Adrian Martinez: «Es gibt kein konkretes Projekt für einen Digital Bond der Eidgenossenschaft»
Es scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein, ist aber keine: Dass die Schweiz jederzeit zahlungsfähig und auch liquid ist. Verantwortlich dafür ist seit Anfang Jahr Adrian Martinez. Er leitet nämlich seither die Bundestresorerie, die Abteilung innerhalb der im Finanzdepartement angesiedelten Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV), die für die Mittelbeschaffung am Kapitalmarkt und die Bewirtschaftung der Liquidität zuständig ist.
Dazu emittiert sie regelmässig im Auktionsverfahren Bundesanleihen («Eidgenossen») und Geldmarktbuchforderungen (GMBF), wobei die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Rolle der Hausbank übernimmt. Die wichtigste Investorengruppe bilden inländische institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Versicherungen und Asset-Manager. Am Schweizer Anleihenmarkt gelten die Bundesobligationen als Referenzwert, die Eidgenossenschaft ist nach den beiden Pfandbriefinstituten gemessen am ausstehenden Volumen die drittgrösste Schuldnerin.

Die Fälligkeiten der Eidgenossenschaft sind gut verteilt. (Grafik: Bundestresorerie)
Die Bundestresorerie zählt rund 30 Mitarbeiter und hat neben ihrem Kerngeschäft zahlreiche weitere Aufgaben.
Im November hat die Tresorerie ihren Emissionskalender 2026 vorgestellt. finews.ch nutzte die Gelegenheit, ihrem Leiter dazu und zu anderen wichtigen Finanzthemen Fragen zu stellen.
Herr Martinez, Sie sind seit einem Jahr im Amt, leiten aber bereits seit 2018 die operativ am Markt tätige Einheit der Bundestresorerie. Haben Sie überhaupt noch etwas dazulernen müssen?
Ja, es kam einiges Neues hinzu, weil ich jetzt für die ganze Wertschöpfungskette verantwortlich bin. Beispiele sind das ganze Post-Trading und das Risikomanagement, aber auch ergänzende Bereiche wie die Sparkasse Bundespersonal oder das Inkasso, wo ich jetzt einen viel tieferen Einblick habe. Ich kann mich aber auf äusserst kompetente und engagierte Mitarbeitende stützen, was mir den Einstieg erleichtert hat.
Wer eine Führungsposition übernimmt, will doch Spuren hinterlassen. Die Tresorerie setzt seit Jahren auf zwei Instrumente, einfache Bundesanleihen und GMBF. Wäre nicht die Zeit reif für Innovationen wie inflationsindexierte Bonds und Fremdwährungsanleihen, wie sie in anderen Ländern zum Standard gehören?
In der Tat gibt es viele Ideen und Innovationspotenzial. Aber für uns steht der gesetzliche Auftrag im Zentrum: die Zahlungsbereitschaft jederzeit zu gewährleisten und sich dafür günstig am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Mit der Beschränkung auf zwei Instrumente können wir zudem über die ganze Zinskurve für einen liquiden Markt sorgen. Das mag im Vergleich zu anderen Ländern etwas langweilig klingen, ist aber ein bewusster Entscheid.
«In der Tat gibt es viele Ideen und Innovationspotenzial. Aber für uns steht der gesetzliche Auftrag im Zentrum.»
Immerhin haben Sie 2022 erstmals Bundesanleihen im Green-Bond-Format ausgegeben. Haben sich die damit verbundenen Erwartungen erfüllt?
Ja, wir wollten unterstützend wirken, um den an die Prinzipien der internationalen Kapitalmarktorganisation ICMA angelehnten Emissionsstandard in der Schweiz zu verankern und zudem ein Signal zugunsten von Sustainable Finance senden.
Und profitieren Sie von einem «Greenium», können also die Mittel günstiger beschaffen als über eine normale Anleihe?
