Corporate Governance: Unternehmen und Aktionäre leben in verschiedenen Welten
Der Corporate-Governance-Think-Tank und -Dienstleister Swipra Services hat die Ergebnisse zu seiner 13. Umfrage zu Corporate-Governance-Themen publiziert. Die wichtigste Erkenntnis, auf einen Nenner gebracht: Unternehmen und ihre Aktionäre scheinen, wenn ihre Einschätzung zu Kernpunkten einer guten Unternehmensführung als Mass genommen wird, in unterschiedlichen Welten zu leben.
Immerhin gibt es auch Erfreuliches: 74 Prozent der Investoren haben ein hohes Vertrauen in Schweizer Verwaltungsräte, bei der letzten Erhebung 2021 waren es erst zwei Drittel.
Nur 18 Prozent aller Aktionäre halten dagegen die Verwaltungsräte für dynamisch genug, um die Herausforderungen der Transformation bewältigen zu können, bei den Unternehmen bejahen dies immerhin doppelt so viele (was im Grunde immer noch ein zu tiefer Wert ist).
Zweifel an langfristigen Vergütungsanreizen
Noch grösser ist die Kluft bei der Frage, ob das oberste Leitungsorgan die Wahrnehmungen der wichtigsten Stakeholder in Entscheidungen einbezieht. 84 Prozent der Unternehmen sagen Ja, nur 18 Prozent des Aktionariats stimmen darin überein.
Ein Dauerbrenner in den Diskussionen zwischen den Investoren und den Unternehmen bleiben Vergütungsfragen. 62 Prozent der Unternehmen geben an, dass langfristige Vergütungsanreize helfen, die Interessen von Management und Aktionären anzugleichen, eine Aussage, der nur ein Drittel der Aktionäre beizupflichten mag.
«Blindes Vertrauen» bei Vergütungsfragen
Studienautor Christoph Wenk Bernasconi folgert: «Auch über zehn Jahre nach der Minder-Initiative bleibt ‹Pay for Performance› der Streitpunkt in der Schweizer Corporate Governance. Einfachere Systeme und mehr Transparenz in der Erklärung der Leistungserreichung würden helfen, Vergütungsentscheide besser nachvollziehbar zu machen. Im Vergleich zum Ausland erwarten Schweizer Verwaltungsräte von ihren Aktionären immer noch viel blindes Vertrauen.»
Unterschiedliche Wahrnehmungen gibt es auch im Bereich der Nachhaltigkeit. 81 Prozent der Unternehmen attestieren ihrem Verwaltungsrat ein wachsendes Bewusstsein dafür, bei den Aktionären sind es nicht mal die Hälfte.
Nachhaltigkeitsberichte ohne Mehrwert
Swipra hält im Zusammenhang mit der seit 2024 für viele kotierte Unternehmen obligatorischen Abstimmung über den Nachhaltigkeitsbericht fest, dass diese bisher keinen klaren Mehrwert geliefert hat. «Gerade die Hälfte der Schweizer Asset Manager findet die Abstimmung hilfreich; bei ausländischen Investoren und Unternehmen aus der Schweiz ist der Anteil noch geringer. Vielen Aktionären ist unklar, wozu genau ihre Meinung gefragt ist. Ist es die strategische Relevanz und die Vollständigkeit der Offenlegung, die Nachhaltigkeitsambitionen selbst oder die im vergangenen Jahr erreichten Ziele?», fassen die Corporate-Governance-Spezialisten den unbefriedigenden Status quo zusammen.
Auch beim Dialog zu Governance-Themen zwischen Verwaltungsrat und Aktionariat, der als Engagement bezeichnet wird, scheint es zu harzen. 61 Prozent der Unternehmen haben in den letzten drei Jahren diesbezüglich keine Verbesserung im Verständnis ihrer institutionellen Aktionäre oder der Stimmrechtsberater festgestellt. Die Zahl der Interaktionen zwischen dem Verwaltungsrats und den Aktionären ist zwar gestiegen, aber der angepeilte Mehrwert bleibt aus.
Schweizer Aktionäre reduzieren Ressourcen für Governance-Dialog
Swipra hält auch mit Erstaunen fest, dass über ein Drittel der Schweizer Aktionäre ihre Ressourcen im Bereich Stewardship und Governance-Analysen im letzten Jahr trotz Einführung des Swiss Stewardship Codes reduziert hat. Dagegen haben ausländische Investoren dafür mehr Mittel bereitgestellt.
Mit Blick auf die kommende Saison der Generalversammlungen kommentiert Swipra-Managing-Partner Barbara Heller: «Mit dem Fokus auf Transformation, Resilienz und Reputation rücken die Governance und die Rolle der Verwaltungsräte eindeutig noch stärker in den Mittelpunkt. Strategische Herausforderungen, damit verbunden eine optimale Zusammensetzung der Verwaltungsräte und die Vergütung als wesentliches Element der Governance bleiben die zentralen Themen.»
Breite Abdeckung des Aktienmarktes und des Aktionariats
Zur Umfrage, die Swipra in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich durchführte, waren sämtliche im Swiss Performance Index (SPI) repräsentierten Unternehmen sowie institutionelle Aktionäre aus dem In- und Ausland eingeladen. Von August bis November 2025 haben 81 Vertreter von an der SIX Swiss Exchange kotierten Schweizer Unternehmen, die 74 Prozent der SPI-Marktkapitalisierung entsprechen, teilgenommen.
Auf der Investorenseite antworteten 61 institutionelle Vermögensverwalter sowie Pensionskassen aus dem In- und Ausland. Gemäss Swipra halten diese Teilnehmer (ein Drittel davon mit Sitz im Ausland) mehrheitlich substanzielle Beteiligungen an Schweizer Unternehmen und vertreten mindestens einen Drittel der von den 500 grössten Vermögensverwaltern gehaltenen Aktienanlagen.
















