EZB-Zinsentscheid: Worauf alle jetzt achten

Die Analysten und Volkswirte sind sich bei den Erwartungen für den Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank am Donnerstag so einig wie selten. Es wird fest mit einer Leitzinssenkung gerechnet. Doch bei dem, was danach kommen wird, gehen die Meinungen auseinander.

Erst am Dienstag hatten die Inflationszahlen aus der Eurozone noch einmal Argumente für eine Leitzinssenkung geliefert.

Die Inflationsrate zum Vorjahr ist im Mai auf 1,9 Prozent gesunken, nach noch 2,2 Prozent im April, wie das Statistikamt Eurostat basierend auf einer ersten Schätzung mitteilte. Damit ist die Teuerung auf den niedrigsten Stand seit September 2024 gefallen. Sie liegt jetzt unter dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 Prozent.

Der Rückgang war stärker als von Volkswirten erwartet. Diese hatten mit einem Wert von 2,0 Prozent gerechnet.

«Es dürfte die EZB freuen, dass sich die Inflation wieder knapp unter ihrem Ziel von 2 Prozent befindet», kommentierte etwa Commerzbank-Chefökonom Jörg Kramer die Zahlen. Zwar liege die Kerninflation (ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel) mit 2,3 Prozent noch etwas darüber, dürfte aber in den kommenden Monaten weiter sinken.

Abnahme der Kerninflation erwartet

Dabei wird auf den stärkeren Euro verwiesen sowie auf die erwartete Waren-Schwemme aus China durch den Handelskonflikt mit den USA, was in Europa die Preise drücken dürfte. «Insofern wird die EZB ihre Leitzinsen auf der Sitzung am Donnerstag wohl nicht zum letzten Mal senken. Wir erwarten nach der Sommerpause einen weiteren Zinsschritt», heisst es bei der Commerzbank weiter.

«Die EZB hat für eine Zinssenkung in der kommenden Woche grünes Licht», ist auch Thomas Gitzel, Volkswirt der VP Bank, überzeugt. Ob es dann unmittelbar mit weiteren Zinssenkungen weitergeht, bleibe derweil aber fraglich. Bei einem Einlagensatz unter der Marke von 2 Prozent (aktuell 2,25 Prozent) wäre der daraus resultierende reale Leitzins negativ. Damit würde die EZB künftige Inflationsgefahren riskieren.

Pause im Juli – Zyklus aber noch nicht vorbei

Tomasz Wieladek, Chefökonom Europa bei T. Rowe Price, rechnet nach einer Senkung in dieser Woche mit einer Pause im Juli. Mit einer Senkung auf dann 2 Prozent werde die EZB den sogenannten «neutralen Zinssatz» erreicht haben. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass damit der Zinssenkungszyklus beendet werde.

Die EZB könnte die Zinsen im Juli unverändert lassen, um die wirtschaftlichen Folgen der US-Zölle für die europäische und die globale Wirtschaft abzuwarten. Wieladek rechnet im laufenden Jahr mit weiteren negativen Überraschungen. «Dennoch wird die EZB vorsichtig sein, die Zinsen unter 1 Prozent zu senken, es sei denn, die Weltwirtschaft steuert eindeutig auf eine Rezession zu.» Im laufenden Jahr rechnet er mit einer Senkung bis auf 1,25 Prozent.

«Wir gehen davon aus, dass die EZB in dieser Woche die Leitzinsen um 25 Basispunkte senken und die Leitlinien weitgehend unverändert lassen wird», heisst es auch im EZB-Ausblick der Bank of America. Das dürfte mit schwächeren kurzfristigen Wachstumsaussichten und einer leichten, aber anhaltenden Unterschreitung der Inflationsrate einhergehen. «Die Unsicherheit über die Prognosen ist gross, da nicht klar ist, inwieweit das deutsche Fiskalpaket umgesetzt werden wird.»

Datenlage gibt Takt vor

Es wird allgemein erwartet, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde die drei Elemente Inflation, massive Unsicherheit und die Notwendigkeit, weiter datenabhängig entscheiden zu müssen, betonen wird.

Eine Vorfestlegung werde sie vermeiden und sich alle Optionen offenlassen. Um sich auf mögliche Änderungen in der Handelspolitik in den nächsten Wochen vorzubereiten, werde sie die Notwendigkeit betonen, flexibel reagieren zu können.

Die Tür für eine Zinssenkung unter 2 Prozent wird damit offen bleiben.