Was Krypto und Blockchain betrifft, ist Marc Fleury Kritiker und Enthusiast zugleich. Im Interview mit finews.ch sagt er, warum Bitcoin eine Killer-Applikation ist, jedoch «Big Money» immer noch abseits steht.


Unter den Krypto- und Bitcoin-Enthusiasten scheinen Sie eine Art Elefant im Raum zu sein. Sie sagen Wahrheiten, die niemand wirklich hören will.

Lassen Sie mich klarstellen: Ich bin ein Optimist und glaube zutiefst an das Potenzial von Kryptowährungen. Aber manchmal bedeutet dies, dass man die Branche genau unter die Lupe nehmen und die Aufmerksamkeit auf Themen lenken muss, die vielleicht nicht allzu gerne gehört werden. Aber ich denke, dass auch solche Einwürfe ankommen, weil die Industrie sich entwickeln und reifen will.

Dennoch: Sie haben einige skeptische Ansichten zu der gesamten Entwicklung des Bereich Crypto Finance.

Schauen wir zurück: Bitcoin hat sein Debüt als alternative Finanzarchitektur als Antwort auf die Finanzkrise von 2008 gegeben. Und doch hat Krypto noch nicht ihr volles Potenzial als eine lebensfähige Anlageklasse erreicht. Um die Branche voranzubringen, müssen wir uns auf das konzentrieren, was am besten funktioniert hat. Und das ist erstens seine Anwendung als Wertaufbewahrungsmittel; zweitens ist es der rasche Kapitalaufbau, den Bitcoin während des ICO-Booms gezeigt hat; und drittens ist es die Verwendung von Stablecoins. Dies sind die Killer-Anwendungen in Crypto Finance.

Wie sind Sie auf Krypto und den Bitcoin gekommen?

In den 1990-er Jahren war ich intensiv an der Entwicklung dessen beteiligt, was heute allgemein als Java-Anwendungen bekannt ist. Mit JBoss habe ich einen Open-Source-Java-Anwendungsserver geschaffen, der heute noch eingesetzt wird.

«Jeder scheint nur auf sich selbst zu hören»

Ich begann 2011, mich mit Blockchain- und Krypto-Währungen zu beschäftigen und erkannte sofort das Potenzial. Ich sehe viele Parallelen zwischen Open Source in den 1990-er Jahren und der heutigen Kryptoindustrie. Ich hoffe, dass ich meine Lehren und Erfahrungen aus der Open-Source-Branche nutzen und der Kryptoindustrie helfen kann, ihr Potenzial zu nutzen.

Die Kryptoszene meint immer noch, sie leite eine Revolution ein.

Ich glaube, die Krypto- und Blockchain-Szene bewegt sich in einer Art Echokammer. Jeder scheint nur auf sich selbst zu hören und behauptet, dass Blockchain und Krypto alle möglichen Probleme lösen können.

«Denen sage ich: So funktioniert das nicht»

Ich glaube allerdings, dass wir als Branche den Faden verloren haben und die ursprüngliche Idee von Blockchain - nämlich Finanzanwendungen – vernachlässigt haben. Das Ergebnis ist, dass die Branche bisher von leeren Werten angetrieben wurde, was das eigentliche Wachstumspotenzial von Krypto hemmt.

Können Sie mir ein Beispiel nennen?

Wenn ich mit Venture Fonds spreche – die verständlicherweise Geld verdienen wollen – sprechen sie oft von dem Potenzial, die Blockchain-Technologie zu monetarisieren. Am Beispiel der Urprotokolle des Internets beklagen sie, dass Milliarden verloren gingen, weil die Protokolle eben «open source» sind. Denen muss ich dann sagen: So funktioniert das einfach nicht. Die Entwicklung der Blockchain ist «open source» – und das sollte auch so bleiben. 

Die Kryptobranche befindet sich in einer Phase der Desillusionierung: Nicht nur die institutionellen Investoren bleiben zurückhalten. Auch im Alltag finden Krypto oder die Blockchain nicht statt.

Es ist nicht schlecht, dass wir uns – gemäss dem Gartner Hype-Zyklus – im Tal der Desillusionierung befinden. Es ist eine normale und gesunde Sache, die jede Technologie in ihrer Entwicklung durchläuft. Auf dem Höhepunkt des Hype-Zyklus der Blockchain hat die Branche leider eine Menge Geld in Projekte geleitet, die weder einen bleibenden Wert hatten noch irgendein Mensch wirklich brauchte.

«Im Vergleich zur Kreditkarte sind es zwei Schritte zurück»

Oder es waren schlicht die falschen Teams am Werk. Dies schadete dem Ruf der Branche, da viele Investoren und ihre Gelder verbrannt wurden. Aber ich würde nicht wieder in die Rolle des Unternehmers schlüpfen, wenn ich nicht glauben würde, dass diese Technologien eine grosse Zukunft haben.

