Baillie Gifford: Die Strategie der Trüffelsucher der Finanzbranche
Nicht in London befindet sich der Hauptsitz von Baillie Gifford, sondern weiter nördlich, in Edinburgh, im Zentrum der pittoresken Stadt. Das passt zum Selbstverständnis des schottischen Asset Managers: Baillie Gifford gibt wenig auf den Mainstream. Während sich weite Teile der Industrie zunehmend über Produktvielfalt, kurzfristige Performance und Gebührenmodelle definieren, setzt Baillie Gifford auf ein Modell, das in seiner Konsequenz fast aus der Zeit gefallen wirkt – und gerade deshalb bemerkenswert ist.
Die Kraft eines langen Atems
Was Baillie Gifford ausmacht, ist die Fähigkeit, langfristig zu denken und zu handeln und dies auch in Phasen, in denen es den Unternehmen nicht rund läuft. «Unser Research-Prozess ist einzigartig, unser Umgang mit Risiken unterscheidet sich von anderen. Über all das kann man sprechen. Aber im Kern sind unser Zeithorizont und unsere Fähigkeit, diesen Prozess konsequent zu verfolgen, der entscheidende Unterschied», sagt Stuart Dunbar, einer von 59 Partnern.
Stuart Dunbar, einer von 59 Partnern von Baillie Gifford. (Bild: zVg)
Darin liegt auch der grösste Unterschied zu anderen Asset Managern: Baillie Gifford wird nicht von externen Aktionären gehalten, sondern ist eine «unlimited liability partnership». Partner treten zum Buchwert ein und aus; es gibt keine Bewertungen, keine Buyouts, keinen internen Finanzdruck.
Mit dieser Prämisse lassen sich auch Zeiten aushalten, in denen es mal nicht so gut läuft. Genau wie jetzt. Stuart Dunbar macht kein Geheimnis daraus: «Unsere Einnahmen liegen wahrscheinlich 30 Prozent unter dem Niveau von vor drei Jahren. Das spielt jedoch keine Rolle. Wir sagen uns: Das gehört dazu, wenn man ein Investmenthaus führt. Manchmal läuft es gut, manchmal weniger gut», sagt er.
Plädoyer für «Quality Shareholders»
Dies widerspiegelt sich auch bei den Investments. Für Baillie Gifford ist entscheidend, wie die Beziehung zwischen Eigentümern und Unternehmen aussieht – und nicht, ob ein Unternehmen privat oder börsennotiert ist.
Das Credo: Gute Aktionäre sind langfristig orientiert, kennen das Unternehmen in der Tiefe und geben dem Management die Freiheit, strategische Entscheidungen über Jahre umzusetzen. Dieses Ökosystem verschwindet jedoch zunehmend, weil immer mehr Kapital passiv investiert wird und damit aktives Engagement zurückgeht.
Langfristiges Investment bedeutet bei Baillie Gifford: mindestens fünf Jahre. «Unser Unternehmenshorizont liegt eher bei zehn bis fünfzehn Jahren. Ich denke jetzt darüber nach, wie unser Unternehmen in zehn Jahren aussehen wird. Ich werde dann im Ruhestand sein. Aber die Kultur hier ist die einer Art Generationenvertrag: Wir erben das Unternehmen und geben es in gutem Zustand an die nächste Partnergeneration weiter. So denken hier alle», sagt Dunbar.
Auf der Suche nach den Trüffeln
Baillie Gifford betreibt kein klassisches Länder- oder Sektor-Coverage. Die Suche beginnt immer mit der Frage: Wo verändert sich die Welt?
Oft führen technologische, wissenschaftliche oder gesellschaftliche Trends zu den vielversprechendsten Ideen: personalisierte Medizin, Software-gestützter Wirkstoff-Forschung, nachhaltige Energien oder digitale Plattformen in Schwellenmärkten. Erst danach wird geprüft, welche Unternehmen am besten positioniert sind – und ob deren Management langfristig denkt, Anreize richtig setzt und ambitioniert genug ist. So kam es, dass Baillie Gifford einer der ersten Asset Manager überhaupt war, der bei Tesla, Space X oder Nvidia eingestiegen ist; mittlerweile hat das Unternehmen seine Beteiligung beim amerikanischen Produzenten von E-Autos abgestossen.
