Ethos kritisiert AT1-Bonds scharf und schiesst damit weit über das Ziel hinaus

Sukkurs für den Bundesrat in Sachen Eigenkapital für Banken von der Ethos Stiftung, die Pensionskassen bei der nachhaltigen und verantwortungsbewussten Anlagetätigkeit zur Seite steht. Sie begrüsst und unterstützt die vorgeschlagenen Änderungen der Verordnungen über die Eigenmittel und die Liquidität der Banken, insbesondere die Erhöhungen von Quantität und Qualität der Eigenmittel sowie der Liquidität systemrelevanter Institute.

Für Ethos geht der Bundesrat allerdings nicht weit genug. Die Reform der zusätzlichen Eigenmittel (Additional Tier 1, AT1) bleibe unvollständig. Der Bundesrat solle in einem nächsten Schritt Alternativen prüfen, einschliesslich der Abschaffung der AT1-Instrumente, fordert Ethos in einem Communiqué vom Montag. Ethos hat zudem bereits eine Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren zur Anpassung der Eigenmittelverordnung eingereicht und diese ebenfalls veröffentlicht.

«Grundlegende Risiken von AT1 nicht ausreichend thematisiert»

Ganz auf der Linie von Bundesrat, Finma und Nationalbank betont Ethos, die Stärkung hochwertiger Eigenmittel der systemrelevanten Banken leiste einen wesentlichen Beitrag zur Prävention künftiger Krisen. 

Moniert wird aber, dass die grundlegenden Risiken im Zusammenhang mit AT1-Instrumenten (der bekannteste Typus sind Contingent Convertibles, Coco) in der Vorlage des Bundesrats nicht ausreichend thematisiert werden. «Ihr Nutzen für die Sicherstellung der Fortführung der Geschäftstätigkeit einer Bank («Going Concern») bleibt ungewiss. Tatsächlich besteht ein reales Risiko, dass der Einsatz solcher Instrumente die Schwierigkeiten einer Bank sogar verschärfen könnte.»

«Negatives Signal kann Vertrauenskrise auslösen»

Ethos weist dabei auf eine potenziell heikle Eigenschaft solcher Instrumente hin. «Eine Unterbrechung der Couponzahlungen, eine Amortisation oder eine Umwandlung dieser Wertpapiere in Aktien, sei es bei Eintritt der vorgesehenen Bedingungen oder auf Verlangen der Behörden, könnte eine Vertrauenskrise auslösen. Dies könnte zu massiven Einlagenabflüssen und Verkäufen der Wertpapiere auf den Finanzmärkten führen und die Liquiditätskrise so weiter verschärfen.»

Der «Konkurs» der Credit Suisse (CS) im März 2023 habe gezeigt, wie schnell ein solcher Vertrauensverlust eine Bank schwächen kann. Dadurch werde der eigentliche Zweck von AT1, die Stabilität und Fortführung der Geschäftstätigkeit der Bank zu sichern, untergraben.

Abschaffung oder Ersatz durch hartes Eigenkapital

Negativ fällt Ethos' Beurteilung auch aus Investorensicht aus: Zwar könnten AT1-Instrumente gegenüber traditionellen Anleihen attraktive Renditen bieten, insbesondere in einem Umfeld niedriger Zinsen. Aber ihr Risikoprofil ähnle eher dem von Aktien ohne Stimmrecht, und mit AT1-Papieren werde «die Anlageklasse der Anleihen potenziell auf wenig transparente Weise durch aktienähnliche Produkte verwässert». Einige Vorsorgeeinrichtungen hätten erst zum Zeitpunkt der Krise und der vollständigen Abschreibung dieser Wertpapiere festgestellt, dass AT1-Anleihen der CS Teil ihrer Anleihenportfolios gewesen seien, hält Ethos zudem fest.

Der Bundesrat müsse daher Alternativen zu AT1 prüfen, «einschliesslich ihrer Abschaffung und ihres Ersatzes durch ‹hartes› Eigenkapital». Zudem soll er soll das Finanzdepartement beauftragen, die Diskussionen über die Reform der AT1-Bonds auf internationaler Ebene voranzutreiben. Bisher hat auf globaler Ebene einzig Australien einen Bann gegen das Instrument ausgesprochen. 

