Die moralische Wertung von Luxus ist aktuell beliebt, weil sie politisch korrekt scheint. Doch sie greife zu kurz, findet die Markenexpertin Karin M. Klossek in ihrem Gastbeitrag.

Von Karin M. Klossek, Mitgründerin der Webseite Glorious Me

Die etymologische Definition des lateinischen Wortes Luxus erklärt es als Aufwand, Verschwendung und Prunk und sieht Luxus als eine vom Üblichen oder Gebotenen abweichende Haltung. Die moralische Wertung von Luxus ist aktuell beliebt, weil sie politisch korrekt scheint.

Das aktuelle Credo lautet, dass nicht der Besitz von Luxusprodukten glücklich macht, sondern Erlebnisse das tun. So klingt die Kreuzfahrt in die Antarktis schon fast esoterisch.

Auch wenn man sich gerne entrüstet von Luxus zu distanzieren scheint, die Marktzahlen sprechen eine andere Sprache. Laut Statista sind die Umsätze von Luxusgütern allein in Deutschland zwischen 2012 und 2019 kontinuierlich gestiegen und weiteres Wachstum in den kommenden Jahren ist angesagt. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung liegt der Umsatz an Luxusgütern 2019 bei 156 Euro pro Person.

Um es an dieser Stelle klar zu formulieren: Ich plädiere nicht etwa für weniger Luxus, sondern für mehr Luxus. Ich verspüre jedoch die Notwendigkeit, Luxus im gerade begonnenen Jahrzehnt wieder im ursprünglichen Sinn zu definieren.

Handwerk ist der Luxus im aktuellen Jahrzehnt

Die ursprüngliche Bedeutung, Luxus als Aufwand, als eine vom Üblichen oder Gebotenen abweichende Haltung zu definieren, ist als Ansporn zu sehen, sich nicht mit Mittelmass zu begnügen. Dem Winzer, der auf schwierigen Steilhängen arbeitet, die nur wenig oder keinen Maschineneinsatz erlauben, soll unser grösster Respekt gehören. Er könnte den Steilhang auch aufgeben und es sich in einer anspruchsloseren Topographie einfacher machen.

Wir bewundern die Sattler, die mit Leder umgehen können, die Näherinnen, die in Handarbeit luxuriöse Abendkleider besticken oder mit Applikationen versehen. Da die Fähigkeiten dieser alten Handwerksberufe immer selten werden, braucht es Luxus-Unternehmen wie Hermès, Loewe oder Chanel, die Ausbildungsinstitute für diese aussterbenden Handwerke unterstützen, um diese kunstvollen Fertigkeiten am Leben zu erhalten.

Die Sicherung des Fortbestands dieses Handwerks durch Luxuskonzerne ist als kulturelles Engagement zu sehen. Wer möchte in einer Welt leben, in der alle Produkte nur für die kurzzeitige Nutzung angelegt sind und danach nur Müll sind, weil sie nicht repariert oder genäht werden können?

Für begeisterte Enkel

Ein massgeschneiderter Anzug aus Palermo kann teurer sein, als ein Anzug von der Stange. Die Freude beginnt dafür beim massgeschneiderten Anzug bereits bei der Auswahl des Stoffes, des Futters und der Knöpfe, und die Freude hält nicht selten über Jahrzehnte an, denn so mancher modebewusste Enkel ist begeistert, den Anzug oder Mantel seines Grossvaters tragen zu können und damit cool wirken zu können.

Luxus ist aus dieser Sicht gerade dann Luxus, wenn er sich nicht ausschliesslich über das Preisschild definiert oder sich an bisweilen eher zweifelhaften Testimonials orientiert, die vorgeben, Bling-Bling wäre ihr Lebensinhalt. Eine gute Haltung zu Luxus orientiert sich etwa am ehemaligen spanischen Couturier Cristóbal Balenciaga, der sagte: «Eleganz besteht in der maximalen Reduktion».

