Punkto digitaler Währung ist die Schweizerische Nationalbank der Europäischen Zentralbank zwei bis drei Jahre voraus, sagt der deutsche Finanzprofessor Philipp Sandner im Interview mit finews.ch. Die Schweiz sei europäische Spitze.


Herr Sandner, wie beurteilen Sie die Entwicklung der Fintech-Branche in der Schweiz?

Sie ist gigantisch. Besonders toll finde ich, dass die Welle nicht gekommen und wieder gegangen ist, sondern dass diese Entwicklung sich verstetigt hat.

Die Finanzinstitute, die Zentralbank und die Politik, alle haben sie sich mit dieser Thematik beschäftigt. Die Schweiz macht wirklich positive Gesetze. So kann sich eine starke Dynamik entwickeln.

Wie sieht es denn bei Ihnen in Deutschland aus?

Deutschland geht auch seinen Weg, aber die deutschen Gesetze hinken den schweizerischen Gesetzen um zwei bis drei Jahre hinterher.

Was war für die positive Entwicklung in der Schweiz ausschlaggebend?

In der Schweiz leben und arbeiten alle Akteure auf engem Raum zusammen. Die geographische Nähe erleichtert den so wichtigen Austausch zwischen den Schlüsselfiguren. Dies gibt es so nicht in Deutschland. Bei uns arbeiten die Finanzleute in Frankfurt, die Politik wird in Berlin gemacht und die Industrie ist im Süden angesiedelt.

«In der ersten Welle kam unheimlich viel Geld in Umlauf»

Dazu kommt, dass sich im Zuge der ersten ICO-Welle eines der Top-Projekte, Ethereum, in der Schweiz niedergelassen hat. Dies wirkte ungemein inspirierend auf die ganze Szene.

In der ersten Welle kam unheimlich viel Geld in Umlauf, was es den Firmen erlaubte, neues Personal einzustellen. Anwälte begannen ihrerseits, sich mit dem Thema zu befassen und dies hat schliesslich dazu geführt, dass sich auch der Staat des Themas annahm.

Allgemein scheint die Schweiz für neue technische Dinge auch relativ empfänglich zu sein. Google und IBM sind berühmte Beispiele von Firmen, die sich in Zürich niedergelassen haben. Dadurch entsteht leicht eine gute Dynamik unter den vielen involvierten Akteuren – im Falle der Blockchain sind es die Banken, Startups und auch die Politik.

Wie erklären Sie einem Laien, was mit der Blockchain-Technologie auf ihn zukommen wird?

Die Blockchain ist eine gute Technologie, um ein Register abzubilden. Auf diesem Register kann ich Dinge speichern, wie Aktien oder Immobilien. Wenn man in diesem Sinne auf dem Register Eigentumswerte erfassen kann, erhält man eine neue technische Infrastruktur, mit der man Teile der alten Finanzinfrastruktur ersetzen kann.

«Bitcoin hat das Potenzial, zum digitalen Gold zu werden»

Als Analogie dazu verwende ich gerne das Beispiel der Postkarte. Vor dreissig Jahren haben wir vom Urlaub Postkarten nach Hause geschickt, die dann eine Woche brauchten, um anzukommen. So funktionierte eben damals die Übertragung einer Information.

Heute schiesse ich ein Foto, schreibe einen Kommentar darunter, und meine Verwandten erhalten meine Postkarte genau in dem Augenblick, in dem ich sie zum Beispiel per Whatsapp verschicke. Und der Preis für diese Übertragung ist erst noch quasi null.

Wo stehen wir denn in der Entwicklung der Blockchain?

Wir stehen ganz am Anfang, bei vielleicht 3 Prozent auf der Zeitachse. Selber habe ich aus purer Neugier im Jahr 2013 angefangen, mich damit zu beschäftigten, als nämlich die erste Kursexplosion des Bitcoin durch die Medien hallte.

Welches Potenzial hat Bitcoin?

Bitcoin hat das Potenzial, zu einer Art digitalem Gold zu werden. Aber davon sind wir noch ein paar Jahre entfernt. Gold und Bitcoin gleichen sich insofern, als dass beide per se knappe Güter sind. Der Wert von Gold bezieht sich nicht auf seine Eigenschaften als Edelmetall, sondern primär auf die Knappheit des Gutes.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass ohne die Blockchain in der Bankbranche bald nichts mehr gehen wird. Hat die Industrie dies in dieser Tragweite schon erkannt?

Nein, natürlich nicht. Die Blockchain-Technologie ist ein sehr gutes Instrument, um den Kapitalmarkt der Zukunft abzubilden. Also das Geld, aber natürlich auch Aktien und andere Wertschriften.

«Grosse Banken können das Problem wegkaufen»

Es gibt Banker, die dies erkannt haben und verstehen, dass die Blockchain die künftige Infrastruktur-Technologie für den Kapitalmarkt sein dürfte. Bis es soweit sein wird, vergehen aber sicher noch viele Jahre. Fünf, zehn oder auch 15 Jahre – es dauert also noch sehr sehr lange.

