Tom Lyons: «Eine Krise in Zeitlupe, die viele Firmen noch nicht erkennen»

In einem neuen White Paper warnt GenTwo davor, dass (vor allem kleine und mittelgrosse) Schweizer Asset Manager ihre besten Zeiten hinter sich haben: Die nähere Zukunft könnte Margendruck und Kundenabwanderung verheissen. Im Interview erklärt Co-Autor Tom Lyons, wie sich eine verdeckte Krise anbahnt – und was man dagegen tun kann.

Die verwalteten Vermögen wachsen, die Cost-Income-Ratios verbessern sich, und die Schweizer Asset-Management-Industrie geniesst weiterhin den Ruf der Stabilität. Doch Tom Lyons, Head of Communications and Content bei GenTwo und federführender Rechercheur hinter dem jüngsten White Paper des Unternehmens, hält das für trügerisch.

Er nennt es «Shelf Syndrome» – die Tendenz kleiner und mittelgrosser Manager, sich zu stark auf Produkte von der Stange «Shelf» und Standardstrategien zu verlassen. An der Oberfläche hält das die Strukturen schlank. Unter der Oberfläche jedoch, warnt Lyons, erodieren Margen, Markenwert und letztlich die Relevanz. Seine Analyse zeigt, dass dieselben Kräfte, die das globale Asset Management bereits umkrempeln – Fee Compression, Underperformance und der Wunsch der Kunden nach Individualisierung – auch in der Schweiz Fuss zu fassen beginnen.

Im Gespräch mit finews.ch argumentiert Lyons, dass die nächste Kundengeneration keine Beratungsgebühren mehr für austauschbare Produkte zahlen werde. Er erläutert, warum die Fähigkeit, massgeschneiderte, proprietäre Anlageprodukte schnell zu entwickeln, der Schlüssel zum Überleben sein könnte – und nennt einen praktischen ersten Schritt, mit dem jede Boutique den Sprung weg vom «Shelf» schaffen kann.


Herr Lyons, Ihr White Paper zeichnet ein düsteres Bild für kleine und mittelgrosse Asset Manager. Wie dramatisch ist die Lage wirklich?

Wir sagen nicht, dass die Lage dramatisch ist. Wir sagen, es ist eine Krise in Zeitlupe, die viele Firmen noch gar nicht richtig erkennen. Solche «stillen Krisen» sind jedoch gerade deshalb gefährlich, weil sie übersehen werden.

Hier sind einige der beunruhigenden Zahlen, jenseits der Schlagzeilen: Die operativen Gewinnmargen im europäischen Asset Management sind auf nur 11,1 Basispunkte der AuM gefallen – der tiefste Stand seit 2008. Gleichzeitig haben 95 Prozent der aktiv verwalteten Aktienfonds ihre Benchmarks über fünf Jahre verfehlt, und die durchschnittlichen Gebühren sinken weiter. Auf der anderen Seite nennen mittlerweile über die Hälfte der Investoren Underperformance als Hauptgrund, um ihren Asset Manager zu entlassen. Mittelgrosse Häuser werden also von beiden Seiten in die Zange genommen: oben der Margendruck, unten die Kundenerwartungen an die Erzielung von Alpha.

«Über die Hälfte der Investoren nennen Underperformance als Hauptgrund, um ihren Asset Manager zu entlassen.»

Unserer Meinung nach ist man als «Shelf»-gebundener Manager, der die Alpha-Generierung im Wesentlichen an Drittanbieter auslagert – die ihrerseits vielleicht nicht liefern –, in einer unmöglichen Position. Man verlangt Beratungsgebühren für Produkte, von denen die Kunden zunehmend wissen, dass sie diese direkt günstiger bekommen könnten.

Dramatisch ist nicht der derzeit gefühlte Schmerz (oder dessen Abwesenheit), sondern die subkutane Entwicklung. Wenn man diese Trends fünf Jahre nach vorne projiziert, sieht man Firmen zwischen sinkenden Erträgen und steigenden Kosten eingeklemmt, ohne Differenzierung, die ihre Existenz rechtfertigen würde. Das ist nicht nachhaltig.

Wenn man sich in der Schweiz umschaut, sieht man nicht allzu viel Schmerz im Asset Management. Sind die Warnzeichen vielleicht subtiler?

Sie haben völlig recht, dass die Schweiz an der Oberfläche gesund wirkt. Aber wenn man tiefer bohrt, erkennt man genau dieselben strukturellen Spannungen, die sich auch inernational aufbauen.

