Mehr Steuergeld auf Kosten des Bargelds
Die neue Regierungskoalition in Deutschland will die «Wahlfreiheit» im Zahlungsverkehr fördern. Künftig sollen Geschäfte und Restaurants neben Bargeld mindestens eine digitale Zahlungsmöglichkeit anbieten. Oder geht es doch primär darum, mehr Steuergeld einzutreiben? In der Schweiz weist die Diskussion in die entgegengesetzte Richtung: Hier steht die Sicherung der Akzeptanz von Bargeld im Mittelpunkt.
Zugegeben, es handelt sich nicht um den prominentesten Abschnitt des 144-seitigen Koalitionsvertrags, der CDU, CSU und SPD als inhaltliche Leitplanke für die künftige gemeinsame Regierung in Deutschland dienen soll. Im Kapital 2. «Wirkungsvolle Entlastungen, stabile Finanzen, leistungsfähiger Staat» ist unter «2.1. Haushalt, Finanzen und Steuern» ein Abschnitt zu «Bargeld, digitaler Euro und Akzeptanz digitaler Zahlungen» zu finden.
Darin brechen die Koalitionäre scheinbar eine Lanze für das sympathische Anliegen der Wahlfreiheit: «Wir stellen sicher, dass jeder weiterhin selbst entscheiden kann, wie er bei Geschäften des Alltags bezahlt. Das Bargeld als gängige Zahlungsform erhalten wir.» Etwas weniger harmlos ist der nächste Satz. «Wir setzen uns für echte Wahlfreiheit im Zahlungsverkehr ein und wollen, dass grundsätzlich Bargeld und mindestens eine digitale Zahlungsoption schrittweise angeboten werden sollen.»
Wahlfreiheit: Ein quasi-liberales Anliegen
Das klingt auf den ersten Blick liberal, sind doch Noten und Münzen staatliches Monopogeld und ist bei digitalen Zahlungen, das meist über Bankensichtguthaben abgewickelt wird, grundsätzlich mehr Privatsektor im Spiel.
Allerdings hat der Staat das Geld- und Bankwesen so stark im Griff, dass (ausser in schweren Krisen) kein Unterschied zwischen dem Geld der Zentralbank und dem der Geschäftsbanken gemacht wird. Mit anderen Worten: Der Wettbewerb läuft über Gebühren, Regulierung und Bequemlichkeit, nicht über den Geldwert.
Im Klartext hiesse die neue Vorschrift, dass beispielsweise auch Läden und Restaurants in Deutschland künftig eine elektronische Zahlungslösung anbieten müssten – also nix mehr mit Schildern wie «Wir nehmen nur Bargeld» oder «Nur Bares ist Wahres».
Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) setzte am Montag das Vorhaben in einen grösseren Zusammenhang. «Der Satz liest sich wie eine Art Gegenleistung, die Union und SPD für die im Koalitionsvertrag ebenfalls festgehaltene dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 7 Prozent für die Gastronomie erwarten.» Im Klartext: Wenn weniger in bar bezahlt wird, wird der Staat – so die Hoffnung – mehr Steuergeld kassieren können, was den tieferen Mehrwertsteuerertrag zumindest teilweise kompensiert.
«Vollkommen unabhängig» von Mehrwertsteuerüberlegungen?
Die FAZ bezieht sich auf Schätzungen, wonach dem Fiskus in bargeldintensiven Bereichen jährlich mehr als 15 Milliarden Euro entgehen sollen. Die Koalitionäre weisen den Verdacht, dass es sich um ein Gegengeschäft handelt, allerdings weit von sich.
So hält etwa Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD, fest, dass «die Motivation, echte Wahlfreiheit im Bezahlverkehr auch in Deutschland zu garantieren, für uns im Jahr 2025 eine Selbstverständlichkeit sein» sollte. Und Matthias Hauer, Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss, erklärt, dass «der Wunsch nach digitalen Bezahlmöglichkeiten nun mal verbreitet» sei. Die Vereinbarung sei «vollkommen unabhängig» zur Mehrwertsteuersenkung.
Vorbilder in Italien und Griechenland
Kritik kommt gemäss FAZ vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Er warnt davor, dass eine pauschale Pflicht für digitale Bezahllösungen «viele kleine Betriebe gerade in strukturschwachen Regionen» unverhältnismässig belasten würde. Und der Verband stellt in Abrede, dass Betriebe, die Bargeld bevorzugten, «etwas zu verbergen hätten».
Mit dem neuen Passus befindet sich Deutschland in der EU in guter Gesellschaft. Die FAZ berichtet von Restaurants und Cafés in Italien, die Kartenzahlungen anbieten müssen und deren Kassen direkt mit dem der Datenbank der Finanzämter verbunden sind. Dort soll der grössere Anteil an unbaren Zahlungen zu deutlich höheren Mehrwertsteuereinnahmen geführt haben. Das ist offenbar auch in Griechenland der Fall, wo die Einnahmen insbesondere nach der Begrenzung der Bargeldbezüge in der Finanzkrise 2015 angeschwollen sind.