Ausblendung von relevanten Fakten

Was ist von der Breitseite von Ethos gegen AT1-Bonds zu halten? Die Kritik enthält valable Punkte, schiesst aber weit über das Ziel hinaus und blendet auch einige nicht unwesentliche Fakten aus.

AT1 wurden nach der globalen Finanzkrise 2008 massgeblich auf Betreiben der von den damaligen Ereignissen überrollten Regulatoren entwickelt. Seinerzeit mussten viele Banken enorme Abschreiber vornehmen, so dass das Eigenkapital rasch verdampfte – was zum Verlust des Vertrauens in das ganze System führte.

Ein Kind der Finanzkrise und ein bestechendes Konzept

Die Grundidee hinter AT1-Bonds ist bestechend: Das Instrument ermöglicht es Banken, in normalen Zeiten relativ günstig in grossem Umfang Mittel aufzunehmen (ohne, wie das mit Aktien der Fall wäre, die Eignerstruktur zu verändern). In einer Krise können die Titel in Eigenkapital umgewandelt werden (also dann, wenn man es am meisten braucht), um Verluste absorbieren. Das stärkt die Stabilität der Bank und auch des ganzen Finanzsystems.

Natürlich haben Coco & Co ihre Schattenseiten. Dazu gehört der von Ethos aufgezeigte mögliche negative Signaleffekt. Allerdings haben die meisten Banken auch andere Finanzinstrumente (Aktien, Credit Default Swaps, Anleihen usw.) am Markt, die erfahrungsgemäss ebenfalls sensibel auf einen Vertrauensverlust reagieren. Der Fall, dass quasi einzig ein Vorfall in AT1 wie ein Brandbeschleuniger zu einer ausgewachsenen Vertrauenskrise führen soll, erscheint doch etwas arg konstruiert.

Robuster Markt mit mehrheitlich glücklichen Investoren

Der Markt für AT1 hat sich, nach dem relativ kurzen Schreckmoment mit der Ungültigerklärung sämtlicher entsprechender Instrumente der CS durch die Finma im Frühling 2023, global sehr gut entwickelt und ist hierzulande ebenfalls wieder offen. Offensichtlich schätzen viele institutionelle Investoren und auch Pensionskassen die v.a. gegenüber traditionellen Bondanlagen attraktiven Renditen und nehmen dafür in Kauf, dass die Aufsichtsbehörden im Krisenfall grossen Einfluss haben; das Urteil darüber, ob die Finma ihr Ermessen im Fall CS überschritten hat oder nicht, obliegt bekanntlich dem Bundesverwaltungsgericht.

Voraussetzung für den sachgerechten Einsatz von AT1-Instrumenten ist natürlich, dass ihr spezielles Wesen (je nach Situation näher bei Bond oder Aktien) vom Investor einigermassen verstanden wird. Ethos' Feststellung, verschiedene Vorsorgeeinrichtungen hätten im Fall CS erst in der Krise realisiert, dass sie AT1 im Anleihenportfolios führten, wirft kein vorteilhaftes Licht auf die entsprechenden Verantwortlichen, betrifft aber nicht das Instrument per se.

Wer A sagt, muss auch B sagen – oder es ganz bleiben lassen

Abstrus ist der Vorwurf, dass AT1-Bonds die Anlageklasse der Anleihen verwässerten. AT1-Instrumente gehorchen anderen Gesetzen als herkömmliche Straight Bonds, und wer ihrer Komplexität im Portfoliokontext nicht entsprechend Rechnung trägt, hat wenig bis nichts begriffen.

Man kann aus durchaus achtbaren prinzipiellen Überlegungen nichts vom Instrument halten. Dann ist man auch nicht gezwungen, darin zu investieren. Und man muss sich dann auch nicht im Nachhinein darüber beklagen, dass das Verhalten des Instruments in einer Krise schwer antizipierbar ist.