Auf Initiative der beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse entstand der Ausbildungsgang KV Berufsmaturität Fokus. Was die Erfahrungen nach dem ersten Jahr sind, hält Andreas Bischoff, Prorektor der Wirtschaftsschule KV Zürich, gegenüber finews.ch fest.


Herr Bischoff, an wen richtet sich das Projekt KV Berufsmaturität (BM) Fokus?

Für Lernende stellt die integrierte Absolvierung einer KV-Lehre in Kombination mit der Berufsmaturität bereits eine interessante Variante im Vergleich zu einer gymnasialen Mittelschul-Ausbildung dar, da sie berufspraktische Ausbildung mit Mittelschulbildung kombiniert.

Im Modell «KV BM Fokus» werden die Vorteile beider Welten zu einem spannenden Mix vereint. Das erste Lehrjahr ist ein Vollzeitschuljahr, die beiden folgenden widmen sich primär der berufspraktischen Ausbildung.

Daraus lässt sich schliesslich, dass die beiden Grossbanken bei der Rekrutierung von Lernenden der schulischen Motivation und der sprachlichen Affinität besonderes Gewicht einräumen sollten.

Richtig. Diese Auswahl ist im ersten Pilotjahrgang sehr gut geglückt. Das zeigen die Resultate der regelmässigen, externen Evaluationen durch die Pädagogische Hochschule Zürich. Die Motivationsstruktur zeigt anhaltend sehr hohe Werte. Auch weisen im Vergleich zu den Regelklassen markant weniger Lernende bereits nach dem ersten Semester grössere schulische Defizite aus.

«Für die Grossbanken stellt das Programm ein interessantes Instrument im War for Talents dar»

Der Ausbildungsgang spricht motivierte und leistungswillige junge Leute an, welche bereit sind, diese hohen Anforderungen zu erfüllen. Damit stellt das Programm ein für die Grossbanken interessantes Instrument im «War for Talents» dar, mit dem sie potenziellen Gymnasiast*innen eine interessante Ausbildungsalternative bieten können.

Was waren die grössten Herausforderungen bei der Lancierung dieses Ausbildungsprojekts?

Die Wirtschaftsschule KV Zürich ist die mit rund 4‘300 Lernenden grösste kaufmännische Berufsschule der Schweiz. Als Prorektor der BM1 bin ich für die Ausbildung von 800 BM1-Lernenden verantwortlich, mehr als alle BM1-Lernenden der übrigen Schulen in der gesamten Schweiz. Wir beschäftigen ungefähr 190 Lehrende, allein 55 im Fachbereich Wirtschaft und Gesellschaft, alle mit Lehrbefähigung auf Gymnasialstufe.

«Die Arbeit in den Gremien war anspruchsvoll, da doch sehr unterschiedliche Welten aufeinandertrafen»

Bei diesem Projekt musste zuallererst ein Lehrenden-Team zusammengestellt werden, das bereit war, für die erste Pilotklasse in kürzester Zeit die BM1 im kaufmännischen Bereich «neu zu denken». Dazu stand ab dem definitivem Durchführungsentscheid nicht einmal ganz ein Jahr zur Planung und Umsetzung zur Verfügung.

Es galt also, zusammen mit den Banken und dem CYP (Challenge your Potential), Konzepte für den digitalen Unterricht, den Fremdsprachenunterricht, das begleitete, selbstorganisierte Lernen (BSOL), Projekt- und Sportwochen zu entwerfen und durch die Strategiegruppe zu bringen.

Welche Rolle spielten die beiden Grossbanken?

Die Arbeit in den entsprechenden Gremien war sehr anspruchsvoll, da doch sehr unterschiedliche Welten aufeinandertrafen: die Grossbanken CS und UBS, die ÜK-Organisation CYP und unsere Schule.

«Somit waren wir ab dem ersten Tag des Lockdowns technisch bereit»

Die hochgesteckten Ziele motivierten aber alle Beteiligten, das Beste zu geben und konstruktiv Schritt für Schritt das Projekt auf eine solide Basis zu stellen und rechtzeitig zum Schuljahresbeginn 2019/20 bereit zu sein. Dies gelang auch durch die professionelle und umsichtige Projektleitung durch CYP.

Wie hat die Coronakrise eingewirkt?

Sie hat uns als Schule natürlich wie alle anderen Bildungsinstitutionen sehr stark herausgefordert. Aber gerade die Anforderung der Strategiegruppe, den Unterricht des Ausbildungsgangs konsequent digitalisiert zu realisieren, hatte einen sehr willkommenen Nebeneffekt für die Wirtschaftsschule KV Zürich: die notwendigen Investitionen und Weiterbildungen wurden schulweit gedacht und umgesetzt. Somit waren wir ab Tag 1 des Lockdowns technisch bereit, mit Office365 und Teams den Fernunterricht bestreiten zu können.