Die Swiss Asset Management Study 2025 von AMAS und Zeb ist in diesem Punkt sehr aufschlussreich. Trotz eines Wachstums von 5 Prozent und einer verbesserten Cost-Income-Ratio bleibt die Gesamtprofitabilität der Branche unverändert. Man muss sich das vor Augen führen – steigende Vermögen, bessere operative Effizienz, aber kein Gewinnzuwachs. Das ist ein klassisches Warnsignal für Margendruck. In unserem Bericht nennen wir noch weitere spezifische Warnsignale für die Schweiz.

Die Position der Schweiz ist also im Vergleich zu anderen Märkten noch stark, aber wir sehen dieselbe Dynamik – nur vielleicht mit zwei bis drei Jahren Verzögerung. Die Frage ist, ob die hiesigen Manager den derzeit noch bestehenden Spielraum nutzen, um sich anzupassen, oder warten, bis der Druck genauso gross ist wie anderswo.

Sie vergleichen manche Asset Manager mit Besitzern von Einkaufsläden, die nur verkaufen, was auch in den Regalen der Konkurrenz steht. Was genau ist das Problem an dieser Art von Spezialisierung?

Aus unserer Sicht ist nicht Spezialisierung das Problem an sich. Unterscheiden muss man zwischen fauler Spezialisierung versus intelligenter Spezialisierung. Wenn wir vom «Shelf Syndrome» sprechen, meinen wir Manager, die im Grunde Kuratoren statt Kreatoren sind.

Das ist aus mehreren Gründen problematisch: Erstens gibt es den erwähnten Margendruck. Zweitens das Alpha-Problem. Wenn das Angebot nur aus externen Fonds besteht, wird die Performance weitgehend der Zusammensetzung dieser Produkte folgen. Aber die Mehrheit der aktiven Fonds bleibt hinter ihren Benchmarks zurück. Man lagert also die Alpha-Generierung an Manager aus, die möglicherweise selbst nicht liefern.

«Die Kunden sehen BlackRock-, PIMCO-, Vanguard-Fonds in ihren Depotauszügen, nicht den Namen der eigenen Firma.»

Drittens – und das ist unserer Meinung nach entscheidend – wird man unsichtbar. Die Kunden sehen BlackRock-, PIMCO-, Vanguard-Fonds in ihren Depotauszügen, nicht den Namen der eigenen Firma. Mit der Zeit verwässert die Marke. Unsere Forschung zeigt, dass die Marke umso wichtiger wird, je stärker Produkte zu einer Commodity werden.

Das eigentliche Problem: Wenn die nächste Generation vermögender Kunden – gebührenbewusster und digital versierter – ihre Portfolios prüft, fragt sie: «Warum zahle ich X dafür, wenn es im Grunde ein Fonds-Mix ist, den ich selbst günstig nachbauen kann?»

Echte Spezialisierung bedeutet, über echtes Know-how zu verfügen und etwas zu schaffen, das andere nicht leicht kopieren können. «Shelf»-Abhängigkeit ist das Gegenteil – es ist das Auslagern der eigenen Kernkompetenz.

Eigene Anlageprodukte zu kreieren war traditionell teuer, risikoreich – auch aus regulatorischer Sicht – und quälend langsam. Ist es da nicht einfach klug, auf bestehende Fonds zu setzen?

Historisch gesehen war das absolut die rationale Wahl – und es erklärt, warum so viele Firmen überhaupt erst ins «Shelf Syndrome» abgedriftet sind. Einen traditionellen Fonds aufzulegen, konnte vier bis sechs Monate dauern, über 200'000 Dollar pro Jahr an Fixkosten verursachen und erforderte, innert drei bis fünf Jahren 150 bis 200 Millionen Dollar an Volumen einzusammeln, um nicht wieder geschlossen zu werden. Unter diesen Voraussetzungen war der Kauf bestehender Fonds völlig sinnvoll.

Aber diese Hürden fallen zunehmend.

Heute kann man mit Off-Balance-Sheet-Special-Purpose-Vehicles Investmentprodukte in Wochen statt Monaten emittieren – und das mit tieferen Vorlaufkosten. White-Label-Fondsplattformen ermöglichen es, auf bestehende Infrastrukturen aufzusatteln – man bekommt also seinen eigenen Fonds unter eigener Marke, ohne den gesamten Compliance- und Operations-Apparat selbst aufzubauen. Die regulatorische Komplexität, die dies früher verhinderte, wird mittlerweile von spezialisierten Plattformen industriell abgewickelt.

