Adriel Jost: «So kann die SNB Kritik an Nebenschauplätzen vorbeugen»

 

In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Als ich zu Beginn der 2010er-Jahre entschied, über welches Thema ich meine Dissertation schreiben wollte, erschien meine Wahl – die Unabhängigkeit von Zentralbanken – beinahe altmodisch. War dazu nicht längst alles geforscht und gesagt? 

Meine Überlegung lautete: Ja, es bestehen keine Zweifel mehr, dass Zentralbanken die Stabilität einer Währung nur sichern können, wenn sie frei von kurzfristigen politischen Einflüssen entscheiden. 

«Die Unabhängigkeit von Zentralbanken ist keineswegs in Stein gemeisselt.»

Zugleich war mir aber klar: Diese Unabhängigkeit ist keineswegs in Stein gemeisselt. Sobald Politik oder Bevölkerung es wünschen, kann sie rasch verloren gehen. Zentralbanken sind immer nur so unabhängig, wie man sie auch unabhängig sein lässt.

Äusserst expansive Geldpolitik

Seit der Finanzkrise haben die Zentralbanken ihre Handlungsfreiheit genutzt, um eine äusserst expansive Geldpolitik zu betreiben. Sie konnten damit tun, wovon Politiker nur träumen: kurzfristige Stimulusprogramme, Staatsanleihenkäufe und Deviseninterventionen in grossem Stil. Doch gerade das war ursprünglich nicht die Idee der Unabhängigkeit. Zentralbanken sollten vielmehr frei sein, Massnahmen zu ergreifen, die kurzfristig schmerzhaft, aber langfristig notwendig sind.

Genau diese Art von Unabhängigkeit wäre heute in den USA gefragt: Zinsen hochhalten – auch wenn es wehtut und der politische Druck gross ist. Doch die Federal Reserve ist bereits eingeknickt und hat am vergangenen Mittwoch die Zinsen gesenkt.

Kritik am Fed trifft wunden Punkt

Ein Einfallstor für Kritik ist die Ausgabenpolitik der Fed. Milliardenschwere Renovierungen ihrer Gebäude haben der Trump-Regierung eine leichte Angriffsfläche geliefert, um die Glaubwürdigkeit der Institution zu untergraben. 

Und tatsächlich trifft die Kritik einen wunden Punkt: Bei Einrichtungen, die nur begrenzt Rechenschaft über ihre Geschäftstätigkeit ablegen müssen, ist ein grosszügiger Umgang mit Ressourcen fast zwangsläufig. Wo kein Spardruck herrscht, greifen Entscheidungsträger gerne zur komfortableren, sichereren und teureren Variante. 

«Zentralbanken hantieren mit Summen, die Bauprojekte vergleichsweise klein machen. Am Ende handelt es sich aber dennoch um Gelder der Bevölkerung.»

Dass die Zentralbanken gleichzeitig geldpolitisch mit Summen hantieren, die in Milliarden oder gar Billionen gehen, macht Bauprojekte vergleichsweise klein. Am Ende handelt es sich aber dennoch um Gelder der Bevölkerung.

Ähnlicher Fall in Deutschland 

Auch in Deutschland kam kürzlich ans Licht, dass der Bundesrechnungshof ein Umbauprojekt der Bundesbank bemängelte. Die Kosten waren explodiert und der Zeitplan aus dem Ruder gelaufen, sodass der Rechnungshof Kürzungen erzwang. Pro Büroarbeitsplatz summierten sich die Ausgaben auf mehr als eine Million Euro. «Die Bundesbank hat einen Kostenrahmen ermittelt, der weit über das Übliche hinausgeht», lautete das Urteil.

Da die Bundesbank kaum noch über eigene Entscheidungskompetenz verfügt, bleibt die Kritik ohne grössere Folgen. 

Schweiz: Schmerzhafte Entscheidungen werden unvermeidlich

Anders ist die Ausgangslage in der Schweiz: Die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank SNB wird künftig entscheidend sein. Die bisherige Strategie, die Wirtschaft mit massiven Deviseninterventionen zu stützen, lässt sich nicht beliebig fortsetzen, ohne Instabilität aus dem Ausland zu importieren. 

Angesichts der Schuldenberge und der schwindenden Unabhängigkeit grosser Währungsräume wird die SNB nicht länger in gleichem Umfang gegen eine Aufwertung des Frankens ankämpfen können. Schmerzhafte Entscheidungen werden unvermeidlich.

Prüfung durch Eidgenössische Finanzkontrolle

Umso wichtiger ist es, Kritikern keine unnötige Munition zu liefern – gerade bei den Ausgaben. Die Betriebskosten der SNB sind laut ihrer Jahresrechnung deutlich gestiegen. In der Schweiz fehlt jedoch ein Rechnungshof, der Bauprojekte oder Budgets detaillierter kontrolliert.

«Für alle Zentralbanken gilt: Sie müssen die Tugend der Sparsamkeit vorleben.»

Die SNB könnte hier freiwillig Transparenz schaffen, etwa durch eine Prüfung durch die Eidgenössische Finanzkontrolle. Das würde ihre Unabhängigkeit nicht schmälern, sondern stärken. Sie könnte so zeigen, dass sie verantwortungsvoll mit Ressourcen umgeht – und sich die notwendige Freiheit für unpopuläre, aber wichtige geldpolitische Entscheidungen bewahren. 

Denn für alle Zentralbanken gilt: Sie müssen die Tugend der Sparsamkeit selbst vorleben, nicht nur von anderen fordern. Nichts zerstört Vertrauen schneller und nachhaltiger als Scheinheiligkeit.


Adriel Jost ist selbständiger Ökonom, Berater und Referent. Zudem ist er Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern (IWP) und Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen (HSG) sowie Präsident der Denkfabrik Liberethica. Zuvor war er u.a. bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) als Berater und bei Wellershoff & Partners als Chefökonom tätig.