Besteht nicht die Gefahr, dass gewisse behäbige Teile der Bankbranche deshalb unter die Räder geraten?

Doch, auf alle Fälle. Wer das Thema jetzt nicht ernst nimmt, wird ins Hintertreffen geraten. Wenn eine Bank sich hingegen mit der Technologie beschäftigt und auch die Chancen wahrnimmt, die sie bietet, kann sie davon profitieren.

Grosse Banken haben es da etwas einfacher, weil sie gut selber etwas entwickeln können oder zur Not auch einfach mal die Technologie einkaufen – sie können das Problem sozusagen «wegkaufen».

Ist denn die Bankbranche als Ganzes zu langsam, um die digitale Revolution nachzuvollziehen?

Gewissen Banken mögen natürlich etwas altertümlich erscheinen. Viele der Angestellten in solchen Instituten sind Juristen und Betriebswirtschaftler. In der Geschäftsleitung einer typischen Bank gibt es weder Techniker noch Digital Natives – also Experten im Alter zwischen 30 und 45 Jahren, die mit digitalen Mitteln aufgewachsen sind.

«Ich kritisiere da vor allem die EZB»

Bei den Neobanken dagegen gibt nicht der herkömmliche Typus von Banker den Ton an, sondern der Digital Native. Gerade die grossen Banken würden gut daran tun, den Digital Natives den Zugang zu Entscheidungsebenen oder Vorstandsetagen zu ebnen, um das Thema IT dort ganz fest zu verankern.

Wie sieht es bei den Zentralbanken aus, ist da das Bild ähnlich düster wie bei den Geschäftsbanken?

Ich kritisiere da vor allem die EZB. Sie hat das Thema bislang nicht mit voller Energie angepackt. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist der EZB zwei bis drei Jahre voraus, dies dank dem äusserst fortschrittlichen Prototypen für einen digitalen Schweizer Franken auf Basis der Blockchain (Projekt Helvetia). Ganz zu schweigen natürlich von den Chinesen, die vorneweg marschieren. Andere Vorreiter sind die Bank of Thailand und die Riksbanken aus Schweden.

Wenn Sie die zwei Projekte für Digitalwährungen der Schweden und Schweizer anschauen. Kann man die überhaupt miteinander vergleichen?

Grundsätzlich schauen beide Banken, ob es was bringt, die eigene Währung auf einem neuen technologischen System abzubilden und beide Banken sind im Rahmen ihrer Projekte auf die gleiche technische Plattform gestossen, nämlich Corda von R3. Da gibt es also ganz grosse Ähnlichkeiten.

«Es ist genau das, was sie anderswo nicht finden»

Aber von der Anzahl möglicher Nutzer her hat das schwedische Projekt für eine e-Krona einen potenziellen Kundenkreis von zehn Millionen Menschen, während das Projekt «Helvetia» für maximal ein paar Tausend Finanzinstitute relevant wird – das ist dann natürlich nicht ganz das gleiche.

Wie soll die SNB in Bezug auf digitale Währungen weiter vorangehen?

Das Ökosystem Zürich-Zug hat den Boden gut bereitet, dies sollte man nicht unterschätzen. Rund um das Projekt mit der digitalen Börse SDX hat sich eine Gruppe von Experten gebildet, die wohl wissen, dass die digitale Wertpapierbörse besonders vielversprechend ist, wenn auch der Franken digitalisiert wird. Dies war der Trigger für die SNB, selber aktiv zu werden.

Auf Seiten der SNB bedurfte es einer Ansprechperson, die sich diese Ideen anhörte, verstand und anfing, sich damit zu beschäftigen. Daraus entstand ein Projekt mit der SIX im Sinne einer Public-Private Partnership. Dies hat scheinbar sehr gut geklappt, und es ist genau das, was sie anderswo nicht finden. Das ist bemerkenswert.

Wie geht man am besten von hier aus weiter?

Bei der SNB erscheint es mir wichtig, dass die Mitarbeitenden dazu angehalten werden, sich mit der Thematik eingehend zu beschäftigten – also braucht es einen speziellen Fokus auf die Bildung.

Der nächste logische Schritt wäre dann natürlich ein Projekt für einen digitalen Franken für die Bürger – analog zur e-Krona in Schweden. Oder den digitalen Franken für industrielle Zwecke auf Blockchain-Basis.


Philipp Sandner leitet das Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) an der Frankfurt School of Finance & Management. Seit 2017 ist er im FinTechRat des Bundesministeriums der Finanzen und im Blockchain Observatory der Europäischen Union. Zudem war er Mitgründer des Blockchain Bundesverband e.V., der International Token Standardization Association (ITSA) e.V. und der Multichain Asset Managers Association. Darüber hinaus war er Mitgründer einer auf Innovation und Technologietransfer spezialisierten Unternehmensberatung namens Munich Innovation Group (MIG).

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