Die anspruchsvolle Zielerreichung im Bereich der Fremdsprachen konnte durch eine Mischung mit Halbklassen-Unterricht (4 von 6 Lektionen) und dem Einsatz von muttersprachlichen Fremdsprachen-Assistent*innen (2 Lektionen) geplant werden. Dieses Konzept lässt eine individualisierte Beschulung mit viel Abwechslung zu. Dies wiederum bedingt natürlich eine intensive Absprache zwischen den beteiligten Lehrenden.

Welche Anpassungen nehmen Sie nach dem Pilot-Projekt vor?

Mit der intensiven Begleitung des Projekts durch die Strategiegruppe und die Realisierer sowie den professionellen Evaluationen stellt KV BM Fokus eigentlich ein «Work in Progress» dar. Abläufe und spezielle Gefässe werden somit regelmässig kritisch begutachtet und bei Bedarf feinjustiert.

«Die Strategiegruppe prüft, das Modell auch in anderen Regionen anzubieten»

Alles in allem hat sich das Setting nach einem Jahr bewährt, auch wenn die Covid-19-Bedingungen während des zweiten Semesters den Pilotcharakter des ersten Durchlaufs natürlich etwas eingeschränkt haben.

Was sind die langfristigen Pläne des Projekts?

Unser gemeinsames Projekt genoss beachtliches Interesse. Dies hat dazu geführt, dass mehrere weitere Lehrbetriebe bei der Projektleitung ihr Interesse an diesem Ausbildungsgang angemeldet haben. Im Herbst 2019 wurde deshalb ein Informationsanlass im CYP organisiert. Als Resultat können wir für den zweiten Durchgang ab Schuljahr 2020/21 zwei Parallelklassen mit je 24 Lernenden führen (bisher eine Klasse à 24).

Die beiden Projekt-Gründerinnen Credit Suisse und UBS werden neu je 20 Lernende für das Programm rekrutieren (vorher je 10). Neu kommen acht weitere Lernende von fünf neuen Lehrbetrieben aus den Branchen Bank, Versicherung, öffentlicher Verkehr, Dienstleistung und Administration dazu. Darüber hinaus prüft die Strategiegruppe, das Modell auch in anderen Regionen anzubieten.

Das grosse Interesse zeigt auch, dass die strategische Stossrichtung einem Bedarf vieler Lehrbetriebe entgegenkommt, insbesondere grösserer Betriebe auf dem Platz Zürich, primär aus dem Bereich Banken/Finanzen.


Christian Bretscher 522

Viele erfolgreiche Karrieren haben mit einer Banklehre begonnen. Auch darum unterstützt der Zürcher Bankenverband den Ausbildungsgang KV Berufsmaturität Fokus, wie Christian Bretscher, Geschäftsführer des Zürcher Bankenverbands, im Interview mit finews.ch erklärt. 


Herr Bretscher, wieso unterstützt der Zürcher Bankenverband das Modell KV BM Fokus?

Die Berufslehre hat für die Bankbranche einen hohen Stellenwert. Viele erfolgreiche Karrieren haben mit einer Banklehre begonnen. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Der Zürcher Bankenverband (ZBV) unterstützt deshalb alle Bestrebungen, die dafür sorgen, dass die Berufslehre attraktiv bleibt.

Als vollwertige Alternative zum Gymnasium und als Zubringer für das Fachhochschulstudium ist die KV-Lehre mit integrierter Berufsmatura dabei ein ganz wichtiges Element. Das neue Modell stärkt ihre Attraktivität sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrbetriebe.

Wie beurteilen Sie das Projekt nach dem ersten Jahr?

Die KV Berufsmaturität Fokus ist mit grossem Erfolg gestartet. Die Rückmeldungen von Lernenden, Lehrenden und den beiden Lehrbetrieben sind ausgezeichnet, und die Nachfrage nach diesem Ausbildungsmodell ist gross. Es ist deshalb höchst erfreulich, dass im kommenden Schuljahr bereits zwei Klassen geführt werden können.

«Das ist eine solide Grundlage für die generelle Weiterentwicklung der Banklehre»

Ein positiver Effekt der Projektarbeit ist zudem, dass die drei Lernorte (Lehrbetriebe, ÜK-Organisation und Schule) durch die enge Zusammenarbeit näher zusammengerückt sind. Das ist eine solide Grundlage für die generelle Weiterentwicklung der Banklehre.

Wo sehen Sie den grössten Entwicklungs- oder Handlungsbedarf?

Die Reform «Kaufleute 2020» darf den Ausbildungsgang KV BM Fokus und andere innovative Modelle für leistungsfähige und -willige Lernende auf keinen Fall gefährden. Wenn die Berufslehre auch als Grundlage für den Erwerb eines Bachelors an den Fachhochschulen eine Zukunft haben soll, muss sie eine Alternative zum Gymnasium bleiben.

«Wir wehren uns entschlossen gegen alle Versuche einer Nivellierung nach unten»

Das ist nur möglich, wenn die Banklehre ihr traditionell hohes Niveau behält und attraktive Angebote für die Berufsmaturität möglich bleiben. Wir wehren uns deshalb entschlossen gegen alle Versuche einer Nivellierung nach unten.