Finma gegen UBS: Die Rache der Bürokraten

Die Behörden fahren eine irritierende Offensive gegen die Mega-Bank, die sie selbst in der Not fusioniert haben. Finanzministerin Karin Keller-Sutter duckt sich weg. Glücklicherweise wird die entscheidende Schlacht um das Eigenkapital im Parlament geschlagen, findet finews.ch.

Wie viele Angestellte der Finanzaufsicht (Finma) könnten wohl eine international tätige Grossbank erfolgreich führen? Die Antwort oszilliert vermutlich um den Wert Null.

Die Tragik der modernen Bürokratie will es aber, dass jene Beamten, deren Kompetenz kaum im Betreiben eines florierenden Bankgeschäfts liegt, andere schulmeistern, die genau das machen.

Maximal schmerzhafte Vorschriften

Ein Resultat dieser Schieflage zeigt sich bei der neuen Grossbankenregulierung: Wie das Finanzportal Bloomberg anfangs letzter Woche argwöhnte, wird der Bundesrat wahrscheinlich am 6. Juni maximal schmerzhafte Eigenkapitalvorschriften für die UBS vorschlagen (Beitrag hinter Bezahlschranke). 

Die treibende Kraft dahinter sind die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) und, mit etwas Abstand, die Schweizerische Nationalbank (SNB).

Zusätzlich 25 Milliarden Eigenkapital

Tochtergesellschaften müssten demnach im Stammhaus neu mit 100 Prozent statt bisher mit circa 60 Prozent Eigenkapital unterlegt werden. 

Dies würde für die UBS auf eine Eigenkapitalanforderung von zusätzlich etwa 25 Milliarden Franken hinauslaufen, respektive auf eine totale CET1-Ratio von 19 Prozent. 

Alarm an der Börse

Die Grundzüge der Recherche von Bloomberg fand auch finews.ch in eigenen Gesprächen bestätigt: Im politischen Bern wird damit gerechnet, dass der Bundesrat genau das am 6. Juni kommuniziert. Auf diese Aussicht reagierten die Finanzmärkte alarmiert. Die UBS-Aktie verlor letzte Woche, entgegen der allgemeinen Markt-Dynamik, gegen fünf Prozent. 

Der Aktienmarkt erweist sich mit dieser Reaktion einerseits als klug, andererseits als dumm. 

Drohende Durststrecke

Klug, weil er die Bedeutung der Eigenkapital-Frage für das zukünftige Geschäft der UBS erfasst hat. Der Aufbau des zusätzlichen Eigenkapitals würde für die Aktionäre eine Zäsur bedeuten: Manche international wichtige Geschäftsfelder würden unrentabel und die Stellung der UBS als global satisfaktionsfähige Grossbank infrage gestellt.

Gleichzeitig waren die Finanzmärkte aber auch dumm, indem sie ihr Unwissen über den politischen Prozess in der Schweiz offenbarten.

Unwissen über den politischen Prozess

Dessen Realität lautet nämlich, dass das Vorhaben (wohl erst im übernächsten Jahr) im Parlament landen wird. Damit verlagert sich die Debatte in eine Arena, in der die UBS besser punkten kann als gegenüber Finma und SNB, die seit dem Untergang der Credit Suisse dem Fetisch der hundertprozentigen Hinterlegung des Eigenkapitals bei den Tochtergesellschaften frönen – eine schweizerische Singularität, denn kein anderer führender Bankenplatz strebt dies an.

Natürlich kann man, wie die Finma und in ihrem Gefolge die SNB, das Argument machen, dass ein höheres Eigenkapital die Knautschzone in Krisensituationen erhöht. Und es stimmt auch, dass bei der Credit Suisse die erforderlichen Wertberichtigungen ihrer (ausländischen) Tochtergesellschaften zum Niedergang beigetragen haben.

Aufs falsche Ziel eingeschossen

Die Kernschmelze der Credit Suisse fand aber nicht auf der Ebene des Eigenkapitals statt, sondern bei der Liquidität. Ein solches Szenario des kaskadenhaften Vertrauensverlusts, wo sich Kapitalmarkt und Bankkunden gegenseitig aufschaukeln, kann auch eine faktische Eigenkapitalquote von 19 Prozent vielleicht etwas verzögern, nicht aber notwendigerweise verhindern.

Es wirkt, als hätten sich die Behörden bei ihrer Antwort auf den Untergang der CS auf einen Nebenschauplatz verirrt, den sie, Kraft des ihnen verliehenen obrigkeitlichen Status, zum Hauptschauplatz erklären.

Frühere Erleichterungen für die CS

Besonders stossend am Lobbying der Finma für die präzedenzlose Verschärfungen beim Eigenkapital ist die Tatsache, dass es genau dieselbe Behörde war, die der Credit Suisse in einem intransparenten Hinterzimmer-Prozess Erleichterungen auf die Kapitalanforderungen der «Too Big To Fail»-Regulierung (TBTF) bewilligte, den sogenannten «regulatorischen Filter». Und zwar seit 2017, Quartal für Quartal, Jahr für Jahr. Bis zum Untergang.

Im Bericht der mit dem CS-Untergang befassten Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) heisst es zu diesem regulatorischen Filter: «Die Umstände für dessen Gewährung konnte die PUK nicht umfassend klären.» Schlägt die Finma nun den Sack und meint den Esel? 

Internationale Skala gesprengt

Diese Sonderregelung der Finma erlaubte es der Bank, vier Monate vor ihrem Untergang eine CET1-Eigenkapitalquote von 12,2 Prozent zu rapportieren, obwohl der wahre Wert (ohne den Kunstgriff) bei 6,9 Prozent gelegen hätte. Im Vorquartal war das echte CET1-Kapital sogar auf 4,4 Prozent gesunken.

