Wie eine US-Börse Europa hilft, seine Unternehmen nicht an die USA zu verlieren
Die Vermutung liegt bereits ihres Namen wegen nahe: dass die OTC Markets Group International eine der vielen international tätigen ausserbörslichen Multi-Trading-Plattformen ist, die versuchen, den etablierten Handelsplätzen Liquidität und damit Börsenvolumen abspenstig zu machen. Sie führt allerdings in die Irre, trifft doch genau das Gegenteil zu. OTC Markets ist gemessen am Handelsvolumen eine der grössten amerikanischen Aktienbörsen, nach der New York Stock Exchange (Nyse) und der Nasdaq, und der grösste US-Handelsplatz für ausländische Aktien überhaupt.
finews hatte Gelegenheit, Executive Vice President Jason Paltrowitz während seiner Promotionstour durch Europa in Zürich zu treffen.
«List local, trade global»
Er sei auch hier, um gegen das «Narrativ der Medien» anzukämpfen, wonach immer mehr europäische Unternehmen die Nyse oder die Nasdaq gegenüber ihrer Heimbörse als primären Handelsplatz ihrer Aktien bevorzugen würden. OTC Markets will Schweizer und europäische Unternehmen zu etwas ganz anderem animieren: «List local, trade global.»
Paltrowitz kennt die US-Finanzindustrie und die dahinterstehende Marktinfrastruktur bestens, war er doch vor seinem Wechsel 2013 u.a. als Managing Director in der Investment Bank von J.P. Morgan für die Wertschriftenverwahrung, das Clearing und Collateral Management verantwortlich. Zudem war er auch lange in leitenden Positionen für BNY Mellon tätig, einer Bank, die sich auf Dienstleistungen in der Wertschriftenverwaltung spezialisiert hat.
Ausnahmeregelung bezüglich US-Börsenrecht
«Unser Geschäftsmodell beruht auf einem klar definierten regulatorischen Rahmen», erläutert Paltrowitz. Seine Börse ist der einzige US-Handelsplatz für Aktien ausländischer Unternehmen, die nicht der aufwendigen und kostspieligen Regulierung der US-Wertpapieraufsichtsbehörde SEC und entsprechend dem amerikanischen Börsenrecht samt Corporate-Governance-Bestimmungen (z.B. Sarbanes Oxley) untersteht.
Die Bedingung: Die Unternehmen müssen nachweisen, dass sie im Ausland (also meist im Domizilstaat) an einer adäquat regulierten Börse erstkotiert sind. Entsprechend fungiert OTC Markets immer nur als Zweitmarkt – und bildet damit keine Konkurrenz für die etablierten europäischen Handelsplätze. Die Abschlüsse an OTC Markets mit ausländischen Aktien werden in der Regel an der Heimbörse rapportiert; somit wird auch die Liquidität nicht fragmentiert. Im Gegenteil: «Wir bringen der Deutschen Börse und der SIX Swiss Exchange Liquidität, weil bestimmte US-Investoren erst dank uns in solche Aktien investieren können bzw. dürfen.»
Liquidität aus dem US-Markt kommt der Heimbörse zugute
Wenn es darum geht, die Vorzüge seines Modells gegenüber der Nyse und der Nasdaq hervorzuheben, ist Paltrowitz ganz in seinem Element. «Bei uns betragen die Kosten nur etwa 10 Prozent, und die ausländischen Unternehmen sind gleichwohl an einer regulierten und liquiden US-Aktienbörse vertreten, so dass amerikanische Investoren entsprechend einfach in ihre Aktien investieren können.» Und er ergänzt: «Es ist besser für Schweizer Unternehmen, ihre Kotierung in der Schweiz zu behalten; lieber ein grosser Fisch in einem kleinen Teich als ein kleiner in einem grossen.»
Zu den Dienstleistungen von OTC Markets gehört auch, sicherzustellen, dass sämtliche relevanten Börseninformationen zu den ausländischen Aktien auf Englisch über Kanäle wie Bloomberg oder Charles Schwab verbreitet werden und die Aktien auch eigene US-konforme Ticker (Börsensymbole) erhalten.