Ein allfälliger Finanzierungsvorteil stand für uns nie im Vordergrund. In der Praxis ist es schwierig, ein Greenium zu messen. Die Investorenbasis ist sehr ähnlich, und anders als beispielsweise Deutschland lancieren wir keine Zwillingsanleihen. Dort sieht man in der Zwischenzeit allerdings auch, dass der Unterschied sehr klein ist.
«In der Praxis ist es schwierig, bei Green Bonds ein Greenium zu messen.»
Ein weiteres innovatives Format wären Digital Bonds. Weshalb fördert die Bundestresorerie diesen Bereich nicht mit einer entsprechenden Anleihe analog zu den Green Bonds? Schliesslich ist doch Digital Finance auch eine Priorität des Bundesrats, und die SNB ist in diesem Feld ebenfalls bereits aktiv.
Unser Auftrag lautet primär, dass wir uns am Markt günstig refinanzieren. Wir verfolgen natürlich die Entwicklungen und stehen auch im Austausch mit zahlreichen Akteuren. Aber es gibt derzeit kein konkretes Projekt für einen Digital Bond der Eidgenossenschaft.
Im November haben Sie das neue Emissionsprogramm angekündigt. Dazu müssen Sie den Mittelbedarf des Bundes abschätzen. Wie gehen Sie mit den Prognoseunsicherheiten um, die ja auf der Einnahmen- wie auch der Ausgabenseite beträchtlich sind, Stichwort Fehleinschätzungen bei den Steuererträgen und Extrawünsche des Parlaments?
Die Planung ist für uns in der Tat entscheidend. Wir können uns direkt von verschiedenen Stellen in der Bundesverwaltung informieren lassen, arbeiten eng mit den Kolleginnen und Kollegen der EFV zusammen und erstellen auf Basis aller vorliegenden relevanten Daten vierteljährlich die sogenannte Tresorerieplanung, so dass wir auch zeitnah sehen, wo es zu Abweichungen kommt. Es geht um sehr grosse Beträge, die Einnahmen und Ausgaben des Bundes summieren sich auf rund 90 Milliarden Franken jährlich, brutto betrachtet erreichen die Finanzflüsse sogar über 100 Milliarden.
«Unsere Liquiditätsreserven und unser GMBF-Programm sind zentral, damit wir unsere Flexibilität bewahren können.»
Mit Blick auf die verbleibenden Unsicherheiten ist es daher wichtig, dass wir unsere Flexibilität bewahren. Dabei spielt neben unserer Liquiditätsreserve auch unser GMBF-Programm eine zentrale Rolle. Deshalb geben wir jeweils im Emissionskalender für die GMBF eine Spannbreite an. Diese haben wir im jüngsten Programm gegenüber dem Vorjahr sogar etwas ausgeweitet. Mit unserem Kalender sorgen wir am Markt für Transparenz und signalisieren Verlässlichkeit.
Das geht so weit, dass einem das Gefühl beschleichen könnte, das Emissionsprogramm 2026 sei eine Kopie desjenigen von 2025.
Dank der Schuldenbremse beschränkt sich unser Emissionsprogramm im Wesentlichen auf die Refinanzierung der Anleihenfälligkeiten. Dadurch bewegen sich die Emissionsvolumen von Jahr zu Jahr in einem ähnlichen Rahmen. Immerhin haben wir neben der bereits erwähnten grösseren Spannweite bei den GMBF angekündigt, das Auktionsfenster weiter zu verkürzen, um den Prozess effizienter zu gestalten.
Können Sie etwas präziser werden?
Vor Jahrzehnten erstreckten sich Auktionen sogar über mehrere Tage, die letzte Reduktion erfolgte vor rund 15 Jahren. Die Marktteilnehmer geben bei den Anleihenauktionen das Gros ihrer Angebote stets gegen Ende der Auktionsfrist ein. Nach Gesprächen mit wichtigen Akteuren sind wir zum Schluss gelangt, dass eine Verkürzung sinnvoll ist, auch dank der Entwicklung in der Technologie und bei den internen Prozessen unserer Kunden ist dies heute problemlos möglich. Daher sind wir auch in der Lage, die Auktionen neu in 30 Minuten durchzuführen.