Die Reduktion auf das Wesentliche

Diese Anleitung ist gerade bei einer modernen Definition von Luxusartikeln eine gute Leitschnur. Nicht das Übermass, sondern genau das richtige Mass ist erstrebenswert. Und dank moderner Technik ist es nicht mehr notwendig, alle Dinge tatsächlich selber zu besitzen. Das traumhafte Luxus-Abendkleid lässt für den Ball bei einem Online-Rent-Service ausleihen, das Auto sowieso. Smarte Besitzer von Weinkellern überlegen, welche und wie viele ihrer Weinflaschen sie tatsächlich noch trinken möchten und beauftragen einen erfahrenen Online-Wein-Broker, den Rest der Weinflaschen bei guten Marktbedingungen für sie zu versteigern.

Diese neue Form des Teilens und Mietens setzt handwerklich gute Produkte voraus, ganz im Sinne der Definition von Luxus. Ein Abendkleid aus schlechter Stoffqualität, das beim Kauf reizend aussieht, verliert nach der ersten Reinigung die Form. Langlebigkeit und somit auch Nachhaltigkeit hat einen Preis. Eine Freundin meinte beim gemeinsamen Shopping-Bummel: «Ich bin zu arm, um mir günstige Schuhe leisten zu können.» Sie hat Recht.

Technik ermöglicht Luxus in der Kultur

Eine atemberaubende Ausstellung zu sehen, die nicht in einem Museum in der Nähe stattfindet? Online bieten viele Top-Museen Einblick in ihre Häuser und mit guter Kameraführung kann das Erlebnis sogar weitaus entspannter sein, da man das Bild oder die Skulptur scheinbar zum Greifen nahe sieht und nicht mit vielen anderen Besuchern darum rangeln muss, einen unverstellten Blick darauf zu erhaschen.

Und wenn auch ein Besuch der Oper ein ganz eigenes, wunderbares Erlebnis ist: Im Kino oder am Bildschirm daheim lassen sich Richard Wagner oder Giuseppe Verdi sogar mit einem schönen Glas Rotwein dazu geniessen. Und natürlich lieben wir Venedig und den Besuch der Kunstbiennale dort. Aber nicht immer ist es möglich, nach Venedig zu reisen. Den Kurator der 58. Internationalen Biennale de Venezia, Ralph Rugoff, auf einem Rundgang durch die Giardini und Arsenale per Bildschirm zu begleiten, ist so gesehen ein luxuriöser Genuss und steigert die Vorfreude auf den Besuch der nächsten Kunstbiennale in Venedig.

Vielen Familienunternehmen verdanken wir Luxus-Artikel

Das Denken über Generationen hinweg und nicht ausschliesslich in Quartalszahlen, prägt die meisten Familienunternehmen. Eine Reihe der interessantesten Produzenten von Luxus-Artikeln im Sinne von handwerklicher Qualität sind Familienunternehmen. Feinstes, klares Glas wird bei Lobmeyr in Wien bereits in der 8. Generation produziert und bietet seinen Kunden den grossen Luxus, Glasserien über viele Jahrzehnte hinweg nachkaufen zu können. Peter Thonet fertigt im hessischen Frankenberg seit Generationen die legendären Thonet-Möbel, deren Stühle mit der Kaffeehaus-Tradition eng verbunden sind, und die Teppiche von Jan Kath stehen auf vielen Wunschzetteln, nicht nur zu Weihnachten.

In dieser Qualität, mit diesem handwerklichen Können und dieser Nachhaltigkeit wünschen wir uns im neuen Jahrzehnt mehr Luxus als weniger.


Karin M. Klossek arbeitete in Auckland, Sydney und London für Marken im Bereich Mode, Financial Services und Gesundheit mit dem Schwerpunkt strategische Markenführung. Zusammen mit der Designerin und Fotografin Maike Siever gründete sie 2018 die Lifestyle-Webseite Glorious Me.