Benjamin Anderegg: «Raiffeisen Schweiz baut ein Credit Research auf»

Seit einem Jahr ist er Leiter Handel im Departement Firmenkunden, Treasury & Markets bei Raiffeisen Schweiz: Benjamin Anderegg gab dafür seine Position als Bereichsleiter Geldmarkt und Devisenhandel bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) auf, noch früher war er für die UBS Investment Bank tätig.

Heute führt er vier Handelsabteilungen mit insgesamt 70 Mitarbeitenden, die alle Märkte, Produkte und Anlageklassen abdecken. Der Kapitalmarkt Schweiz (Primär- und Sekundärmarkt, also Emission und Handel von Frankenanleihen) bildet dabei einen Schwerpunkt.

Ein wichtiger Entscheid – für Raiffeisen und den Obligationenmarkt

Eigentlich wollte finews.ch im Gespräch mit Anderegg im Circle (dem Zürcher Standort von Raiffeisen Schweiz) lediglich auf sein erstes Jahr in der neuen Funktion zurückblicken. Doch dieser nutzte die Gelegenheit, um unverhofft eine wichtige Neuigkeit zu verkünden: Raiffeisen wird ein eigenes Investment und Credit Research für den Schweizer Kapitalmarkt aufbauen.

Dadurch vergrössert sich das entsprechende Angebot, was für Schuldner und Investoren grundsätzlich eine gute Nachricht ist – vorausgesetzt, dass die Genossenschaftsbank das dafür erforderliche, doch recht spezifische Knowhow «einkaufen» bzw. selber aufbauen und entwickeln kann.

Breitere Abstützung des Swiss Bond Index in Sicht

Dass Raiffeisen Schweiz als im Emissionsgeschäft für Schweizer Schuldner aktive Bank in diesen Bereich einsteigt, gehorcht einer gewissen Logik. Seit dem Verschwinden der CS 2023 stufen nur noch die UBS und die Zürcher Kantonalbank (ZKB) sowie die Schweizer Ratingagentur Fedafin die Bonität inländischer Schuldner ein. Ihre Ratings sind auch für die Aufnahme von Anleihen in den Swiss Bond Index (SBI) relevant.

Die SIX hatte im Sommer eine Konsultation zu einer Anpassung des Ratingkriteriums für den SBI durchgeführt. Letzte Woche erklärte sie indes, nicht am Status quo rütteln zu wollen, ein Entscheid, der nach der Ankündigung von Raiffeisen in einem anderen, etwas milderen Licht erscheint.

Herr Anderegg, das Emissionsgeschäft und der Obligationenhandel laufen seit Anfang Jahr rund, obschon es immer wieder Schocks gegeben hat. Wie erklären Sie sich das?

In der Tat funktioniert der Schweizer Kapitalmarkt auch in einem anspruchsvollen Umfeld, was für Emittenten und Investoren, aber letztlich für die gesamte Volkswirtschaft eine gute Nachricht ist. Nach dem Liberation Day Anfang April kam es zwar zu einem Schreckmoment, doch rasch folgte die Erholung. Wie widerstandsfähig der Markt ist, zeigt sich auch daran, wie gut er das Ausscheiden der Credit Suisse (CS) und damit einer dominierenden Akteurin verkraftet hat.

«Der Schweizer Kapitalmarkt funktioniert auch in einem anspruchsvollen Umfeld, was letztlich für die gesamte Volkswirtschaft eine gute Nachricht ist.»

Die SNB hat den Leitzins auf 0 Prozent gesenkt, die Renditen sind wieder teilweise negativ – wie können Frankenobligationen so noch attraktiv sein?

Negativ rentieren zurzeit nur kürzere Laufzeiten von erstklassigen Schuldnern, darin unterscheidet sich die Situation von der Negativzinsperiode 2015 bis 2022. Der grösste Teil der Anleihen liefert immer noch positive Renditen. Auch die Risikoaufschläge (Credit Spreads) sind immer noch höher als damals. Das tiefe Zinsniveau führt dazu, dass einige Investoren bei der Schuldnerbonität etwas konzilianter werden. Darunter sind durchaus auch Privatanleger – Raiffeisen hat ja bekanntlich ein ausgesprochen breites Retailkundennetzwerk.