Registrierkassenpflicht läuft unter Bürokratieabbau
Die Registrierkassenpflicht ist übrigens auch im Koalitionsvertrag ein Thema. Das erste Mal im Abschnitt «Steuerhinterziehung und -vermeidung», wo es heisst, dass man zu deren Bekämpfung «etwaigen erkannten Defiziten im Kontext der Evaluation der bestehenden Registrierkassenpflichten Rechnung tragen» wolle.
Und das zweite Mal, von der Einbettung her etwas verwegen, im Abschnitt «Sofortprogramm für den Bürokratierückbau»: «Wir schaffen die Bonpflicht ab. Für Geschäfte mit einem jährlichen Umsatz von über 100.000 Euro führen wir ab dem 01.01.2027 eine Registrierkassenpflicht ein.»
Bahn frei für den digitalen Euro?
Inwiefern die angebliche Gewährleistung der Wahlfreiheit auch mit der von der Europäischen Zentralbank energisch vorangetriebenen Central Bank Digital Currency (CBDC) zusammenhängt, erörtert die FAZ nicht.
Im Koalitionsvertrag heisst es dazu (ja nach Standpunkt verheissungsvoll oder euphemistisch): «Wir unterstützen einen digitalen Euro, der sowohl im Gross- als auch im Einzelhandel einen echten Mehrwert liefert sowie das Bargeld ergänzt, die Privatsphäre der Verbraucherinnen und Verbraucher — schützt, kostenfrei für Verbraucherinnen und Verbraucher nutzbar ist und die Finanzstabilität nicht beeinträchtigt.»
Wahlfreiheit: Der Schweizer Standpunkt
In der Schweiz weist die Diskussion um die Wahlfreiheit beim Bezahlen in die andere Richtung. Angesichts der veränderten Zahlungsgewohnheiten hin zu Karten, Twint & Co dominiert die Sorge, dass das Bezugsnetz und die Akzeptanz von Bargeld ausgehöhlt werden. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) fürchtet sich vor einer Negativspirale und hat deshalb einen runden Tisch einberufen, um die Bargeldversorgung zu sichern. Zudem lehnt sie digitales Zentralbankgeld für jedermann (Retail CBDC) ab.
Auf politischer Ebene läuft die Diskussion um Massnahmen zur Sicherung der Akzeptanz von Bargeld weiter. Der Souverän wird über die Volksinitiative «Bargeld ist Freiheit», zu welcher der Bundesrat einen Gegenvorschlag ausgearbeitet hat, zu entscheiden haben. Sie fordert, dass Münzen und Noten stets in ausreichender Menge vorhanden sind und dass ein allfälliger Ersatz des Frankens durch eine andere Währung Volk und Ständen vorzulegen wäre.
Initiative für strikte Annahmepflicht gescheitert
Die wesentlich radikalere zweite Initiative «Wer mit Bargeld bezahlen will, muss mit Bargeld bezahlen können!» ist allerdings im Sammelstadium gescheitert. Sie hätte die bereits im Gesetz über die Währung und die Zahlungsmittel verankerte Annahmepflicht von Münzen und Noten (die in der Praxis indes kaum durchgesetzt wird) auf Verfassungsstufe konkretisieren wollen. Insbesondere hätte sie öffentliche Dienstleister (z.B. Verkehrsbetriebe) und den Detailhandel gezwungen, Bargeld als Zahlungsmittel entgegenzunehmen.
Darüber, ob eine strikte Annahmepflicht liberal ist, darf man streiten. Aber die Idee, den ohnehin mächtigen Trend hin zu bargeldlosen Zahlungen wie in Deutschland mit dem Argument der Wahlfreiheit staatlich zu befeuern, wäre in der Schweiz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein politischer Rohrkrepierer.
Liberales Staatsverständnis – oder einfach weniger Finanzierungsdruck
Erfreulich ist zudem, dass der Aspekt der Steuerhinterziehung, die mit Bargeld möglicherweise einfacher gemacht wird, nicht im Vordergrund steht. Das kann man mit etwas Pathos als Ausdruck eines liberalen Verständnisses der Beziehung zwischen dem Staat als Dienstleister und dem eigenverantwortlichen Bürger interpretieren.
Vielleicht ist es aber auch einfach dem Umstand geschuldet, dass der Druck, sich neue Einnahmenquellen für die öffentliche Haushalte erschliessen zu müssen, hierzulande deutlich kleiner ist als bei unserem Nachbarn im Norden.