«Top-Manager müssen über Chefetage hinaus aktiv sein»

Von Gérard Al-Fil, Dubai


Herr Hiranandani, Sie sind seit Jahrzehnten in den VAE und in Indien tätig. Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Geschäfts- und Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern?

Die Beziehungen zwischen Indien und den VAE haben sich zu einer strategischen und wirtschaftlichen Partnerschaft mit Tiefe und Resilienz entwickelt. Das CEPA-Abkommen hat den bilateralen Handel und die Investitionen – insbesondere in den Bereichen Immobilien, Infrastruktur, Technologie und erneuerbare Energien – beschleunigt.

Beide Volkswirtschaften sind wachstumsorientiert und ergänzen sich gegenseitig. Indiens Grösse und Talent passen hervorragend zum Kapital, zur Vision und zur globalen Vernetzung der VAE.

Was sind die grössten Erfolge ihrer Unternehmensgruppe?

In Indien zählen die Entwicklung von Hiranandani Gardens in Powai und Hiranandani Estate in Thane zu unseren Meilensteinen – aus unbebautem Land entstanden florierende integrierte Stadtteile mit erstklassiger Infrastruktur.

International zählen Projekte wie das Grosvenor House in der Dubai Marina und andere Schlüsselstandorte zu unserem globalen Fussabdruck. Ebenso bedeutend ist unser Einstieg in Rechenzentren und Bildung, im Einklang mit Indiens Zielen in den Bereichen digitale und Humankapitalentwicklung.

«Die jüngsten Krisen haben Resilienz und Innovation neu definiert.»

In Dubai wissen nicht alle, dass ikonische Hotels wie das Grosvenor House in der Dubai Marina mit ihrer Firma verbunden sind. Welche weiteren Wahrzeichen haben Sie in der Golfregion gebaut?

Die Hiranandani Group entwickelte den ikonischen 23 Marina Tower in der Dubai Marina – ein Wahrzeichen, das mit 90 Stockwerken zu den höchsten Wohnhochhäusern der Welt zählt. Dieses architektonische Meisterwerk definiert luxuriöses Wohnen neu, mit einem Weltklasse-Design für wohlhabende Eigentümer, die ein exklusives Lebensumfeld suchen. Das Projekt markierte einen wichtigen Meilenstein und unterstreicht unser Engagement für bessere globale Gemeinschaften und außergewöhnliche Wohnkonzepte über Indiens Grenzen hinaus.

Welche Zeit war rückblickend besonders herausfordernd?

Die Immobilienbranche hat einige Erschütterungen erlebt, aber zwei Ereignisse hatten besonders tiefgreifende Auswirkungen: die globale Finanzkrise 2008 und die Covid-19-Pandemie. Diese «Schwarzen Schwäne» brachten gewaltige Turbulenzen – Märkte brachen ein, Liquidität versiegte, das Vertrauen sank, politische Massnahmen wurden überarbeitet, und die Branche trat in eine Phase der Neuausrichtung ein.

«Dialog schafft Vertrauen, formt Wahrnehmung, inspiriert Entscheidungen und ermöglicht kollektiven Fortschritt.»

Doch aus diesen Herausforderungen gingen auch wichtige Lehren hervor: Sie machten die Notwendigkeit von Agilität deutlich, beschleunigten die Einführung digitaler Technologien, betonten finanzielle Vorsicht und regulatorische Konformität – und zwangen die Branche zur Neuausrichtung. Diese Krisen haben Resilienz und Innovation neu definiert und die Immobilienwirtschaft zu einer zukunftsorientierten, technologiegetriebenen und kundenfokussierten Branche weiterentwickelt.

Sie äussern sich regelmässig zu makroökonomischen Themen und scheuen nicht das Rampenlicht. Warum ist Ihnen der öffentliche Dialog wichtig?

Ich bin überzeugt, dass Dialog Vertrauen schafft, Wahrnehmung formt, Entscheidungen inspiriert und kollektiven Fortschritt ermöglicht. Für Führungspersönlichkeiten ist es essenziell, über die Chefetage hinaus aktiv zu sein. Indem wir unsere Perspektiven teilen, bringen wir Politik und Praxis in Einklang und verleihen Branchen wie der Immobilienwirtschaft – die BIP-Wachstum, Beschäftigung und urbane Transformation vorantreiben – eine stärkere Stimme. Wahre Führung lebt durch sinnvolle Mitgestaltung.