Die Übergänge im Portfolio sind fliessend. Die jährliche Turnover-Rate liegt bei durchschnittlich 15 Prozent. Verkäufe erfolgen selten deshalb, weil Firmen schlecht geworden sind, sondern weil anderswo die Chancen grösser sind. Gleichzeitig hält Baillie Gifford an starken Wachstumswerten trotz kurzfristiger Rückschläge fest.
Wachsende Bedeutung privater Märkte
Baillie Gifford investiert zunehmend in private Unternehmen – nicht um Private Equity zu imitieren, sondern weil viele der interessantesten Wachstumsfirmen länger oder vollständig im privaten Bereich bleiben. Als Investor bringt die Firma vor allem «patient capital» und Erfahrung im Umgang mit Börsenkandidaten ein.
«Wir suchen Firmen, die dem Druck des kurzfristigen Kapitalmarkts widerstehen können. Häufig gelingt das, wenn Gründer oder Stiftungen die Kontrolle haben. Dann können sie langfristig denken», sagt Dunbar.
Präsenz in der Schweiz – Chancen in einem anspruchsvollen Markt
Seit 2019 hat Baillie Gifford ein Büro in der Schweiz. Das Geschäft läuft gut, wie Länderchefin Anna Bretschneider betont. «In Kontinentaleuropa zählen wir zu den erfolgreichsten Ländereinheiten», sagt sie. Die Struktur des Marktes mit Privatbanken und Wealth Managern, aber auch mit institutionellen Anlegern, passt zum Geschäft der Schotten.

Anna Bretschneider, die Schweiz-Chefin von Baillie Gifford. (Bild: zVg)
Dennoch sieht man Potenzial. Baillie Gifford arbeitet daran, Produkte und Prozesse besser auf globale Finanzinstitute auszurichten. Die Schweiz spiele dabei eine wichtige Rolle, nicht zuletzt wegen des Vermögenswachstums im Private-Banking-Segment, sagt Bretschneider.
UBS als Ausnahmefall
Eine der wenigen Schweizer Positionen ist die UBS – wegen ihrer globalen Vermögensverwaltung. Klassische Banken meidet Baillie Gifford, doch im Wealth Management erkennt man langfristige, strukturelle Wachstumstreiber, insbesondere in Asien.
Die Diskussion über einen möglichen Wegzug der UBS aus der Schweiz sieht man gelassen. «Gerüchte ignoriert man besser. Für uns ist dies nicht entscheidend, aus Sicht der Schweiz aber schon», sagt Dunbar. Entscheidend sei, dass die UBS weiterhin als globaler Vermögensverwalter funktioniere.
Zu den weiteren Schweizer Beteiligungen zählen im Weiteren Partners Group und Lonza. Beide Firmen passen gut zu den strategischen Überlegungen von Baillie Gifford: dominante Marktpositionen, starke strukturelle Trends und langfristig denkende Eigentümerstrukturen.
Vorsichtiger Optimismus für Europa
Mittelfristig ist Baillie Gifford «zögerlich optimistisch» (Zitat Dunbar) für Europa. Nicht als homogenen Wirtschaftsraum, sondern als Netzwerk von spezialisierten Ökosystemen: Biotech in Kopenhagen, Tech in Berlin, Finanzcluster in Amsterdam. «Es entstehen mehr funktionierende Innovations-Ökosysteme in Europa. Die USA werden politisch unberechenbarer, was Europa relativ attraktiver macht», sagt Dunbar.
Er selbst hat auf diese Entwicklung reagiert. «Ich habe jüngst viele US-Aktien verkauft und europäische gekauft, mit Blick auf die nächsten zehn Jahre», sagt er.
















