Pictet greift nach der Krone im Thematic Investing

Baukräne ragen über den weitläufigen Gebäudekomplex am Rand von Carouge. Pictet lässt hier mehrere neue Stockwerke errichten; einige sind bereits bezogen, lichtdurchflutet und mit Blick auf das alpine Panorama über der Rhonestadt. Es ist die passende Kulisse für eine traditionsreiche, eher verschwiegene Schweizer Privatbank, die sich nach oben und nach aussen erweitert – und dabei ihre Rolle in der globalen Asset-Management-Landschaft ins Zentrum stellt.

Das Interesse war entsprechend gross. Pressevertreter aus Ländern wie Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich und Spanien reisten an. Zum ersten Mal gewährte Pictet einen vertieften Einblick in jene Strategien, die das Haus im Stillen zu einem der weltweit führenden Anbieter im Bereich Thematic Investing gemacht haben.

Neue Aufmerksamkeit

Für besondere Beachtung sorgte sicher auch die Tatsache, dass nachhaltige Anlagen und ESG-Produkte derzeit unter politischem und öffentlichem Beschuss stehen.

Die Veranstaltung fand in einem der grosszügigen Sitzungszimmer statt – in einem Raum also, in dem sonst interne Strategietreffen oder diskrete Kundengespräche stattfinden. Die Atmosphäre war aufmerksam und neugierig, als Raymond Sagayam, einer der sieben geschäftsführenden Teilhaber und zuständig für das Asset Management, das Wort ergriff.

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Vorteil Unabhängigkeit: Raymond Sagayam, Managing Partner, Pictet Asset Management. (Bild: zVg)

Sechzehn Themen, 72 Milliarden Dollar

Sagayam zeichnete nach, wie sich das thematische Investieren zu einer tragenden Säule der Pictet-Identität entwickelt hat. Was vor fast dreissig Jahren als kleine Spezialeinheit begann, ist mittlerweile zu einer Plattform mit sechzehn Themen und knapp 72 Milliarden Dollar an verwaltetem Vermögen angewachsen. Für Pictet, sagte er, gehe es dabei nicht um modische Schlagworte, sondern um langfristige Überzeugungen im Einklang mit den epochalen wirtschaftlichen Strukturveränderungen unserer Zeit.

Ziel sei nicht, kurzfristigen Trends hinterherzulaufen, sondern jene Kräfte zu erkennen, die Gesellschaften und Wirtschaften über Jahrzehnte prägen: Demografie, Digitalisierung, Ressourcenknappheit, ökologische Anpassung – und die Investment-Chancen zu nutzen, die daraus entstehen.

Langer Atem statt Quartalsdenken

Sagayam betonte, dass Pictets Erfolg auf Geduld und Unabhängigkeit beruhe. Die Entscheidung, als eigentümergeführte Bank eigenständig zu bleiben, erlaube es dem Haus, jenseits von Quartalszyklen zu denken und Strategien mit langem Zeithorizont zu entwickeln. Diese Freiheit, verbunden mit einer wissenschaftsnahen Kultur, sei der Schlüssel, um Glaubwürdigkeit in einem Markt zu bewahren, der sich bisweilen in Marketingschlagworten verliert.

Er räumte ein, dass die Diskussion um Nachhaltigkeit derzeit polarisiert: Viele Vermögensverwalter überlegten, wie offensiv sie noch mit ESG auftreten sollten. Bei Pictet, sagte Sagayam, sei Nachhaltigkeit nie ein Etikett gewesen, sondern eine innere Überzeugung: Strategien mit Schwerpunkten wie Wasser, Energie, Ernährung und Biodiversität existierten lange, bevor ESG zum Finance-Buzzwort wurde – und sie seien erfolgreich, weil sie reale, langfristige Bedürfnisse adressieren.