Die UBS nahm einen solchen «regulatorischen Filter» nie in Anspruch und gehört, wie auch die SNB in ihrem Finanzstabilitätsbericht 2024 darlegt, zu den am besten kapitalisierten «Global Systemically Important Banks» (G-SIBs).

snb finanzstabilitaetsbericht
Quelle: SNB, Finanzstabilitätsbericht 2024.

Das Ansinnen der Finma, von der UBS nun 19 Prozent zu verlangen – ein Wert, der die internationale Skala bei Weitem sprengt –, wirkt vor dem Hintergrund der damaligen Zugeständnisse an die CS besonders befremdlich. 

Sollte das dereinst tatsächlich zum Buchstaben des Gesetzes werden, stünde die UBS vor der Wahl: Verlegung ihres Hauptsitzes ins Ausland oder Zusammenschrumpfen zu einer Schweizer Retailbank mit verkleinertem internationalen Wealth Management.

Standortfaktor Grossbank

Teile des Firmenkundengeschäfts und Investmentbankings würden unpraktikabel. Dabei sind die umfassenden und skalierbaren Dienstleistungen des Schweizer Finanzplatzes, insbesondere der Grossbank(en), auch ein Standortfaktor für die grossen Unternehmen aus anderen Branchen, die hier ihren Hauptsitz unterhalten. Und nicht zuletzt: Die UBS zahlt in der Schweiz rund 650 Millionen Franken Unternehmenssteuern.

Solche Argumente mögen bei den für das CS-Debakel mitverantwortlichen Behörden Finma und SNB auf taube Ohren stossen. Im Parlament (oder am Ende gar vor dem Stimmvolk) verfangen sie vielleicht besser.

Wegmarke am 6. Juni

Die nächste Etappe des Schauspiels «Finma gegen UBS» steigt am 6. Juni, wenn der Bundesrat voraussichtlich die Eckwerte seiner «Lex UBS» vorlegen wird. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Vorstellungen der Finma, mit Unterstützung von Finanzministerin Karin Keller-Sutter, hier durchsetzen werden. Aber: Im Raum sitzen sieben Bundesräte plus Bundeskanzler; das Ergebnis ist mit Unsicherheit behaftet.

Ausserdem sollen erst die sogenannten «Eckwerte» entschieden werden, also noch keine im Detail ausgearbeiteten Gesetzesvorlagen. Diese Reihenfolge mutet seltsam an, denn aktuell ist, wie finews.ch auf Nachfrage erfahren hat, das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) mit einer sogenannten «Regulierungsfolgenabschätzung» der neuen Vorschriften betraut.

Kosten werden noch untersucht

Deren Resultate werden aber erst später vorliegen und dann gemeinsam mit den Vernehmlassungsunterlagen publiziert. Mit anderen Worten: Offenbar will der Bundesrat Eckwerte festlegen, bevor er sich der volkswirtschaftlichen Kosten bewusst ist.

Man kann nicht genug betonen, dass Finma und SNB im Fall Credit Suisse versagt haben. Und genau dieselben Behörden beanspruchen nun die Deutungshoheit über das weitere Vorgehen? 

Helvetisches Mittelmass

Es braucht nicht viel Phantasie, sich auszumalen, mit welchen Engelszungen Politik und Beamtenapparat die UBS, deren Präsidenten Colm Kelleher und CEO Sergio Ermotti, bearbeitet haben, um das Problem Credit Suisse aus der Welt zu schaffen. Dies obwohl sie dazu durchaus auch selber die Mittel gehabt hätten.

Eine Pointe an der ganzen Geschichte ist, dass es dieselbe, dem Beamtenwesen (insbesondere dem helvetischen) inhärente Ängstlichkeit ist, die der UBS damals zupass kam, die sich nun gegen sie zu wenden droht: Finma und SNB trauen es sich offenbar nicht zu, mit ihrer mikro- und makroprudentiellen Aufsicht die Mega-Bank UBS, die sie selbst zu erschaffen halfen, kontrolliert erblühen zu lassen. Und tragischerweise lägen sie mit solchen Zweifeln wohl nicht einmal so falsch. Anstatt an sich selbst zu arbeiten, soll daher die UBS auf Mittelmass zurechtgestutzt werden. 

Ein Regulator als Gesetzgeber?

Bleibt die Frage, warum nicht bereits Finanzministerin Karin Keller-Sutter dem Treiben der Beamtenschaft einen Riegel schiebt. Ganz im Gegenteil: Finma-Chef Stefan Walter zieht von Pontius zu Pilatus und rührt die Werbetrommel für den in seinem Haus entstandenen Vorschlag – fast so, als wäre er der gewählte Bundesrat.

Eine plausible Erklärung für Keller-Sutters Wegducken wäre, dass der Bundesrätin die Causa UBS angesichts des Powerplays von Finma und SNB (und der drohenden Staatshaftung aus den AT(1)-Klagen) über den Kopf zu wachsen drohte. Obwohl sie den Eigenkapital-Plan auch per Verordnung hätte realisieren können, zog sie es vor, die heisse Kartoffel ans Parlament weiterzureichen. Angesichts ihres offenbar zu wenig gefestigten Koordinatensystems in Sachen Finanzplatz kann das als gute Nachricht aufgefasst werden.

Gute Ausgangslage für die UBS

Was wird im Parlament passieren? Die historische Erfahrung zeigt, dass Ideen aus der Beamtenstube normalerweise im politischen Prozess eher verbessert als verschlechtert werden. Die SVP steht dem Ansinnen integral skeptisch gegenüber. Auch Keller-Sutters eigene Partei, die FDP, zeigt wenig Begeisterung.

Keine schlechte Ausgangslage – auch wenn der Aktienmarkt das womöglich anders sieht.