Sie haben die Liquiditätsreserve als zentrales Werkzeug erwähnt, dank dem die Tresorerie flexibel bleibt. Was ist die Zielgrösse, und wo sind die Mittel deponiert?
Diese Reserve sollte sich Ende Jahr zwischen 15 und 20 Milliarden Franken bewegen, im Jahresverlauf gibt es insbesondere aufgrund des saisonalen Musters der Steuererträge erhebliche Schwankungen. In dieser Liquidität berücksichtigt sind auch die Verpflichtungen des Bundes aus dem Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmen. Der Bund muss jederzeit in der Lage sein, dafür bis zu 10 Milliarden Franken Liquidität zur Verfügung zu stellen. Wir halten unsere Liquidität zum grössten Teil auf unseren Girokonten bei der SNB und können dort auch Festgeldanlagen tätigen. Seit 2019 sind wir auch als Liquiditäts-Provider am Repomarkt aktiv, was besonders zwischen 2022 und 2024, mit deutlich positiven Zinsen, attraktiv war.
«Für den Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmen muss der Bund jederzeit in der Lage sein, bis zu 10 Milliarden Franken Liquidität zur Verfügung zu stellen.»
Heute ist der Geldmarktzins wieder auf 0 Prozent gesunken, und die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe schwankt um bescheidene 0,25 Prozent. Wo sieht Ihre Einschätzung der Zinsentwicklung aus?
Leider habe ich keine Kristallkugel und weiss auch nicht, wie die Zinskurve in einem Jahr aussehen wird. Aber man kann sich an den Markterwartungen orientieren. Anfang 2025 haben die Terminkontrakte (Forwards) ziemlich genau die Werte angezeigt, bei denen wir nun stehen. Allerdings gab es unter dem Jahr erhebliche Ausschläge, und ich hätte nicht damit gerechnet, dass die Renditen am langen Ende nochmals so tief sinken würden. Was 2026 betrifft: Die Märkte gehen von einem unveränderten SNB-Leitzins von 0 Prozent aus, und auch bei den langfristigen Zinsen wird eine Seitwärtsbewegung erwartet, internationale Entwicklungen könnten aber für Bewegung sorgen.

Die Zinskurve des Bundes liegt am kurzen Ende deutlich tiefer als vor einem Jahr. (Grafik: Bundestresorerie)
Die SNB hat jüngst für die relativ gestiegenen Refinanzierungskosten der Banken, die in der Differenz zum Swapsatz (Spread) zum Ausdruck kommen, u.a. das Mehrangebot an deutschen Bundesanleihen verantwortlich gemacht. Teilen Sie diese Auffassung?
Ja, auch wir sahen bei uns dieses Spread-Widening zum Swap. Die Europäische Zentralbank ist nicht länger als Anleihenkäuferin am Markt, und die Finanzierung der Infrastruktur-, Rüstungs- und Konjunkturpakete in Deutschland und in der EU dürfte für ein Mehrangebot an Anleihen sorgen. Auch wenn der «Eidgenoss» und der deutsche Bund keine Substitute sind, existiert historisch gesehen ein recht klarer Zinszusammenhang.
In Deutschland wurde für die Investitionspakete die Schuldenbremse ausgehebelt. Welche Rolle spielt die Schweizer Schuldenbremse für Ihre Tätigkeit?
Eine sehr wichtige. Wir gehen bei unserer Planung stets davon aus, dass die Schuldenbremse über den Planungszyklus eingehalten wird.
Andere Länder nutzen die tiefen Geldmarktzinsen, um sich vermehrt am kurzen Ende der Kurve günstig zu finanzieren. Warum tun Sie das nicht?
«Zwischen der Optimierung der Zinskosten heute und dem künftigen Zinsänderungsrisiko besteht ein Trade-off.»
