Paul Achleitner: «Die UBS ist sehr bewundernswert»

Ein aktuelles Feld ist ESG. Erst war es politisch stark gefördert, jetzt ziehen sich viele zurück und löschen alte Bekenntnisse von ihren Webseiten.

Ich glaube, wir müssen von den Schlagworten weggehen. Einer der Gründe, warum das Buch meine eigenen Erwartungen übertrifft, ist genau die Diskussion über die Legitimitätsdimension. Meine These: Führung heisst heute, die richtige Balance zu finden zwischen Leistungsdimension und Legitimitätsdimension. Leistung kennen wir im Wesentlichen. Die Legitimität umfasst all die Soft Factors, Likes, Dislikes, Emotionen. Dazu kommen staatliche Interventionen, politisch getrieben, beeinflusst von Emotionen, Medien, Wählern. Diese Dimension müssen Sie heute bespielen – in einer Welt sozialer Medien mehr denn je. Wenn Sie das nicht richtig machen, bekommen Sie ein unternehmerisches Problem. Die Headlines mögen sich ändern – ESG oder etwas anderes –, aber das zugrunde liegende Thema ist heute wichtiger denn je.

Sie haben Ihre Karriere bei Bain und Goldman Sachs begonnen. Gerade Goldman Sachs steht sehr für Performance und Mitarbeiterbeteiligung. Lagen Ihre beruflichen Anfänge klar auf der Leistungsseite?

Ganz sicher. Und das hat mir gut getan. Ich spreche im Buch von der «Illusion zufriedenstellender Minderleistung» und vom «Privileg selbst auferlegten Druckes». Wir neigen dazu, unsere Leistung als zufriedenstellend zu empfinden, solange sie besser ist als im Vorjahr oder als die des Kollegen. Ob das dem eigenen Potenzial entspricht, bleibt oft unbeleuchtet. Da würde ich jetzt einmal kühn sagen: Schönen Gruss an Deutschland als Gesellschaft und Wirtschaft! Man hat dort lange in der Illusion zufriedenstellender Minderleistung gelebt und schaut jetzt plötzlich nach links und rechts und wundert sich. Die Zeit bei diesen damals privaten Partnerschaften hat mich dazu gebracht, mich selbst immer wieder herauszufordern, mein Potenzial zu nutzen.

Was war Ihre wichtigste Lektion aus der Bain-Zeit?

Diese Idee der zufriedenstellenden Minderleistung kommt von dort. Und ich habe gelernt, zuzuhören. Sorgfältiges Zuhören, nicht nur so zu tun, sondern wirklich zu verstehen, wo der andere herkommt. Das ist eine sehr wichtige Eigenschaft für erfolgreiche Führung. Während man spricht, lernt man nichts Neues – manche schaffen das zwar, aber das ist ein anderes Thema. 

«In einer fluiden Welt nicht agil zu agieren, ist keine Option.»

Später haben Sie Goldman Sachs in Deutschland aufgebaut.

Ja, in der deutschsprachigen Welt. Damals wusste niemand, wer Goldman Sachs ist, niemand, was eine Investmentbank ist. Ich erinnere mich an einen Anruf bei einer Sekretärin, die sagte: «Goldman Sachs – geht es um den Betriebsausflug?» Das aufzubauen und zu erklären, war eine tolle Zeit.

3F1A0442
«Accelerate Your Experience»: Neues Buch von Paul Achleitner. (Bild: zVg)

Dieser erfolgreiche Aufbau war Ihr unternehmerischer «Claim to Fame».

Auf jeden Fall. Aber als ich nach London kam, war das eine kleine Truppe, auch dort ein Implant. Jeder suchte sich seinen Markt. Und ich habe mich aufgrund meiner Deutschkenntnisse der deutschen und zentraleuropäischen Aktivitäten angenommen.

Die Schweiz gehörte auch dazu?

Ja. Kürzlich habe ich gelesen, dass Goldman Sachs heute als beste Privatbank der Schweiz gilt. Das freut mich, weil ich dort im Verwaltungsrat sass, als es noch kleine Anfänge waren.

Die Schweizer Einheit haben Sie aber nicht selbst gegründet?

Die gab es schon. Ich wurde später in den Verwaltungsrat kooptiert.