Gleichzeitig steigen die Kosten der Untätigkeit. Die Kundenerwartungen haben sich dramatisch verändert – Asset Manager sagen inzwischen, dass «Mass Customization» in den nächsten fünf Jahren entscheidend sein wird. Kunden wollen vermehrt massgeschneiderte Lösungen, ESG-Overlays, thematische Exposures und anderes, das Standardprodukte aus dem Regal schlicht nicht bieten können.

Das smarte Geschäft heute besteht darin, die neuen Werkzeuge zu nutzen, um die Produkt-Hoheit zurückzugewinnen – ohne die alten Infrastrukturkosten. Die Frage ist nicht, ob man sich den Aufbau eigener Produkte leisten kann, sondern ob man es sich leisten kann, es nicht zu tun, wenn die Konkurrenz genau diesen Schritt macht.

Sie schlagen «Assetization» als Ausweg vor. Was kann das im Alltag eines Asset Managers konkret bedeuten?

Ganz praktisch heisst Assetization: eine «Produktfabrik» zur Hand zu haben – also die Fähigkeit, Anlagestrategien schnell und effizient, unabhängig von der Grösse, in investierbare Produkte zu verwandeln.

Das kann so aussehen: Ihr Portfolio-Manager hat eine klare Meinung zu europäischen Small-Cap-Value-Aktien mit ESG-Screening. Statt nach dem «am wenigsten schlechten» externen Fonds zu suchen, der diese These ungefähr abbildet, loggt er sich in eine Plattform ein und strukturiert daraus sein eigenes Produkt – sei es ein Zertifikat über ein Off-Balance-Sheet-SPV oder ein Subfonds via White-Label-Plattform.

«Es ist wie ein ‹Minimum Viable Product›-Ansatz im Asset Management.»

Der Schlüssel sind Geschwindigkeit und Skalierbarkeit. Viele SPV-Plattformen ermöglichen heute wiederholte Emissionen unter einem Programm – sobald die Dachstruktur steht, lassen sich neue Serien relativ schnell und günstig auflegen. Im Kern baut man einen modularen Produktmotor, bei dem die schwere Arbeit – juristische Strukturierung, Verwahrung, Compliance – von Spezialisten erledigt wird, während man sich selbst auf die Anlagestrategie konzentriert.

Es ist wie ein «Minimum Viable Product»-Ansatz im Asset Management. Statt dass das Team sagt: «Das können wir nicht anbieten, weil es keinen passenden Fonds gibt», heisst es: «Geben Sie uns zwei Wochen, und wir bauen genau das, was Sie brauchen.» Die Kundengespräche verlagern sich von «Das haben wir im Regal» zu «Das können wir speziell für Ihre Ziele entwickeln».

Sie sagen, Manager verlieren ihre Markenidentität. Aber interessiert es Endkunden wirklich, wessen Name auf dem Produkt steht – solange die Performance stimmt, wie sie in den letzten Jahren mit eher langweiligen, standardisierten Produkten meist tat?

Genau in diese Falle sind viele Manager getappt – wenn die Märkte steigen, wirkt alles an der Oberfläche in Ordnung. Aber das Problem ist: Wir sind im Wesentlichen in einem Beta-getriebenen Bullenmarkt, in dem selbst mittelmässige Strategien erfolgreich aussehen.

Die echte Prüfung kommt, wenn man genauer hinschaut. Der aktuelle SPIVA-Report von S&P zeigt, dass 65 Prozent aller aktiven US-Large-Cap-Aktienfonds im letzten Jahr den Index verfehlt haben – und dass es in den letzten 15 Jahren keine Anlagekategorie gab, in der die Mehrheit der aktiven Manager outperformt hat.

Wenn Kunden Beratungsgebühren zusätzlich zu Fondskosten zahlen für eine Performance, die im Wesentlichen indexähnlich oder schlechter ist, wird das Wertversprechen fragwürdig.

Über die Performance hinaus gibt es ein grundlegendes Markenproblem: Wenn Kunden ihre Depotauszüge prüfen, sehen sie die Namen grosser Fondshäuser – nicht die eigene Marke. Für die Stärke der eigenen Marke kann das nicht gut sein. Fast die Hälfte aller Asset Manager ist inzwischen der Meinung, dass die Marke umso wichtiger wird, je mehr Produkte zu einer Commodity werden.

