Nationalbank bricht mit einem Tabu

Es ist eigentlich keine grosse Änderung in der Kommunikationspolitik, die Martin Schlegel, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), am Mittwoch in einem Referat vor der Tessiner Bankiervereinigung in Vezia angekündigt hat: Die SNB wird neu die Diskussionen des Direktoriums an den vierteljährlichen Lagebeurteilungen, die jeweils zwei Tage beanspruchen, vier Wochen nach dem Entscheid in zusammengefasster Form publizieren.

Die Offenlegung der wichtigsten Punkte in der Debatte über die Geldpolitik soll gemäss Schlegel «das Verständnis verbessern, wie wir unser geldpolitisches Konzept in der konkreten Situation anwenden». Er verweist aber auch darauf, dass die SNB damit einem internationalen Trend folgt. «Für Zentralbanken ist es zum Standard geworden, über ihre geldpolitischen Diskussionen zu berichten.»

Alte Forderung nach mehr Transparenz

Bislang hatte die SNB die seit Jahren immer wieder insbesondere auch aus akademischen Kreisen herangetragene Forderung, mit einer Veröffentlichung der Protokolle (ob in einer längeren oder gerafften Version) für mehr Transparenz zu sorgen, kategorisch abgelehnt.

Als diesbezüglich repräsentativ darf das etwas längere Votum von Jean Studer (damals Präsident des Bankrats der SNB) an der Generalversammlung 2017 gelten. 

«Wie Sie vielleicht wissen, möchten einige Zeitgenossen, dass die Protokolle der Sitzungen zu den geldpolitischen Entscheiden veröffentlicht werden, wie dies zum Teil im Ausland der Fall ist. Ebenso wie dem Bundesrat ist es mir wichtig zu betonen, dass wir auf die Eigenheiten der Schweiz Rücksicht nehmen sollten. Speziell hervorzuheben ist zum einen das in unserer politischen Kultur tief verankerte Kollegialitätsprinzip, dem das Direktorium ebenfalls verpflichtet ist. In der Öffentlichkeit muss das Direktorium geeint und mit einer Stimme auftreten. Zum andern handelt es sich beim Direktorium der SNB im internationalen Vergleich um ein kleines Gremium, so dass sich bei einer Publikation der Protokolle die Voten relativ einfach den drei Mitgliedern zuordnen liessen. Das Wissen um die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle würde somit den Gedankenaustausch sowie die Entscheidungsfindung im Direktorium und damit die Qualität der Geldpolitik beeinträchtigen. Ist ein geldpolitischer Entscheid einmal gefallen, wird er umfassend erklärt und begründet. Die Publikation der Protokolle würde keinen Zusatznutzen, sondern vielmehr Nachteile für unser Land bringen.»

«Entscheid des Direktoriums als Kollegium»

Diesen Bedenken trägt allerdings auch Schlegel mindestens teilweise Rechnung. Auch für ihn ist es zentral, dass in den Diskussionen um die Geldpolitik die Meinungen frei geäussert werden sollen können, ohne Bedenken mit Blick auf eine spätere Publikation. «Aus diesen Gründen wird die Zusammenfassung keine Details zu einzelnen Voten enthalten. Vielmehr wird sie die Beratungen und den Entscheid des Direktoriums als Kollektiv darlegen», stellt er in seinem Referat klar.

Vollzieht die SNB einen Paradigmawechsel oder bloss eine Praxisänderung? Es ist für die Geldpolitik keine Revolution, aber die Bedeutung der Symbolik des Schritts ist gleichwohl nicht zu unterschätzen. Das Direktorium unter Schlegel demonstriert damit, dass man sich vom «Übervater», dem langjährigen Präsidenten Thomas Jordan emanzipiert hat. Unter seiner Ägide wäre eine solche Anpassung der Kommunikationspolitik nur sehr schwer vorstellbar gewesen.

Bringt mehr Analysefutter mehr Transparenz?

Darüber, ob die unpersönlichen Zusammenfassungen tatsächlich substanziell zu einem noch besseren Verständnis der Geldpolitik in der Politik, an den Finanzmärkten und in der breiten Bevölkerung beitragen werden (oder bloss mehr Analysefutter für die Ökonomen bringen), lässt sich streiten; sinnvollerweise aber erst dann, wenn das erste solche Resümee auch vorliegt.

Eine anderer von Schlegel ebenfalls angekündigter Öffnungsschritt ist aber im Handy-Zeitalter überfällig. Neu publiziert die SNB auch die Folien, die Direktoriumsmitglieder an externen Anlässen (ohne einen eigentlichen Referatstext) präsentieren.