtschaftlichen Berechtigten bis zum Adverse Media Screening.
Kundenbeziehungen müssen klar strukturiert und transparent sein – besonders, wenn mehrere Rechtsräume im Spiel sind. Der Kunde soll genau wissen, wo er steht und wem er vertraut. Diese Klarheit schafft Vertrauen. Sie ist letztlich die beste Compliance-Strategie.
«Regulierung ist kein Kostenfaktor, sondern eine Eintrittskarte.»
Unsere Kunden suchen Vermögensverwalter, die professionell, legal und transparent arbeiten. Und ehrlich gesagt: Das ist auch für uns die angenehmste Art, Geschäfte zu machen. Selbst James Bond hat inzwischen verstanden: Stil reicht nicht, ohne Compliance läuft heute gar nichts mehr.
Wie aufwändig ist der Aufbau einer EU-fähigen Struktur?
Wer es ernst meint, braucht Zeit – ein bis zwei Jahre – und Kapital. Eine halbe bis eine Million Franken sind realistisch. Das klingt nach viel, ist aber gut investiertes Kapital. Regulierung ist kein Kostenfaktor, sondern eine Eintrittskarte.
Der Erfolgsfaktor liegt im organischen Wachstum: echte Kundenbeziehungen statt Zukäufe. Wir sind damit gut gefahren; ganz nach dem Motto: «Slow is smooth, and smooth is fast.»
Klingt gut, aber ist das – offen gestanden – nicht bloss ein Synonym für zu wenig Tempo?
Im Gegenteil. Wir setzen auf organisches Wachstum mit Qualität und das zahlt sich aus. Chefinvest International wächst seit Jahren kontinuierlich und profitabel. Skalierbarkeit entsteht durch Echtheit, nicht durch Eile.
Und Wachstum beginnt auch nicht beim Recruiting – es beginnt im Kopf.
Genau. Wir suchen keine Lebensläufe, sondern Menschen, die moderne Kundengenerationen verstehen, technologisch versiert sind und veränderte Bedürfnisse in klare Serviceleistungen übersetzen können.
«Der Kunde spürt den Unterschied schneller als man MiFID buchstabieren kann.»
Manche Firmen verwechseln Wachstum auch mit «Personal-Shopping». Sie werben der Konkurrenz ganze Teams ab in der Hoffnung, die Kundschaft ziehe mit. Das funktioniert selten. Wir sind ein eigentümergeführtes Unternehmen. Darum betrachten wir unsere Mitarbeiter als Botschafter unserer Kultur, nicht als Beratungssöldner auf Zeit.
Was halten Sie von Angeboten, bei denen Schweizer EAMs eine Liechtensteiner Lizenz «mitnutzen» können?
Ich halte sie für kreativ aber kurzlebig. Eine Lizenz kann man nicht mieten, so wie man auch keinen Pass vermietet. Wer in Liechtenstein tätig sein will, braucht eigene Strukturen: Mitarbeitende mit Wohnsitznähe, Verträge, Prozesse –, echte Präsenz eben.
Und ganz ehrlich: Wer das Ganze hobbymässig angeht, sollte sich gut überlegen, ob er dafür wirklich Gebühren verlangen möchte. Der Kunde spürt den Unterschied schneller als man MiFID buchstabieren kann.
Wie beurteilen Sie die kommende EU-Regulierung, insbesondere die MiFID-Review und Retail Investment Strategy?
Das ist Europas Versuch, Ordnung in den Kapitalmarkt zu bringen. Wer wollte etwas dagegen haben? Regulierung ist sinnvoll, solange sie Stabilität schafft, ohne Innovation zu behindern.
«Der EU-Markt ist kein Haifischbecken, aber Schwimmflügel schaden nicht.»
Der MiFID-Review ab 2025/26 bringt Echtzeit-Reporting und mehr Transparenz. Die Retail Investment Strategy setzt auf klarere ESG-Standards und verständlichere Produkte. Wir begrüssen das: Regulierung soll Stabilität schaffen, ohne Innovation zu ersticken.
Ihr Rat an Schweizer EAMs mit EU-Ambitionen?
Erstens: Nicht improvisieren. Zweitens: Nicht warten. Drittens: In der Praxis dauert’s meist länger als auf der Folie.
Was heisst das in der Praxis?
MiFID- und ESG-Standards umsetzen, Strukturen in EWR-Ländern aufbauen, Compliance exzellent vorleben und das regulatorische Monitoring ernst nehmen. Die Risiken liegen auf der Hand – fehlende Lizenz, hohe Kosten, falsche Prioritäten.
Aber wer Echtheit zeigt und solide Strukturen aufbaut, wird belohnt. Oder, um es mit einem Augenzwinkern zu sagen: Der EU-Markt ist kein Haifischbecken, aber Schwimmflügel schaden nicht.
Was macht letztlich den Unterschied für Ihre Kunden aus?
Sie suchen keine Abkürzungen, sondern Verlässlichkeit, und sie wollen, dass die Dinge schnell, klar und korrekt erledigt werden. Niemand hat noch Zeit für Schaufensterberatung.
Die modernen Kunden reisen selten nach Zürich oder Vaduz. Sie erwarten gute Performance, klare Kommunikation und faire Kosten. Kundenbetreuung ist heute kein Termin mehr, sondern ein Dialog.
«Menschlich im Auftreten, technologisch im Denken. Das ist die neue Professionalität.»
Die Kunden möchten nicht mit einem KI-Tool sprechen, sondern mit einem echten Berater, der dank KI präziser und besser informiert ist. Menschlich im Auftreten, technologisch im Denken. Das ist die neue Professionalität.
Wie definieren Sie diese noch etwas genauer?
Der Kern guter Beratung bleibt einfach: Nicht die Compliance steht im Mittelpunkt, sondern der Kunde. Es geht darum, Vermögen zu sichern und auszubauen – so, dass der Kunde versteht, warum er uns vertrauen kann.
Regulierung kann dieses Vertrauen stützen, wenn sie den Kunden schützt. Unsere Aufgabe ist es, genau dafür zu sorgen, damit nicht das Reglement, sondern echte Kundenorientierung unser Handeln prägt.
Rico Albericci ist ein langjähriger Schweizer Finanzexperte und der CEO der Firma Chefinvest International in Vaduz. Er betreute während mehr als 20 Jahren vermögende Privatkunden bei der Credit Suisse, zuletzt als stellvertretender Direktor. Bei der Liechtensteinischen Landesbank vertiefte er seine Kenntnisse des Stiftungsrechts sowie der EWR-Dienstleistungsrichtlinien. Im Jahr 2010 startete er als Gründungspartner bei der Chefinvest in Zürich seine Selbständigkeit und seit 2015 ist er zusätzlich massgeblich am erfolgreichen Aufbau der Chefinvest International beteiligt. Er absolvierte das Executive Programm der Swiss Banking School und verfügt über das europäische und das eidgenössische Diplom des diplomierten Vermögensverwalters und Finanzanalytikers (CEFA) sowie über das eidgenössische Diplom des Betriebswirts HF.
















