Finanzmärkte und Unternehmen haben sich heillos in der Wokeness verheddert. Der Ausweg lautet: Zurück zum Shareholder Value!, wie Adriano Lucatelli in seinem Beitrag für finews.first schreibt.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Die Führung eines Unternehmens war noch nie trivial. Zielkonflikte sind dabei an der Tagesordnung. Ressourcen wie Zeit und Geld sind knapp. Deswegen kann eine Firma niemals alles machen, was sinnvoll wäre – umgekehrt kann sie aber sehr viel machen, was nicht sinnvoll ist.

In dieser Hinsicht hat man den Eindruck, dass wir uns bei den Prioritätensetzungen der Firmen an einem langjährigen Tiefpunkt befinden: Viele Unternehmen kultivieren wokeAnliegen und vernachlässigen dabei ihr Geschäft.

«In den USA schoss sich Victoria’s Secret mit Plus-Size-Models in den eigenen Fuss»

Ein besonders schwerwiegendes Schweizer Beispiel für dieses Problem ist die Credit Suisse (CS), deren Management anscheinend stärker mit Fragen wie der Verwaltungsrats-Diversity befasst war als mit den Entwicklungen innerhalb der Bankbilanz.

In Deutschland predigen die Auto-Hersteller unisono die Wende hin zum Elektromotor, obwohl dort nicht ihre Stärken liegen. Siemens Energy mit Joe Kaeser an der Spitze, der sich als Greta-Thunberg-Versteher profilierte, ist im Begriff, Staatshilfe zu beantragen.

In den USA schoss sich Victoria’s Secret mit der Umstellung auf Plus-Size-Models in den eigenen Fuss, Budweiser wollte seine eher konservative Klientel mit LGBTQ-Werbekampagnen «umerziehen,» was bei beiden erhebliche Umsatzeinbrüche bewirkte.

«Wie konnte es dazu kommen?»

Wenn Firmen sogar ihr Geschäft aufs Spiel setzen, um gesellschaftspolitische Statements abzugeben, läuft irgendetwas falsch. Wie konnte es dazu kommen? Vieles spricht dafür, dass es die Abwendung vom Shareholder Value seit den 1990er-Jahren war, die jüngst im Woke Capitalism kulminierte. Eine Firma, die auf Umsatz und Gewinn verzichtet, um einer Minderheit zu gefallen, hat mit Shareholder Value nichts mehr zu tun.

Um den Firmenlenkern die Orientierung zwischen «sinnvoll» und «nicht sinnvoll» zu erleichtern, wurden sogenannte Management-Philosophien erfunden. Wirtschaftsprofessoren und erfolgreiche Unternehmer haben immer wieder den Versuch unternommen, in analytischen Theorien jene Faktoren zu identifizieren, die ein erfolgreiches Wirtschaften garantieren sollen. Manche von ihnen sind eher praktisch orientiert, andere eher theoretisch. Manche füllen ein ganzes Tablar in der Bücherwand, andere sind eher als Faustregeln für den unternehmerischen Hausgebrauch gestaltet.

«Das war eine Reaktion auf die Old Boys-Netzwerke»

Weil in modernen Aktiengesellschaften die Eigentümerschaft atomisiert ist, betrifft ein kritischer Punkt jeder ernstzunehmenden Management-Philosophie die Frage: Was ist die Stellung des Eigentümers im Unternehmen? Und ihre Beantwortung hat sich im Wandel der letzten Jahrzehnte deutlich verschoben.

In den 1970er- und 1980er-Jahren etablierte sich, zunächst in den USA, der sogenannte Shareholder Value, der den Gewinn des Aktionärs als erstrangiges Ziel der Unternehmensführung definierte. Die Aufgabe des Managers ist dabei die Maximierung des Ertragswerts des Aktionärs in Form von höheren Dividenden und der Steigerung des Aktienkurses.

Das war eine Reaktion auf die eher behaglichen Old Boys-Netzwerke, die es sich in den Ledersesseln der Boardrooms bequem gemacht hatten und gerne einmal Fünf gerade sein liessen – mit der Folge, dass sie in der amerikanischen Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre vielfach versagten. Akademisch bereitete vor allem Milton Friedman das Terrain für den Shareholder-Value-Ansatz vor. In einem Aufsatz für die «New York Times» schrieb er 1970: «Die soziale Verantwortung eines Unternehmens besteht darin, seine Profite zu steigern.»

