Lange sah es so aus, als setze sich ESG als ethischer Goldstandard in der Vermögensanlage durch. In den USA ist der Hype um die drei Buchstaben nun aber vorbei. Und die Schweiz geht bei der ESG-Regulierung wieder einmal den falschen Weg, wie Adriano Lucatelli in seinem Gastbeitrag auf finews.ch feststellt.

Gegen ESG ist grundsätzlich nichts einzuwenden: ökologisch und sozial verantwortungsvolles Wirtschaften von Unternehmen, die erst noch eine gute Governance aufweisen (Environmental, Social & Governance). Das Zerrbild vom «homo oeconomicus», der sich beim Investieren nur an kurzfristiger Rendite ausrichtet, war schon immer in der Mehrheit falsch. Die meisten Leute wollen ihr Geld mit gutem Gewissen investieren. Privatkunden in der Vermögensverwaltung schätzen es, wenn sie entsprechend beraten werden.

Mit ESG-Kriterien den Faktor des guten Wirtschaftens in der Finanzwelt mess- und vergleichbar zu machen, ist eigentlich eine gute Idee. In Europa gibt es dementsprechend kaum ein Finanzinstitut, das sich heute nicht die drei Buchstaben auf die Fahnen schreibt. Doch in den USA erlebt diese Strömung derzeit eine Art Kernschmelze.

«Jenseits des Atlantiks ist der Begriff mittlerweile zum Unwort geworden»

Nachdem die grossen Asset Manager noch vor drei Jahren die Firmen, in die sie investierten, zu mehr ESG ermahnten – und ihnen andernfalls mit finanziellen Konsequenzen drohten – ist der Begriff jenseits des Atlantiks mittlerweile zum Unwort geworden. Das «Wall Street Journal» bezeichnete ihn kürzlich gar als «Latest Dirty Word in Corporate America».

Wie ist das passiert? Zwar können sich die meisten Leute im Abstrakten darauf einigen, dass Firmen ökologisch und sozial verantwortlich sowie gut strukturiert sein sollten. Was dies aber im Konkreten heisst, ist Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen.

In den USA ist auf konservativer Seite der Eindruck entstanden, unter dem Begriff ESG verberge sich ein woke capitalism, mit dessen Hilfe die Linke die Finanzmärkte kapern wolle und Firmen unter Druck setze. Es kam zu symbolträchtigen Auseinandersetzungen um den Klimawandel, um die pädagogische Agenda von Disney oder um Marketing-Kampagnen von Budweiser Light.

«Anstatt aus diesem Fehler zu lernen, wiederholt ihn die EU in verschärfter Form»

Aus dem Grund ist für die Republikaner ESG heute Teufelszeug. Sämtliche republikanischen Gouverneure haben den grossen Vermögensverwaltern mit dem Abzug von Geldern öffentlicher Pensionskassen ihrer Bundesstaaten gedroht, wenn diese die ESG-Agenda weiter vorantreiben.

Im Kern hat in den USA die konkrete Ausgestaltung von ESG durch die grossen Fondsgesellschaften einen massgeblichen Teil der Finanzindustrie und Politik befremdet. Man könnte sagen, dass es ein Problem der Über-Standardisierung war. In einer liberalen und demokratischen Wirtschaftsordnung kann man dem Einzelnen schlecht allzu detailliert vorschreiben, was er oder sie unter «gutem Wirtschaften» zu verstehen habe.

Anstatt aus diesem Fehler zu lernen, wiederholt ihn die EU in verschärfter Form. War in den USA der ESG-Trend vor allem privatwirtschaftlich getrieben – und erfindet sich unter neuen Bezeichnungen gerade neu – zwingt die EU in Zukunft sämtliche Vermögensverwalter und Banken, die ESG-Präferenzen ihrer Kunden nach standardisierten Kriterien abzufragen.

«Wie so oft nimmt die Schweiz die EU-Lösung und verschlimmbessert sie mit einem Swiss Finish»

Das hat etwas Gouvernantenhaftes und Unliberales. Brüssel masst sich die Deutungshoheit über ESG an und greift in die Geschäftsfreiheit der Vermögensverwalter ein. Ähnlich wie die Fondsgesellschaften in den USA, aber im europäischen Fall mit der Macht des Gesetzes im Rücken.

So nachvollziehbar der Wunsch ist, die Investoren vor Green Washing zu schützen: Solche Praktiken werden am wirksamsten durch die kritische Öffentlichkeit und den Markt sanktioniert.

Und die Schweiz? Wie so oft nimmt sie die EU-Lösung und verschlimmbessert sie mit einem «Swiss Finish». Über dieses haben die Behörden und die Schweizerische Bankiervereinigung so lange sinniert, dass die globale Finanz-Karawane schon längst weitergezogen ist.

«Die Schweiz sollte nicht auf paternalistische Konzepte setzen»

Der Begriff ESG mag teilweise abgelutscht, verbraucht und missbraucht worden sein – die Idee des verantwortungsvollen Investierens ist es nicht. Insbesondere die Schweiz sollte nicht auf paternalistische Konzepte setzen, sondern auf den Wettbewerb der Ideen mit den Vermögensverwaltern und ihren Kunden als Treiber der Innovation.


Adriano B. Lucatelli ist ein Schweizer Unternehmer und Mitgründer von Descartes, einem unabhängigen Fintech. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität Nevada (BA) sowie an der London School of Economics (MSc). Er promovierte an der Universität Zürich über die Thematik der globalen Finanzmarktaufsicht.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.46%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.68%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.09%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.09%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.69%
pixel