Danach sind Sie zur «Deutschland AG» gewechselt, zu Allianz und Deutscher Bank. Eine ganz andere Kultur als Goldman. Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen? Grosse Aufsichtsräte, viel Politik…

Man weiss nie ganz, worauf man sich einlässt. Meine Entscheidung war: Ich war lange genug Berater, mir hat das unternehmerische Aufbauen, wie bei Goldman, Spass gemacht. Ich wollte auf die «Principal-Seite» wechseln und direkte Verantwortung übernehmen. Allianz und Deutsche Bank sind grosse Tanker, da muss man viel dazulernen. Aber es war eine sehr interessante Erfahrungskurve.

Bei der Allianz hatten Sie mit der Dresdner Bank ein Allfinanz-Konglomerat. In der Schweiz gab es ähnliche Versuche mit CS-Winterthur. Intellektuell schien das überzeugend, praktisch hat es nicht funktioniert. Warum?

Wegen der sehr unterschiedlichen Kulturen. Da fällt mir das alte Bonmot ein: «Der Unterschied ist: Banken leihen ihren Kunden Geld, bei Versicherungen ist es umgekehrt.» Deswegen unterscheiden sie sich. Ein Versicherungsmodell ist relativ langfristig ausgerichtet. Das prägt Mentalität, Risikomanagement und zieht bestimmte Persönlichkeiten an. Banken – zumindest Teile davon, etwa der Handel – sind viel schneller. Das zieht andere Menschen an. Diese beiden Kulturen unter einen Hut zu bringen, ist schwierig. Wenn dann noch Interessenskonflikte dazukommen – der eine sagt: «Alloziere das Kapital bei mir», der andere: «Nein, langfristig hier» – bekommen Sie sehr schwierige Führungsprobleme. 

«Wenn die ganze Organisation überzeugt ist, das sei der richtige Weg, ist es schwer, als Chairman oben zu sitzen und zu sagen: ‹Ich weiss nicht, ob das stimmt.›»

Eine Kutsche, bei der die Pferde in unterschiedliche Richtungen ziehen. In Ihrem Buch führen Sie den Verkauf der Dresdner Bank als Beispiel für die guten Wirkungen von Komplexitätsreduktion an. Wie findet man die Balance zwischen Komplexität und Einfachheit?

Unternehmen wachsen und wuchern, wenn nicht ab und zu getrimmt wird. Bei Kostenprogrammen sind alle sofort dagegen: «Ja, aber nicht bei mir.» Wenn Sie hingegen ein Komplexitätsreduktionsprogramm ankündigen, sagen viele: «Endlich, die Bürokratie! Da habe ich auch eine Idee.» Sie können Mitarbeiter motivieren, Prozesse zu vereinfachen und reduzieren damit automatisch Kosten. Wenn Sie regelmässig «ausjäten», erleichtern Sie sich vieles. Schauen Sie Fintechs versus Incumbents: Ein Fintech auf der grünen Wiese sagt: «Die Schleife brauchen wir nicht, die auch nicht.» Für Incumbents ist es viel schwieriger, bestehende Schleifen abzuschaffen.

Bei der Deutschen Bank haben Sie Komplexität auch praktisch reduziert und das Equity-Geschäft geschlossen. Es hat einige Jahre gedauert, bis dieser Schritt vollzogen wurde. Wie hat sich Ihr Denken dahin entwickelt?

Man muss zwei Schritte zurückgehen. Die Deutsche Bank war, übrigens neben der Credit Suisse, die einzige globale Bank, die ohne staatliche Hilfe durch die Finanzkrise gekommen ist. Das hat das Denken der Management-Teams geprägt. Man war überzeugt, bessere Risk-Takers zu sein und das bessere Modell zu haben. Darin wurde man auch von den Märkten bestätigt. Wenn die ganze Organisation überzeugt ist, das sei der richtige Weg, ist es schwer, als Chairman oben zu sitzen und zu sagen: «Ich weiss nicht, ob das stimmt.» Es hat Zeit gebraucht, bis alle im Aufsichtsrat bereit waren zu  zu sagen: Unter den neuen regulatorischen Voraussetzungen funktioniert das alte Geschäftsmodell nicht mehr. Dann haben wir begonnen, es zu renovieren und neu aufzustellen. Das war eine Operation am offenen Herzen. Banken, insbesondere Investmentbanken, sind fragile Systeme, in denen Leistungsträger entscheidend sind. Wenn man es falsch macht, laufen die Guten weg, und man bleibt mit B-Spielern zurück. Dann wird es erst recht gefährlich. Deswegen mussten wir uns langsam vorarbeiten. Erst als wir mit Christian Sewing jemanden aus der eigenen Organisation hatten, konnten wir sagen: «Wir verändern unseren globalen Footprint. Wir bleiben global wettbewerbsfähig, aber wir müssen nicht überall alles für jeden sein.»