Roche: Glücklicher Kunde seit 2008
Paltrowitz kann schon einige bekannte Schweizer Unternehmen zu seinen Kunden zählen. Roche war im dritten Quartal mit einem Umsatz von 3,5 Milliarden Dollar Spitzenreiter innerhalb der Aktien der DACH-Region, aber auch Zurich und Sandoz verzeichneten mit 226 und 87 Millionen nennenswerte Volumen. «Roche ist seit 2008 unser Kunde und ist damit sehr glücklich», sagt Paltrowitz.
Der Fall Sandoz ist pikant, handelt es sich doch um ein Spin-off der selbst auch an der Nyse kotierten Novartis. Und die Tatsache, dass ausgerechnet Novartis für die Tochter einen anderen Weg gesucht hat als für sich selbst, spricht Bände», bemerkt Paltrowitz. «Anwälte, Buchprüfer und Revisoren sind eben auch in den USA ziemlich kostspielig.»
Interesse der US-Investoren an europäischen Aktien wächst
Er beobachtet zudem ein gestiegenes Interesse von US-Investoren am ausländischen und insbesondere am europäischen Aktienmarkt – was naturgemäss auch für sein Geschäft Wachstum verspricht. Der US-Markt werde stark von Tech- und AI-Werten (Mag 7) dominiert, zu diesem Klumpenrisiko kämen die Dollarschwäche und Schlüsselereignisse wie der Liberation Day. Europäische Aktien würden gegenüber ihren US-Pendants mit einem Abschlag gehandelt, obschon sich die Aussichten für die europäische Wirtschaft und damit die Unternehmen deutlich aufgehellt hätten.
Die gestiegene Nachfrage drückt sich in den Zahlen aus. Betrug das Volumen der an OTC Markets gehandelten europäischen Aktien an der in den ersten drei Quartalen 2024 noch 166 Milliarden Dollar, waren es im laufenden Jahr bereits 255 Milliarden. Für die Schweiz sind es 39 bzw. 45 Milliarden Dollar.
Das pikante Beispiel der London Stock Exchange
In der Regel melden sich die europäischen Unternehmen bei OTC Markets, wenn sie wollen, dass ihre Aktien für US-Investoren leichter handelbar werden. Ein jüngeres Beispiel dafür ist die London Stock Exchange, die aus naheliegenden Gründen wenig geneigt war, den Handel der eigenen Aktien der Nyse oder der Nasdaq zu überlassen und damit die direkten Konkurrentinnen zu stärken.
Aber es gibt bei OTC Markets zusätzlich zum Premium-Segment OTCQX auch das «Pink Limited», wo Unternehmen auf Wunsch von Brokern gelistet werden – und das hie und da als Sprungbrett in das Hauptsegment dient.
Enge Beziehung zu Aquis und Austausch mit der SIX
Während seines Besuchs in Zürich hat sich Paltrowitz auch mit dem Management und den Kotierungsspezialisten der SIX Swiss Exchange getroffen. «Wir helfen den europäischen Börsen, die Unternehmen im Heimland zu behalten, die Liquidität nicht zu zersplittern und zugleich den Zugang zu einer breiten Investorenschaft in den USA zu öffnen.»
Er betont zudem die besondere Beziehung zum Handelsplattformanbieter Aquis, den die SIX dieses Jahr übernommen hat. «Wir arbeiten schon lange mit diesem Technologiepartner eng zusammen.» Alle Beteiligten, die Unternehmen und die Heimbörse, profitierten davon, wenn OTC Markets als Kanal zum US-Kapitalmarkt dazu beitrage, die Liquidität im Domizilland zu erhöhen.
Glasklare Haltung zu privaten Märkten
Angesprochen auf den Boom der private Märkte antwortet Paltrowitz ziemlich unverblümt. Private Märkte, so argumentiert er, könnten in Bezug auf Preisfindung und Transparenz nicht mit öffentlichen, regulierten Märkten mithalten. Seine spitze rhetorische Frage dazu: «Erinnern Sie sich an die Wework-Affäre?»
Zumindest bei diesem Thema dürfte er für einmal die gleiche Auffassung vertreten wie seine Rivalen bei der Nyse und der Nasdaq.
