Markenidentität ist keine Eitelkeit – es geht darum, etwas Unverwechselbares vorweisen zu können, wenn Kunden den Gegenwert ihrer Gebühren hinterfragen. Wenn alles gleich aussieht, bleibt nur der Preis als Unterscheidungsmerkmal.

Was braucht es, um als kleiner Player im institutionellen Geschäft ein überzeugendes Anlageprodukt zu entwickeln?

Als kleiner Player überzeugende Produkte zu schaffen, hängt von zwei Dingen ab: erstens von Ideen, die es wert sind, verpackt zu werden, und zweitens von der richtigen Plattform, um diese Ideen schnell umzusetzen.

«Die besten Boutique-Produkte entstehen oft aus einer echten Lücke heraus.»

Bei den Ideen braucht es entweder proprietäre Investment-Insights – vielleicht eine eigene Quant-Strategie oder tiefes Branchen-Know-how, das Alpha generiert – oder man ist so nah am Kunden, dass man dessen spezifische Bedürfnisse besser kennt als jeder andere. Die besten Boutique-Produkte entstehen oft aus einer echten Lücke heraus: «Unsere europäischen Family-Office-Kunden fragen immer wieder nach Infrastruktur-Engagements mit Währungsabsicherung» oder «Wir haben diesen systematischen Ansatz für Emerging-Market-Credit entwickelt, der konstant Mehrwert bringt».

Das zweite Element ist eine Plattform, mit der sich diese Ideen schnell und kosteneffizient umsetzen lassen. Überzeugend ist dabei nicht nur das Produkt selbst, sondern auch die Geschichte dahinter: «Das gibt es, weil wir Ihnen zugehört und etwas speziell für Sie gebaut haben.»

Und wenn ich nun als Boutique-Manager Ihr White Paper lese und ein mulmiges Gefühl bekomme – was ist der erste konkrete Schritt, den ich nächsten Montagmorgen tun sollte?

Beginnen Sie mit dem, was wir «Shelf vs. Self Audit» nennen – etwas, das Sie buchstäblich am Montagmorgen machen können. Zerlegen Sie die Portfolios Ihrer Kunden in zwei Kategorien: «Shelf»-Produkte (Drittanbieterfonds und ETFs, die Sie nutzen) und «Self»-Produkte (alles Proprietäre, das Sie kontrollieren).

Berechnen Sie dann, was Sie das kostet. Addieren Sie die externen Managementgebühren, die in den Portfolios stecken – das ist Umsatz, den Sie im Grunde an andere Manager durchreichen, statt ihn selbst zu vereinnahmen.

Identifizieren Sie anschliessend Ihre «Assetization Sweet Spot» – einen Bereich, in dem Sie echtes Know-how haben oder immer wieder dieselbe Kundenanfrage hören. Nehmen Sie diese eine Idee und kontaktieren Sie einen Anbieter von Off-Balance-Sheet-Strukturierungs- oder White-Label-Fonds. Versuchen Sie nicht, alles selbst zu bauen – nutzen Sie Spezialisten, die die regulatorischen und operativen Hürden bereits gelöst haben. Holen Sie einen konkreten Zeit- und Kostenvoranschlag ein, um Ihre Idee als Produkt umzusetzen.

Es geht nicht darum, das ganze Geschäft über Nacht zu revolutionieren. Es geht darum, das Konzept mit einem Produkt zu beweisen, den Kunden zu zeigen, dass Sie gestalten statt nur kuratieren, und Ihrem Team das Vertrauen zu geben, dass dieser Wandel machbar ist.

Am wichtigsten: Setzen Sie sich eine Frist – sagen wir 90 Tage, um Ihr erstes proprietäres Produkt auf den Markt zu bringen. Nichts schärft den Fokus so sehr wie ein konkreter Zeitplan.


Tom Lyons ist seit über 25 Jahren in der Unternehmenskommunikation tätig und spezialisiert auf Strategie, Messaging und Thought Leadership für Finanzdienstleistungen, Fintech und neue Technologien (insbesondere Blockchain und KI). Er ist derzeit Head of Communications and Content bei GenTwo, einem Schweizer Fintech, das sich der Demokratisierung der Finanzproduktentwicklung und der Erweiterung von Investitionsmöglichkeiten verschrieben hat, und leitet dort die Bereiche Kommunikation, Medien, Research und Thought Leadership. Soeben hat GenTwo ein White Paper zur Situation der Asset Manager publiziert.