Anleihen in Dollar und Euro werfen aber doch eine deutlich höhere Rendite ab, oder?

Aber nur dann, wenn der Anleger bereit ist, das Währungsrisiko in Kauf zu nehmen. Sichert er dieses sauber ab, verschwindet die Mehrrendite gegenüber Frankenobligationen. Diese sind übrigens aufgrund der Verhältnisse am Termin- bzw. Swapmarkt auch für ausländische Investoren und Emittenten wieder attraktiv geworden.

Spricht nicht die eingeschränkte Handelbarkeit im Sekundärmarkt gegen Frankenobligationen? Es ist doch oft alles andere als einfach, eine grössere Position ohne Preiskonzessionen umzuschichten.

Ich würde die Liquidität insgesamt als recht gut bezeichnen. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass sie beispielsweise im grossen Segment der erstklassigen Schweizer Pfandbriefe besser ist als anderswo. Zentral ist, dass die Banken ihre Funktion als Market Maker und Liquiditätslieferanten weiterhin wahrnehmen und dafür Kapital einsetzen – und die Regulierung dies berücksichtigt. Ein liquider Handel ist ein wesentliches Element für einen entwickelten Kapitalmarkt und den ganzen Finanzplatz – Raiffeisen ist auch deshalb ein aktiver Market Maker.

«Für den Finanzplatz ist es zentral, dass die Banken ihre Funktion als Market Maker weiterhin wahrnehmen  – und die Regulierung dies berücksichtigt.» 

Raiffeisen hat in den letzten Jahrzehnten das Kapitalmarktgeschäft mit Schweizer Schuldnern aufgebaut und liegt nach dem Wegfall der CS nach UBS und der ZKB bei den Federführungen von Neuemissionen auf Platz drei. Haben Sie noch Ambitionen?

Selbstverständlich. Wir wollen den Abstand verkleinern und vielleicht auch mal Nummer zwei werden. Wir haben als Lead Manager ein breites Spektrum von Kompetenzen aufgebaut und können Mandate auch für Emittenten ausserhalb des Kreises der «üblichen Verdächtigen» übernehmen, z.B. für Finanzdienstleister wie dieses Jahr die EFG. Der Fokus liegt dabei klar auf dem inländischen Markt. Vereinzelt sind wir aber auch im Auslandsegment tätig, wo wir beispielsweise im Januar eine Anleihe für das Bundesland Nordrhein-Westfalen lanciert haben. Eines meiner Ziele ist es, dass im Markt noch besser wahrgenommen wird, was wir alles leisten können. 

Die Nummer eins und zwei bieten aber schon lange spezifisches Investment Research an und bewerten die Kreditqualität von Schweizer Schuldnern. Das fehlt bei Raiffeisen, oder?

Nicht mehr lange. Raiffeisen Schweiz wird selber eine solche Abteilung aufbauen. Sie wird beim bestehenden Economic Research angesiedelt sein, um die Unabhängigkeit zu wahren.

«Wir investieren in die Zukunft des Kapitalmarkts – und verbessern dadurch zugleich unsere Sichtbarkeit und Wahrnehmung.»

Das wird wohl nicht ganz günstig werden. Welche Überlegungen stecken dahinter?

Der Kapitalmarkt ist für die Gesamtbank wichtig. Der Schritt ist angesichts unserer bereits erwähnten Ambitionen in diesem Bereich folgerichtig. Ja, wir nehmen Geld in die Hand und investieren in die Zukunft des Schweizer Kapitalmarkts – und verbessern dadurch zugleich unsere Sichtbarkeit und Wahrnehmung.

Können Sie schon Namen und einen Zeitplan nennen? Werden die Raiffeisen-Ratings künftig im SBI berücksichtigt?

Wir haben bereits eine im Markt bekannte Persönlichkeit mit ausgewiesenem Track Record verpflichtet, die das Team aufbauen wird. Wir streben an, dass sich unsere Ratings als Kriterien für den SBI qualifizieren. Den Entscheid darüber trifft aber letztlich die SIX.