Es gibt einen Trade-off zwischen der Optimierung der Zinskosten heute und dem künftigen Zinsänderungsrisiko. Das Finanzdepartement macht eine klare Vorgabe und räumt uns ein Risikobudget von 500 Millionen Franken ein. Das entspricht dem Betrag, dem man bei der Grösse des Bundesbudgets ohne grosse Programme erfahrungsgemäss einigermassen geräuschlos einsparen kann. Wir machen dann klassische Cost-at-Risk-Analysen mit verschiedenen Schuldenportfolios. Daraus ergibt sich eine optimale Schuldenstrategie mit entsprechenden Emissionsvorgaben. Zudem berücksichtigen wir die voraussichtliche Nachfrage, die ja nie homogen ist – Institutionelle haben gerne längere, Treasury-Abteilungen von Banken eher kürzere Laufzeiten. Wir wollen auch die ganze Kurve pflegen, d.h. alle Laufzeitsegmente liquid halten. Dann treffen wir den Entscheid.
Wie messen Sie die Liquidität im Handel mit den «Eidgenossen»?
Dafür gibt es diverse Indikatoren wie die Geld-Brief-Spanne und die Struktur der Liquidität im Orderbuch. Für uns ist die Ex-Post-Transparenz zentral, also die nachträgliche Rapportierung der Abschlüsse an der SIX. Leider hat sich in diesem Bereich die Datenlage aufgrund der Relativierung der Meldepflicht verschlechtert. Dadurch wird der Markt weniger transparent. Wir appellieren eindringlich an sämtliche Akteure, möglichst alle Abschlüsse zu rapportieren und sprechen auch mit der SIX über diese Thematik.
Und wie hat sich die Liquidität in dem Segment entwickelt?
Grundsätzlich gibt es keine grossen Veränderungen. Aber man sieht einen Ausreisser bei der Coronakrise, als der Bund plötzlich einen hohen Refinanzierungsbedarf hatte, der über den Markt gedeckt wurde. Das führte vorübergehend zu einer deutlichen Verbesserung der Liquidität. Wir tun, was wir können, um eine möglichst gute Liquidität sicherzustellen, z.B. mit der 2024 eingeführten Lending Facility und der damit verbundenen Umwandlung der Eigentranchen in Eigenbestände. Der Vergleich mit anderen Ländern hinkt, weil diese oft deutlich höhere Volumen aufweisen, was naturgemäss die Handelbarkeit erhöht.
«Wir appellieren an sämtliche Akteure, möglichst alle Abschlüsse mit ‹Eidgenossen› zu rapportieren und sprechen auch mit der SIX darüber.»
Sie tauschen sich regelmässig mit Arbeitskollegen aus anderen Ländern aus. 2025 bewegten Spekulationen um die Schuldentragfähigkeit der USA und Frankreich die Märkte. Was hat sich verändert?
Es gibt eine wachsende Polarisierung. Die Schweiz, quasi eine Insel der Glückseligen mit tiefer Inflation und tiefen Zinsen, bildet zusammen mit nordischen Staaten einen Club, der ganz andere Herausforderungen hat als die grossen Länder. Wir müssen in einem begrenzten Markt die Liquidität aufrechterhalten. Der wichtigste Grund für die komfortable Lage der Schweiz ist die hierzulande stabilitätsorientierte Geld- und Fiskalpolitik.
Wie messen Sie die Schuldentragfähigkeit eines Landes? Gemäss dem Maastricht-Kriterium für die Schuldenquote von 60 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) wären ja die meisten Länder schon lange jenseits.
Die Schuldentragfähigkeit bemisst sich nicht allein an der Schuldenquote. Eine weitere zentrale Grösse ist neben dem Wirtschaftswachstum das Verhältnis der Zinsausgaben zum BIP. In der Schweiz liegt die Quote auf 0,1 Prozent, im Durchschnitt der OECD-Länder beträgt sie 3,3 Prozent, einige Staaten sind bei 4 bis 5 Prozent, was mehr ist als die Verteidigungsausgaben im OECD-Schnitt. Der Indikator ist umso wichtiger, je höher die Schuldenquote ist, weil im Haushalt höhere Primärüberschüsse (Überschuss vor Abzug der Zinsausgaben) nötig sind, um die Schuldenquote zu stabilisieren.