Die indische Rupie hat in den letzten fünf Jahren stark gegenüber dem Dollar an Wert verloren. Wie sind Sie mit diesem Wechselkursszenario umgegangen?

Eine Währungsabwertung kann ausländische Investitionen anziehen, da indische Vermögenswerte für globale Investoren wirtschaftlich attraktiver werden. In der Immobilienbranche hat dies insbesondere das Interesse an Gewerbeimmobilien gestärkt. Durch die Nutzung des Kostenvorteils einer schwächeren Rupie konnten wir Strategien entwickeln, die attraktive Renditen und langfristiges Wachstum betonen – und Währungsschwankungen so als Katalysator für Investitionen und Expansion nutzen.

«Die jüngste Stabilität der Rupie spiegelt die soliden makroökonomischen Fundamentaldaten Indiens wider.»

Der wachsende NRI-Bedarf (Non-Resident Indians) und Indiens robuste Devisenreserven wirkten als stabilisierende Faktoren. Durch angepasste Preisstrategien und die Nutzung dollarbasierter Zuflüsse hat die Branche Herausforderungen in Chancen verwandelt und trotz externer Schwankungen Stabilität und Wachstum bewahrt.

Die Rupie hat sich zuletzt stabilisiert. Ist Ihrer Meinung nach das Schlimmste überstanden?

Die jüngste Stabilität der Rupie spiegelt die soliden makroökonomischen Fundamentaldaten Indiens wider – darunter starke Devisenreserven, wachsende Exporte und eine kluge Geldpolitik. Trotz Herausforderungen wie Handelskonflikten und geopolitischen Krisen hat der indische Staat durch Haushaltsdisziplin, Infrastrukturausbau und Förderprogramme wie «Make in India» die Widerstandsfähigkeit gestärkt.

«Wir sehen KI oder Web3-Technologien nicht als kurzfristige Trends, sondern als Grundlage für den nächsten Wachstumsschub.»

Diese Korrekturmassnahmen und Strukturreformen haben Indien ermöglicht, die weltweit am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft zu bleiben und globale Unsicherheiten erfolgreich zu meistern.

Welchen Anteil haben KI und Web3-Technologien in Ihrem Geschäftsportfolio?

Wir integrieren derzeit aktiv KI-gestützte Analytik in der Bauüberwachung, im Kundenservice (z. B. Chatbots) und im digitalen Marketing. Unser Rechenzentrums-Geschäft ist auf die Unterstützung von Web3-Ökosystemen ausgerichtet. Wir sehen diese Technologien nicht als kurzfristige Trends, sondern als Grundlage für den nächsten Wachstumsschub.

Es gibt Diskussionen über Konkurrenz zwischen Indien und China. Können beide BRICS-Giganten nicht auch Partner entlang der Neuen Seidenstraße sein?

Abgesehen von der Geopolitik spricht die wirtschaftliche Vernunft für Zusammenarbeit. Indien und China haben jeweils einzigartige Stärken, die sich für eine koordinierte Wachstumsstrategie gut ergänzen können.

Welchen Rat geben Sie jungen Unternehmern mit auf dem Weg?

Beginnt mit Integrität, wachst mit Resilienz und entwickelt euch mit Neugier weiter. Seid in euren Werten verwurzelt, aber scheut euch nicht davor, das Bestehende infrage zu stellen. Indien und die Welt bieten heute zahllose Chancen – aber der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Kombination von Vision und Umsetzung sowie von Ehrgeiz und Empathie.


Nirandschan Hiranandani, 75, gehört laut Forbes zu den 100 reichsten indischen Staatsbürgern. Sein Vermögen wird auf 1,4 Milliarden Dollar geschätzt. Er begann seine berufliche Laufbahn zunächst als als Buchhaltungsdozent. Später leitete er eine Textilfirma und stieg in den dann in die Immobilienbranche ein.

Der aus Mumbai stammende Multi-Unternehmer ist Gründer und Co-Geschäftsführer der Hiranandani Group, gegründet 1978 mit seinem Bruder Surendra. Die Gruppe ist heute einer der grössten Immobilienentwickler Indiens mit einem breiten Portfolio in den Bereichen Immobilien in Indian und v. a. in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Dubai), Bildung, Gesundheitswesen, Gastgewerbe und IT-Zentren.