Paul Achleitner: «Die UBS ist sehr bewundernswert»

Unter den Managern der europäischen Finanzindustrie ragt ein Name heraus: Paul Achleitner. Er baute das Zentraleuropa-Geschäft von Goldman Sachs auf, wurde später Finanzchef des Versicherungskonzerns Allianz, den er durch die Wirren der globalen Finanz- und Euro-Krise steuerte. Bei der Deutschen Bank, deren Aufsichtsrat er von 2012 bis 2022 präsidierte, leitete er eine umfassende Transformation ein und holte den noch heute amtierenden CEO Christian Sewing, der allgemein als Glücksgriff gilt.

finews.ch hat Paul Achleitner vergangene Woche in der Schweiz getroffen. Im Beisein von Universitätsratspräsident Zeno Staub stellte er sein in diesem Jahr erschienenes Buch vor, in dem er seine Erfahrungen aus seinem Berater- und Managerleben verarbeitet: «Accelerate Your Experience. Principles for Success in a Fluid World.» Das Buch ist als Impulsgeber für das Lernen aus eigenen Erfahrungen konzipiert.

*** finews-Special ***

Paul Achleitner stiftet sechs Exemplare des weitgehend vergriffenen Buches für die Leserinnen und Leser von finews.ch. Die ersten sechs Personen, die sich bei der Redaktion melden, erhalten die englische Originalausgabe. Ein formloses Email unter Angabe der Postadresse an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. genügt – Bitte nicht mehr schreiben, sämtliche Bücher sind bereits vergeben.


Herr Achleitner, Sie schreiben, dass Sie als junger Mann eine Begeisterung für Che Guevara entwickelt haben. Was war der Reiz dieser Figur?

Einerseits natürlich – wie sich das für jeden jungen Mann gehört – der Kampf gegen Ungerechtigkeit oder gefühlte Ungerechtigkeiten. Und dann schon auch die Idee, Grenzen zu sprengen und bereit zu sein, eigene Wege zu gehen.

Trotzdem sind Sie dann an die Universität St. Gallen gegangen – mitten ins Herz des Kapitalismus. Wie kam es dazu?

Dazwischen lag ein sehr prägendes Jahr als Austauschschüler in Grand Rapids, Michigan. Da wurde ich als Bub aus der österreichischen Provinz vom amerikanischen Traum infiziert, und damit hat sich das Leben geändert.

Was hat Sie an diesem «amerikanischen Traum» so beeindruckt?

Die möglichst unbegrenzten Möglichkeiten. Die Familie, bei der ich lebte, war gehobener Mittelstand, aber im Vergleich zu dem, wo ich herkam, sehr beeindruckend. Damals war Gerald Ford Präsident, der kam aus Grand Rapids. Diese Idee: Du bist deines eigenen Glückes Schmied und kannst eigentlich alles schaffen, wenn du Gas gibst. Das hat mich geprägt.

«Wenn diese Regierung scheitert, bekommen wir nachhaltige politische und ökonomische Probleme.»

Wie muss man sich Grand Rapids damals vorstellen?

Es war eine blühende, mittelgrosse Stadt mit rund 350’000 Einwohnern, mittelständische Industrie, Automobilzulieferer. Wenn Sie heute hingehen, sieht man, dass es vielen Teilen nicht gut geht. 

Kommen wir nach St. Gallen: Hier haben Sie, wie Generationen von Studenten, das St. Galler Management-Modell kennengelernt.

Das war eine ganz wichtige Sache. Ich besuchte Vorlesungen bei Professor Hans Ulrich, der das Modell wesentlich geprägt hat, und hatte Doktorandenseminare bei Professor Fredmund Malik.

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Lesung an der Universität St. Gallen: Paul Achleitner (rechts) und Zeno Staub, Präsident des Universitätsrates. (Bild: zVg)

Ihr Buch liest sich wie eine praxisnahe Interpretation dieses Modells: Anspruchsgruppen, Umweltsphären, die Auflösung der Dichotomie von Shareholder Value und Unternehmensethik.

So sehe ich das auch. Das Wichtigste war diese ganzheitliche Betrachtungsweise: die Zusammenhänge zu verstehen, andere Perspektiven wahrzunehmen und dieselbe Herausforderung aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Und dann Lösungen zu finden, die breiter angelegt sind und nicht nur Partikularinteressen dienen.

«Das Letzte, was aktive Führungskräfte brauchen, sind Zurufe von der Seitenlinie.»

Besonders spannend finde ich Ihre Empfehlung, Anspruchsgruppen nach Wirkmächtigkeit zu ordnen, weil sich der Einfluss einzelner Gruppen im Zeitverlauf verändert.

Das bezeichne ich als «Shakeholder-Value», in Abgrenzung zu Stakeholder- noch Shareholder-Value. Es geht um die relative Einflussmacht, die eine Anspruchsgruppe gegenüber dem Management hat. Diese ist im Zweifelsfall entscheidend. Und diese Kräfte verändern sich. Wenn Sie ein gut funktionierendes Unternehmen sind, sind Ihnen die Banken nicht so wichtig. Wenn Ihnen das Wasser bis zum Hals steht, sind sie auf einmal sehr wichtig. Das gilt für viele Anspruchsgruppen. Es ist ein dynamisches Geflecht, und daher fand ich diese pragmatische Sicht immer interessanter als eine rein theoretische Stakeholder-Debatte.

Kritiker würden sagen, das sei ein opportunistischer Ansatz.

«Opportunistisch» ist ja ein interessantes Wort. Opportunist – ganz schlecht. Agil – auf einmal ganz toll. Wenn Sie mir den Unterschied genau erklären können, bin ich dabei. In einer fluiden Welt nicht agil zu agieren, ist keine Option. Ich tue mir schwer mit dieser Unterscheidung. Faktisch wird Macht ausgeübt. Das sehen wir auch auf geopolitischer Ebene. Damit müssen Sie umgehen.


Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Paul Achleitner über seine Karriere bei Bain und Goldman Sachs, über die heutige UBS und über die Unterschiede zwischen Banking und Versicherungswesen sagt.