Wie sich Zurichs «Kuschelkurs» bezahlt macht

Die Bindung zu den Kunden verbessern und sich als deren Partner positionieren: Conny Kalcher, Chief Customer Officer, krempelt die einstmals steife «Zürich Versicherungsgesellschaft» in ein Unternehmen um, das menschennah, digital und empathisch sein will. Der Erfolg scheint ihr Recht zu geben. 

Sie haben Zurich einen starken kundenzentrierten Ansatz verpasst. Den Kunden besser verstehen und nicht nur die Policen und Produkte. Wie herausfordernd war es, die Mitarbeitenden auf diese Reise mitzunehmen?

Es war und ist immer noch eine längere Reise. Bereits vor sechs Jahren, als wir das «Customer Office» gegründet haben, hatte ich eine Vorstellung davon, wie wir diese Transformation gemeinsam mit unseren über 60'000 Mitarbeitenden umsetzen können. Es war von Anfang an entscheidend, sie miteinzubeziehen und zu motivieren.

Wie sind Sie vorgegangen?

Wir begannen damit, unsere Marke zu überdenken und zu definieren, wofür sie stehen soll. Zudem haben wir unser visuelles Erscheinungsbild überarbeitet. Wir wollten unsere Marke für heutige Kunden relevanter machen. Was bedeutet es, eine Versicherung zu sein, und wie können wir für unsere Kunden relevanter und moderner werden? Solche Fragen haben uns beschäftigt.

Eine neue Umgangsart mit den Kunden kann man nicht per Knopfdruck herbeiführen, wie sind Sie das angegangen?

Wir waren in der Vergangenheit zwar technisch sehr korrekt, aber oft zu sachlich und distanziert im Umgang mit den Kunden. Deshalb haben wir unser «Tone of Voice»-Programm eingeführt, um die Art und Weise zu ändern, wie wir mit Kunden sprechen.

«Der Markenwert ist um 35 Prozent gestiegen.»

So starteten wir zwei grosse Initiativen. Einerseits haben wir Empathie-Trainings für Kundenservice-Mitarbeitende durchgeführt. Statt beispielsweise in einem Gespräch zuerst nach der Versicherungsnummer zu fragen, erkundigt man sich, wie wir helfen können. Manche schätzen die persönliche Beratung, andere möchten schnelle, digitale Lösungen. Um dieses Verständnis zu verbessern, haben wir Szenario-Trainings mit Schauspielern durchgeführt. Andererseits machten wir uns daran, unsere schriftliche Kommunikation, alle Dokumente und Briefe klarer, verständlicher und mit weniger Fachjargon zu formulieren. Wir streben an, bis Ende 2025 bereits 60 Prozent unserer schriftlichen Kommunikation vereinfacht zu haben.

Wie haben Sie es geschafft, die Markenbeliebtheit zu verbessern? 

Es hat sich gezeigt, dass unsere Marke als eher distanziert und kühl wahrgenommen wurde. Das lag unter anderem daran, dass unser Design hauptsächlich aus Weiss und Blau bestand und die Bildsprache eher statisch war. Die heutige Welt ist dynamisch – Menschen sind es gewohnt, bewegte und animierte Inhalte auf Social Media zu sehen. Deshalb mussten wir unsere Marke diesem Wandel anpassen. Wir haben beschlossen, mehr echte Bilder zu verwenden und die Farbpalette zu erweitern. Die Kunden haben positiv darauf reagiert, und der Markenwert ist um 35 Prozent gestiegen.

Die Social-Media-Präsenz von «Zurich» hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Was hat diesen Wandel ausgelöst, und welche Erfolge haben Sie damit erzielt?

Klassische Werbung – etwa TV-Spots – hat nicht mehr dieselbe Wirkung wie früher. Deshalb haben wir unsere Strategie auf digitale Interaktion umgestellt. Anstatt nur Botschaften zu «senden», haben wir begonnen, Themen aufzugreifen, die für unsere Kunden wirklich relevant sind. 

Die Ergebnisse sind beeindruckend.

Genau, Instagram ist seit 2021 um 185 Prozent gewachsen, wir verzeichnen eine zehnfache Zunahme der Impressions und eine 22-fache Steigerung der Interaktionen. Besonders auf TikTok sind wir erfolgreich, da wir früh in das Format eingestiegen sind. Unsere Followerzahlen haben sich dort seit 2023 verachtfacht.

«Auf TikTok haben sich unsere Followerzahlen seit 2023 verachtfacht.»

Das hat auch mit der Generation Z zu tun. Wie sprechen Sie die junge Bevölkerung an?

