Doha statt Washington: Die einmalige Chance für Schweizer Firmen
Steigende Energiepreise, geopolitische Unsicherheiten und Handelsbarrieren setzen die Schweiz unter Druck. Die Golfstaaten hingegen wachsen rasant und suchen verlässliche Partner. Das sei die Chance für Schweizer Unternehmen, schreiben Jeremias Kettner und Thomas Borer in ihrem Beitrag für finews.first.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Der Handelskonflikt mit den USA zeigt die Verletzlichkeit der Schweizer Exportwirtschaft. Wer der politischen Logik Washingtons ausgeliefert ist, findet sich in Ungewissheit und Abhängigkeiten wieder. Es braucht alternative Partnerschaften, die auf strategischer Verlässlichkeit und gemeinsamen Interessen beruhen.
Golfstaaten als Drehscheiben der Weltwirtschaft
Steigende Energiepreise, geopolitische Unsicherheit, wachsende Handelsbarrieren: In einem Europa der Polykrisen suchen Mittelständler nach Stabilität und Wachstumsmärkten. Gleichzeitig positionieren sich Golfstaaten als Drehscheiben der Weltwirtschaft. Die neutrale Schweiz hat als Brückenbauerin die Chance, beide Welten zu verbinden.
«Schweizer Firmen können als neutrale, diskrete Partner punkten.»
Katar bezeichnet sich als «Schweiz des Mittleren Ostens»– wirtschaftlich stark, politisch neutral. Dieses Selbstbild eröffnet Schweizer Unternehmen strategischen Zugang: Vertrauen, Verbindlichkeit, Qualität, Exzellenz. Die Golfstaaten suchen gezielt europäische Technologiepartner, um ihre Volkswirtschaften zu diversifizieren – weg vom Öl- und Gasgeschäft hin zu wissensbasierten Ökonomien.
Schweizer Firmen können als neutrale, diskrete Partner punkten. Ob in Bildung, Gesundheitswesen, Cleantech oder Luxusindustrie – Partnerschaften erfordern Vertrauen, das die Schweiz mitbringt.
Strategische Partnerschaften und nicht nur Renditen gefragt
Golf Money meets Swiss Precision: Während Katar über 450 Milliarden Dollar und der saudische PIF fast 900 Milliarden Dollar verwalten, sind zunehmend strategische Partnerschaften und nicht nur Renditen gefragt: Technologie, Know-how, und industrielle Exzellenz. Mittelständische Schweizer Unternehmen bringen dieses Know-how mit – von Reinraumtechnik über Kreislaufwirtschaft bis zu hochpräziser Industrieproduktion.
«Wer sich abheben will, muss zunehmend auch auf der Finanzierungsseite als Partner auftreten.»
Ein zentraler Ansatz sind «NewCo»-Konstrukte – neue Firmen in Freihandelszonen der Golfstaaten, die Schweizer Technologie mit Kapital aus dem Golf verbinden. Und das Wachstumspotenzial ist beträchtlich: Laut Weltbank wird die gesamte GCC-Region 2025 um 3,2 Prozent, 2026 um 4,5 Prozent und 2027 um 4,8 Prozent wachsen – mit Katar als Spitzenreiter, das 2027 voraussichtlich ein Plus von 7,6 Prozent erreichen wird. Geografisch liegen die Golfstaaten in der Mitte der Welt, mit unmittelbarer Nähe zu weiteren Wachstumsmärkten Asiens und Afrikas.
Chancen für Schweizer Family Offices
Aber eines muss man wissen: Die Golfstaaten sind knallharte Käufermärkte. Der Wettbewerb ist enorm, Europa nur ein Machtpol unter vielen. Wer sich abheben will, muss zunehmend auch auf der Finanzierungsseite als Partner auftreten. Alteingesessene Schweizer Family Offices, Investmentbanken und Private-Equity-Fonds können hier eine Rolle spielen.
Gerade für Unternehmen, die neu im GCC-Markt sind, empfiehlt es sich, auf einen erfahrenen Berater und Sparringspartner zu setzen, um Markteintritt und Ausbau effizient zu gestalten. Die Märkte folgen eigenen Regeln – von der Entscheidungsfindung über das politische System bis hin zu kulturellen Besonderheiten im Geschäftsgebaren. Wer diese versteht und strategisch adressiert, spart Zeit, reduziert Risiken und erhöht die Erfolgschancen erheblich.
Ansatzpunkte gibt es viele: Joint Ventures in Erneuerbaren Energien, Recycling, Gesundheitswirtschaft oder Künstlicher Intelligenz (z. B. ETH AI Center).
Stunde des Brückenbaus
Emerging Markets im Golf – die Antwort auf Europas Wachstumsdilemma? Während Europa mit Bürokratie, alternden Gesellschaften und Energiekrisen kämpft, bieten Katar und Saudi-Arabien starke steuerliche Vorteile, Stromkosten von teils nur einem Drittel der europäischen Preise und Logistikdrehscheiben wie Doha oder NEOM.
«Die Schweiz und die Golfstaaten teilen Werte wie Qualität und Neutralität – in einer Welt voller Unsicherheit ein Vorteil.»
Darüber hinaus besitzen die Golfstaaten entlang der Energie-Wertschöpfungskette beachtliches Know-how – von Exploration und Produktion bis zu Petrochemie und neuen Bereichen wie Wasserstoff, Smart Grids und nachhaltiger Infrastruktur. Schweizer Hidden Champions können hier durch lokale Fertigung, Innovationshubs und Wissensaustausch auf Augenhöhe Teil dieser Transformation werden.
Fazit: Die Stunde des Brückenbaus ist jetzt. Die Schweiz und die Golfstaaten teilen Werte wie Verbindlichkeit, Qualität und Neutralität – in einer Welt voller Unsicherheit ein entscheidender Vorteil. Für Schweizer Unternehmen und Investoren ist jetzt der Moment, diese Brücken zu schlagen – nicht nur als Exporteur, sondern als strategischer Partner der wirtschaftlichen Transformation. Die Möglichkeiten sind da. Man muss sie nur ergreifen.
Jeremias Kettner ist europäischer Experte für die Golfregion, Gründer der Beratungsfirma East West Bridges sowie Executive Chairman des gleichnamigen Investmentfonds.
Thomas Borer ist ehemaliger Schweizer Botschafter, Gründer und Vorsitzender der Beratungsfirma Dr. Borer & Partner AG.