«In Teilen des Manager-Establishments war der Shareholder Value wenig populär»

Diese Philosophie feierte in den 1980er-Jahren fast universelle Erfolge. Auch in der Schweiz hielt sie schliesslich Einzug, als aktivistische Investoren wie Tito Tettamanti die gemütlich-behäbigen Teppichetagen der hiesigen Wirtschaft aufzumischen begannen. In Teilen des Manager-Establishments war die Shareholder-Value-Philosophie wenig populär. Bereits 1992 setzte ihr der Betriebswirtschafts-Professor Robert Kaplan (Harvard Business School) gemeinsam mit dem Geschäftsmann David P. Norton die sogenannte Balanced Scorecard entgegen.

Anstatt sich auf die Maximierung des Ertragswertes für die Aktionäre zu konzentrieren, sollte das Management anhand von vier Dimensionen kurzfristige Entscheidungen auf den langfristigen Unternehmenserfolg ausrichten: Finanzdaten, Lernen und Wachsen, Geschäftsprozesse sowie Kundenorientierung. Damit war die bestechende Klarheit des Shareholder Value gebrochen – die Balanced Scorecard sagt nichts über die Gewichtung (balance) und über die Resultate (scorecard) aus. Für einen CEO ist es viel bequemer, in vier Dimensionen vage Rechenschaft abzulegen, als in einer Dimension klare Rechenschaft.

«Der Woke Capitalism ist ein Extrembeispiel des Stakeholder-Ansatzes»

Auf die Balanced Scorecard folgte der Siegeszug des sogenannten Stakeholder-Ansatzes. Dabei definiert das Unternehmen neben dem Aktionär eine beliebige Anzahl weiterer Anspruchsgruppen (stakeholder) wie beispielsweise Mitarbeiter, Kunden, aber auch NGOs oder «die Öffentlichkeit, deren Interessen es gerecht werden möchte. Die analytischen und Messbarkeits-Probleme, die bereits die Balanced Scorecard belasten, treten hier in verschärfter Form auf.

Der derzeit verbreitete Woke Capitalism ist ein Extrembeispiel des Stakeholder-Ansatzes. Er verankert gesellschaftliche Minderheiten wie Umweltaktivisten als wichtige Anspruchsgruppe eines Unternehmens. Dabei irritiert nicht nur die willkürliche Definition der massgeblichen Gruppen. Unabhängig von der Berechtigung der jeweiligen Anliegen in der gesellschaftspolitischen Arena: Als Instrument der Unternehmensführung ist ein solcher Stakeholder-Ansatz kontraproduktiv, wie die diversen Fehlentwicklungen zeigen.

«Die Lösung für dieses Problem kann nur lauten: Zurück zum Shareholder Value»

Die als Alternativen zum Shareholder-Ansatz entwickelten Management-Philosophien produzieren betriebswirtschaftliche Fehlschläge und verwischen die Verantwortung der Geschäftsleitung. CEOs können nach Belieben mit ihren vielseitigen Zielsetzungen jonglieren; maximiert wird dabei im Zweifel nur der eigene Lohn. Die Lösung für dieses Problem kann nur lauten: Zurück zum Shareholder Value mit seiner bestechenden Einfachheit und klaren Verantwortung.

Die Kritik am Shareholder-Ansatz, wonach er zu kurzfristigem Denken in Quartalsabschlüssen verleite, hielt einer genaueren Überprüfung noch nie stand. Auch die Befürchtung, dass Firmen dabei zu unmoralischen Bestien verkommen, war stets eine unbegründete Unterstellung interessierter Kreise. Bekanntlich besteht der Wert eines Unternehmens an der Börse aus dem Erwartungswert der abdiskontierten zukünftigen Erträge. Das ist ein sehr langfristiger Ansatz, der kurzfristiges Denken bestraft.


Adriano B. Lucatelli ist ein Schweizer Unternehmer und Mitgründer von Descartes Finance, einem unabhängigen Fintech. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität Nevada (BA) sowie an der London School of Economics (MSc). Er promovierte an der Universität Zürich über die Thematik der globalen Finanzmarktaufsicht.


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