In der Investmentbank war die Equity-Seite, also faktisch der Eigenhandel, das Kernstück dessen, was Sie herausgenommen haben.

Ja. Das war die wesentliche Komponente.

Und das bedeutete keinen Verzicht auf den globalen Anspruch?

Wie man sieht: überhaupt nicht. Die Deutsche Bank hat ihren globalen Footprint verteidigt und steht heute wieder besser da.

Trotzdem ist sie Teil eines europäischen Bankensektors, der den Aktionären im Vergleich zu den USA weniger Freude macht.

Das ist so. Es gibt strukturelle Gründe, die einen echten Wettbewerbsnachteil für Europa und europäische Banken begründen. Die Amerikaner sehen das Finanzwesen seit jeher als strategische Industrie und unterstützen es – bei allem politischen Getöse – sehr stark. In Europa geht es stärker um Kontrolle und Risiko-Begrenzung.

In den USA wurde der Bankensektor in der Krise quasi zwangs­kapitalisiert. War das der bessere Weg?

Ja. Man hat gesehen, wie erfolgreich das war. Ich war damals bei der Allianz aktiv an deutschen und europäischen Lösungen beteiligt. Wir haben ein anderes Rechtsverständnis und andere Möglichkeiten als die Amerikaner. Wenn Hank Paulson damals nicht Treasury Secretary gewesen wäre – wer weiss, ob die USA das so umgesetzt hätten. Es war nicht das «clevere Design», sondern die Bereitschaft, zu handeln. Im Nachhinein war das sehr gut.

Wie sehen Sie durch die Brille Ihrer Deutsche-Bank-Zeit-heute die UBS?

Sehr bewundernswert. Was die UBS erreicht hat und welche Position sie global und in Europa spielt, ist beeindruckend.

Würden Sie ihr empfehlen, die Investmentbank ähnlich zurückzunehmen wie die Deutsche Bank?

Das Letzte, was aktive Führungskräfte brauchen, sind Zurufe von der Seitenlinie. Deswegen enthalte ich mich da.

Wenn Sie auf Ihre Zeit bei der Deutschen Bank zurückschauen: Christian Sewing hat sich bewährt, die Weichenstellung war richtig. Dennoch war der Börsenkurs bei Ihrem Einstieg höher als beim Abschied. Stört Sie das?

Der Börsenkurs ist jetzt wieder dort, wo er war, als ich angefangen habe. In dieser Dekade plus haben wir über eine Billion Euro von der Bilanz genommen, Risiken reduziert, die beiden obersten Management-Ebenen ausgetauscht – alles, ohne den globalen Footprint des Hauses zu verlieren. Das sind laufende Restrukturierungsmassnahmen, die in einer Bank – das ist ja kein Stahlwerk – Zeit und Sensitivität brauchen. Ich bin mit mir völlig im Reinen, dass das Haus heute sauber da steht und global wettbewerbsfähig ist.

Hatten Sie oft den Eindruck, dass Märkte und Analysten nicht verstanden haben, was Sie da tun?

Dieses Gefühl hat man immer wieder. Man versucht zu erklären, aber Märkte und Analysten folgen anderen, kurzfristigeren Kriterien. Wer damals ausgestiegen ist und vor zwei Jahren wieder eingestiegen ist, hat gut verdient. Das kann man ihnen nicht vorwerfen. Sie dürfen nur Ihr Unternehmen nicht danach führen, was im Quartal populär ist. Ignorieren können Sie es nicht, aber es darf nicht der entscheidende Faktor sein.

In Zürich hört man, die Deutsche Bank habe im Schweizer Private Banking nie wirklich Geld verdient. Können Sie das bestätigen?

Sie erwarten nicht ernsthaft, dass ich das beantworte.


Lesen Sie auf der letzten Seite, was Paul Achleitner über den durchschlagenden Erfolg seines Buches, die Partei «Alternative für Deutschland» und die Sportart des Whitewater Raftings denkt.