Lassen Sie uns die praktische Seite von Kryptos und ihren Besitz betrachten: Die privaten Schlüssel und die Sicherheitsprobleme, die damit einhergehen. Sie haben es einen Witz genannt.

Ja, es ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Aber Sie können es als Kompromiss betrachten: In Bezug auf die Benutzbarkeit liegt Krypto im Vergleich zu Ihrer Kreditkarte definitiv zwei Schritte zurück. Was sie aber gewinnen, ist ein transnationaler Zugang zu Ihrem Konto, das niemand sonst einsehen kann und das keine Regierung der Welt schliessen kann. Schauen Sie sich an, wie Sie heute das Internet auf Ihrem Telefon nutzen. Sie verwenden Http und andere sichere Protokolle, die im Hintergrund laufen und von denen Sie keine Ahnung haben. Es ist verborgen und es funktioniert einwandfrei.

«Krypto ist für viele immer noch ein schmutziges Wort»

Wenn es unser Ziel ist, unsere Grossmütter dazu zu bringen, Kryptos zu benutzen, sollten wir uns vielleicht auf die Open-Source-Ledger-Technologie konzentrieren. Das Ziel sollte sein, dass sich kein Kunde, weder privat noch institutionell, mit Schlüsseln und Sicherheit beschäftigen muss. Die Endnutzerschnittstelle wäre ein geregelter Vertrag oder ein Dokument, und dahinter würde eine Stiftung oder ein Verwahrer stehen, der die Schlüssel verwaltet und sich um die gesamte Komplexität der Bankinfrastruktur kümmert.

Ist es diese Komplexität, die das grosse Geld der Instutitionellen zurückhält?

Wenn es um das anhaltende Abseitsstehen der Institutionellen geht, ist die Komplexität ein kleiner Teil des Grundes. Krypto ist von viele immer noch ein schmutziges Wort. Es ist etwas Wahres daran, seit Bitcoin seinen Weg durch das Darknet gefunden hat. Andererseits würde niemand den Dollar als schmutzige Währung bezeichnen, weil Kriminelle ihn benutzen. Bitcoin hat bewiesen, dass er eine Killer-Applikation des transnationalen Bankings ist.

«Es geht darum, für die nächste Welle positioniert zu sein»

Die Gewinne mit Bitcoin sind nicht rein spekulativ. Bitcoin ist ein Wertaufbewahrungsmittel, und es hat sich während der ICO-Welle als eine grossartige Währung für den Aufbau von Kapital erwiesen. Das Problem mit den ICOs bestand einfach darin, dass den meisten von ihnen ein Machbarkeitsnachweis oder ein tragfähiges Geschäftsmodell fehlte. Wir müssen die Modelle der Risikobewertung und Vermögensallokation aus der traditionellen Finanzwirtschaft anwenden, um das Potenzial zu erschliessen.

Als Anlageklasse ist Bitcoin doch zu klein.

Bitcoin mag eine Bewertung von 200 Milliarden Dollar haben, was ihn im Vergleich zu anderen grossen, weltweit gehandelten Anlageklassen winzig macht. Aber der Punkt ist, dass Bitcoin funktioniert. Jetzt geht es darum, Brücken zwischen Krypto und der traditionellen Finanzindustrie zu bauen. Es geht darum, die Produkte und die Infrastruktur aufzubauen, damit wir für die nächste Welle positioniert sind.

Bitcoin bewegt sich nicht, es gibt kaum Liquidität.

Ich stimme Ihnen zu - das «Hodln» (Anm. der Red.: das ausschliessliche Halten) bringt uns um. Als Anlageklasse ist Bitcoin von den spekulativen Cashflows abhängig, die auf den Markt kommen. 2017 während des ICO-Booms haben die Leute nicht «gehodelt». Stattdessen wurde Bitcoin mit hoher Umlaufgeschwindigkeit gehandelt. Im Moment ist das Thema «decentralized finance» gross in Mode. Aber ich denke, man sollte die Wiederbelebung der ICO fordern. Nur dieses Mal müssen die Projekte mehr Rechenschaft ablegen und sollten zu einem wirtschaftlichen Mehrwert führen.


Marc Fleury war einer der frühen Java-Entwickler und einer der Erbauer der heutigen Internet-Infrastruktur. Seine Firma JBoss verkaufte er im Jahr 2006 für 350 Millionen Dollar an RedHat, ein auf «open source»-Anwendungen spezialisiertes amerikanisches Softwareunternehmen. Der heute 50-jährige Franzose zog sich anschliessend zurück, widmete sich seinen Kindern, der Physik, Kunst und Musik. Erst kürzlich hat Fleury als Unternehmer ein Comeback gegeben. Mit TwoPrime ist er im Bereich Crypto Finance tätig. Fleury ist zudem Berater der werdenden Schweizer Kryptobank Mt Pelerin.

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