Globale Präsenz

Von den total rund 5'400 Pictet-Mitarbeitern im Konzern arbeiten etwa 1'100 im Asset Management; fast vierzig Prozent davon als Investment-Spezialisten in neun globalen «Investment Centers». Die Sparte steht heute für rund ein Drittel des Anlagevolumens: von den 724 Milliarden Franken Kundenvermögen entfallen etwa 250 Milliarden auf Pictet Asset Management. Rund 70 Milliarden davon sind thematisch investiert. Laut «Morningstar» belegt Pictet damit weltweit den ersten Rang unter den aktiven Anbietern im Themenaktien-Segment.

Viele, wenn auch nicht alle dieser Fonds, erfüllen die Kriterien von Artikel 9 des EU-Regelwerks SFDR für nachhaltige Anlagen.

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Frühe Investorin in Brunello Cuccinelli: Caroline Reyl, Leiterin Premium Brands. (Bild: zVg)

Von Wasser bis Robotik

Das thematische Spektrum reicht von Wasser, erneuerbarer Energie und Holz bis zu Digitalisierung, Gesundheitsinnovation, Robotik und Smart Cities. Die Portfolios sind aktiv verwaltet und zielen darauf, langfristige Trends nutzbar zu machen. Manche Strategien – wie Water oder Clean Energy – laufen seit über zwanzig Jahren und zeigen, dass Pictet Nachhaltigkeit früh als wirtschaftliches Thema erkannt hat.

Innerhalb des Hauses gilt Thematic Investment als intellektuelle Disziplin. Analystinnen, Analysten und Portfolio-Manager arbeiten interdisziplinär. Sie verbinden Einsichten aus Technologie, Wissenschaft und Gesellschaft und erkennen daraus, wo Kapital von Transformation profitieren kann. So entstand eine der etabliertesten Thematic-Plattformen in der Asset-Management-Welt.

Ursprünge in den 1990er-Jahren

Die Wurzeln reichen zurück in die Mitte der 1990er: Hans Peter Portner, heute Leiter Thematic Equities, lancierte 1995 Pictets erste Strategie zum Thema Wasser. Was als Versuch in einem konservativen Genfer Umfeld begann, wurde zur Keimzelle einer global beachteten Plattform.

Heute führt Portner mit seinem Team sechzehn Strategien mit insgesamt rund 72 Milliarden Dollar. Investiert wird in diesem Bereich ausschliesslich in börsennotierte Aktien. Über 70 Fachleute kümmern sich um die Strategien, unterstützt von 14 Beiräten mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Industrie und unternehmerischer Praxis. Dieses Netzwerk, sagt Portner, sorge für Weitsicht.

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Pionier der 1990er-Jahre: Hans Peter Portner, Leiter Thematic Equities. (Bild: zVg)

Die Ströme der Veränderung

Thematisches Investieren bedeute, die grossen Linien globaler Transformation zu erkennen: die Megatrends. Sie seien die verlässlichsten Wegweiser in die Zukunft, formten Industrien und Gesellschaften über Jahrzehnte. Dementsprechend folgt jede thematische Strategie einem Horizont von mindestens 15 Jahren. Eine wichtige Devise sei es, in Lösungen und nicht in Elend zu investieren.

Das abgedeckte Spektrum ist breit: Rund 1'800 börsennotierte Unternehmen gehören zum thematischen Universum. Portner legte dar, dass diese in Sachen Umsatzwachstum und risikoadjustierter Performance den MSCI All Country Index übertreffen. Mit den Firmen, in die investiert wird, führt Pictet einen laufenden Dialog und nimmt die Aktionärsrechte aktiv wahr.

Wirkung messen und verstehen

Über klassische ESG-Berichterstattung hinaus misst Pictet die reale Wirkung seiner Themenportfolios. Jedes Investment wird einer Lebenszyklus-Analyse unterzogen – bestehend aus einem Fussabdruck, der die Wirkung des Unternehmens selbst untersucht, und einem Handabdruck, der die Wirkung seiner Produkte oder Dienstleistungen beschreibt. So entsteht ein ganzheitlicheres Bild davon, wie Kapital Fortschritt fördern kann.