Gen Z folgt nicht mehr den klassischen Lebenswegen wie frühere Generationen. Sie studieren, reisen, wechseln häufiger den Wohnort – und damit verändert sich auch ihre Nachfrage nach Versicherungen. Wir setzen auf Inhalte, die kurz, prägnant und unterhaltsam sind, etwa auf TikTok. Ein Beispiel aus Deutschland: Wir gehen auf die Strasse und fragen junge Leute, was sie über Versicherungen denken. Diese kurzen acht-Sekunden-Clips kommen sehr gut an und führen oft zu weiterem Interesse.

Die Vielzahl verschiedener Apps ist verwirrend, wie schaffen Sie da AbhilfeZurich hat zudem lange gewartet, eine eigene App zu lancieren. Hat man zu lange gewartet?

Wir waren nicht die Ersten mit einer eigenen App, das stimmt, aber das hat sich nun als Vorteil erwiesen: Die neue App «Zurich One» bietet eine moderne Nutzererfahrung und erhält in den App-Stores sehr gute Bewertungen. Das Kundenengagement in der App ist doppelt so hoch wie auf der Website. Unser Ziel ist es, verschiedene Apps miteinander zu verknüpfen, so dass sich Kunden nahtlos zwischen ihnen bewegen können.

Zurich möchte sympathischer werden und nicht nur über Sicherheit versprechen. Wie macht man das?

Es kommt auf die Erzählweise an. Wenn wir Versicherungen nur als «Schutz im Schadensfall» betrachten, ist das wenig spannend. Deshalb sehen wir uns als Partner unserer Kunden – nicht nur im Schadensfall, sondern auch präventiv. Ein Beispiel: In Italien erhalten Kunden eine Unwetterwarnung per SMS, so dass sie ihr Auto vor einem Hagelsturm in Sicherheit bringen können. 

Alles dreht sich um Kundenzufriedenheit. Aber letztendlich ist es ein knallhartes Geschäft. Passt das zusammen?

Wir zahlen tatsächlich eine sehr hohe Summe an Schadensfällen aus. Global haben wir letztes Jahr ungefähr 27,9 Milliarden Dollar an unsere Kunden ausgezahlt für Schadensfälle. Unsere Strategie ist darauf ausgerichtet, die Loyalität bestehender Kunden zu stärken. Das bedeutet, dass wir uns darauf konzentrieren, unsere Kunden nicht nur zu gewinnen, sondern langfristig zu halten. Ein zufriedener Kunde bleibt nicht nur länger, sondern erweitert oft auch seinen Versicherungsschutz bei uns. 

Sie sagen, dass der Weg zu mehr Kundenorientierung kein «softy-softy»-Geschäft ist. Was genau meinen Sie damit?

Manche Unternehmen betrachten Marketing nur als Kostenfaktor und denken, dass sie es einfach kürzen können, wenn es finanziell enger wird. Doch das ist ein grosser Irrtum. Marketing trägt massgeblich zum Geschäftserfolg bei. Bisher haben wir oft nur gezählt, wie viele neue Kunden wir gewinnen. In unserem letzten Dreijahreszyklus waren das neun Millionen neue Privatkunden. Aber diese Zahl allein sagt nicht viel aus.

«In drei Jahren wollen wir führend in der Kundenorientierung innerhalb der Versicherungsbranche sein. »

Deshalb haben wir die Kennzahl Net Revenue Retention (NRR) eingeführt. Sie zeigt, wie viel Umsatz wir mit bestehenden Kunden halten oder steigern können, indem wir ihre Bedürfnisse besser bedienen.

Das zeigt: Kundenorientierung ist nicht nur ein «weiches Thema», sondern ein zentraler Faktor für wirtschaftlichen Erfolg. Ein zufriedener Kunde bleibt länger, kauft mehr Produkte und empfiehlt uns weiter – und genau das wirkt sich direkt auf unsere Finanzergebnisse aus.

Wie geht Ihr Weg weiter die nächsten drei Jahre? Wohin entwickelt sich Zurich?

Wir haben vier strategische Schwerpunkte für unseren neuen Dreijahreszyklus: Erstens wollen wir das Vorsorgeschutzgeschäft der Lebensversicherung ausbauen. Zweitens das KMU-Segment: Wir verbessern das Angebot für kleine und mittlere Unternehmen. Drittens setzen wir einen stärkeren Fokus auf Firmenkunden im Segment «Mid-Market». Und viertens geht es um Apps und Digitalisierung, wo wir die Verknüpfung aller digitalen Services in einem Ökosystem anstreben.

Unser Ziel ist es, in drei Jahren führend in der Kundenorientierung innerhalb der Versicherungsbranche zu sein. Um das zu erreichen, wird es weiterhin unser Fokus sein, auf eine menschlichere und digitalere Kundenkommunikation zu setzen.