Wie Megatrends entstehen

Um gesellschaftliche Megatrends zu identifizieren, arbeitet Pictet seit Jahren mit dem Copenhagen Institute for Future Studies zusammen. Dessen Forscher liefern das «Rohmaterial» für zukünftige Themen. Portner beschreibt das Verhältnis von Megatrends, Trends und Anlagethemen zueinander als ein gut vernetztes System von Gewässern und Strömungen.

Einblicke in die Strategien

Am Anlass in Genf wurden einzelne Strategien vertieft vorgestellt. Luciano Diana und Katie Self erläuterten «Global Environmental Opportunities», eine impact-orientierte Strategie, welche das Denkgebäude der begrenzten Ressourcen des Planeten («Planetary Boundaries») nutzbar macht. Wichtige Treiber wie steigender Datenbedarf, Elektrifizierung oder Rückverlagerung von Industrieproduktion seien weitgehend unabhängig von politischen Zyklen.

Die Strategie Digital, vorgestellt von John Gladwyn, hat ein Universum von rund 300 Unternehmen identifiziert, die gemeinsam eine Marktkapitalisierung von über 30 Billionen Dollar aufweisen. Aus diesen Titeln werden 30 bis 50 überzeugungsstarke Positionen gebildet und relativ aktiv gehandelt. Mit rund 6 Milliarden Dollar Volumen gehört diese Digital-Strategie zu Pictets grössten und erfolgreichsten Themenfonds: Eine Jahresrendite von 12,23 Prozent seit Lancierung bedeutet ein Plus von 4,25 Punkten gegenüber dem MSCI AC World Index.

Robotik und Premium Brands

Die Strategie Robotics, geführt von Peter Lingen und Daegal Tsang, fokussiert auf Automatisierung und künstliche Intelligenz. Seit ihrem Start 2015 erreichte sie eine Jahresrendite von 16,51 Prozent – 5,41 Punkte mehr als der MSCI ACWI. Fortschritte in der Robotik und Automatisierung, von Logistik bis Präzisionsmedizin, veränderten die Industriewelt tiefgreifend.

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Am Puls der Robotik: Daegal Tsang, Senior Investment Manager. (Bild: zVg)

Caroline Reyl und Gillian Diesen stellten die Strategie Premium Brands vor, die den Schnittpunkt von Markenexzellenz und Konsumentenwünschen abbildet. Sie investierte bereits zum Börsengang in Brunello Cucinelli und zählt Ferrari zu ihren Langfrist-Positionen. Trotz der jüngsten Delle im Luxussektor liegt die Gesamtrendite seit 2005 leicht über dem MSCI ACWI.

Schweizer Finance-Feinmechanik

Thematisches Investieren à la Pictet ist eine Form von Schweizer Finance-Feinmechanik: systematisch, wissenschaftlich und auf Beständigkeit ausgerichtet. Dieser Ansatz und die ihm zugrunde liegenden Megatrends müssen sich teilweise erst noch beweisen: Sind sie robust auch in Phasen politischer Paradigmenwechsel, technologischer Fortschritte und wechselnder Marktstimmungen? Immerhin hat aber die Idee selbst – die grossen Kräfte der Zeitgeschichte aufzugreifen und daraus geduldige Investmentstrategien zu formen – bereits zahlreiche Pictet-Kunden überzeugt.

Für ein Haus, das seit Generationen Wert darauf legt, in Jahrzehnten statt Quartalen zu denken, ist die Thematic-Plattform jedenfalls ein überzeugendes Bekenntnis zum langfristigen Denken. Mit der sorgfältigen Zusammenstellung seiner Strategien will Pictet die Welt  gestalten – genauso wie mit den neuen Stockwerken über der Genfer Skyline.