Wie die Aufrüstungswelle die Finanzmärkte verändert
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Geopolitische Spannungen haben das Thema Verteidigung zurück ins Zentrum der Märkte gerückt. Ob Krieg in der Ukraine, Eskalationen im Nahen Osten oder Rivalitäten zwischen Indien und Pakistan. Die Nachfrage nach militärischer Stärke steigt weltweit. Die Welt rüstet wieder auf. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) kletterten die globalen Militärausgaben 2024 um 9,4 Prozent auf 2,7 Billionen US-Dollar. Europa verzeichnete mit +17 Prozent die stärkste Zunahme und brach mit drei Jahrzehnten der Zurückhaltung seit Ende des Kalten Krieges.
«Geld allein reicht nicht. Europas Armeen sind über Jahrzehnte geschrumpft, die Vorräte knapp.»
Der Nato-Gipfel im Juni 2025 setzte ein Signal: Bis 2035 sollen die Mitglieder 5 Prozent ihres BIP in Verteidigung stecken, davon 3,5 Prozent in unmittelbare militärische Ausgaben. Das entspräche jährlich 4,2 Billionen US-Dollar. Beinahe eine Verdoppelung gegenüber heute. Deutschland hätte dank einer vergleichsweise moderaten Schuldenquote von rund 62 Prozent fiskalischen Spielraum, während Frankreich, Italien und Grossbritannien mit über 100 Prozent deutlich stärker belastet sind.
In Brüssel wächst zudem die Sorge vor «Defence Washing», also das künftig auch Projekte wie digitale Infrastruktur oder Klimaschutzmassnahmen in die Verteidigungsbudgets einfliessen, um die Zielwerte zu erfüllen.
Europas Industrie unter Druck
Geld allein reicht nicht. Europas Armeen sind über Jahrzehnte geschrumpft, die Vorräte knapp. Ein deutscher Bericht von 2022 attestierte Munitionsbestände für nur wenige Tage und eine Einsatzbereitschaft von 30 Prozent bei Marinehubschraubern. 1990 verfügte die Bundeswehr noch über 215 Bataillone, 2015 waren es nur 44. Ähnliche Rückgänge verzeichneten Italien, Frankreich und das Vereinigte Königreich.
«Europas fragmentierte Landschaft erschwert den Aufbau schlagkräftiger Kapazitäten.»
Um gegenzusteuern, lancierte die EU im Mai 2025 den Fonds «Security Action for Europe» (SAFE) über 150 Milliarden Euro. Damit sollen gemeinsame Beschaffungen finanziert und die europäische Industrie gestärkt werden. Bis 2035 sollen 60 Prozent der Ausrüstung aus Europa stammen.
Dennoch bleibt der Abstand zu den USA erheblich: Das Pentagon beantragte für 2026 allein 142 Milliarden US-Dollar für Forschung und Entwicklung – mehr als das Sechsfache des gesamten europäischen Verteidigungs-R&D von 2023. Europas fragmentierte Landschaft erschwert zusätzlich den Aufbau schlagkräftiger Kapazitäten.
Anders als in der Vergangenheit geniesst die Aufrüstung heute breite Unterstützung. Gemäss Umfragen stieg der Anteil der Nato-Bevölkerung, die höhere Militärausgaben befürwortet, zwischen 2021 und 2024 von 29 auf 41 Prozent. Politische Entscheider haben die Signalwirkung verstanden: Der frühere deutsche Kanzler Olaf Scholz etwa forderte 2024 einen «Wechsel zur Massenproduktion von Waffen», um die Versorgungslücken zu schliessen.
Globaler Rüstungswettlauf
Die Aufrüstung ist kein rein europäisches Thema. In Asien und im Nahen Osten steigen die Budgets ebenfalls. Für europäische Hersteller ergibt sich daraus ein Dilemma: mehr Eigenproduktion für den Heimmarkt oder Exportmärkte bedienen?
«Konzerne wie Palantir treiben mit Künstlicher Intelligenz die Digitalisierung der Verteidigung voran.»
Da Frankreich, Deutschland, Italien und Grossbritannien zu den grössten Waffenexporteuren zählen, könnte eine stärkere Binnenorientierung internationale Kunden verprellen. Saudi-Arabien etwa hat sich bereits Richtung USA gewandt und im Mai 2025 einen historischen 142-Milliarden-Dollar-Deal abgeschlossen, ein Vorgeschmack auf mögliche Marktverschiebungen.
Investment-Case mit Risiken
Die Dynamik der Verteidigungsausgaben spiegelt sich längst an den Finanzmärkten wider. Aktien von Rüstungs- und Technologiekonzernen haben seit 2023 deutlich zugelegt und gehören zu den stärksten Performern ihrer Branchen. Europäische Anbieter wie Leonardo oder Babcock meldeten kräftige Auftragseingänge und Gewinnsteigerungen, doch US-Titel legen noch schneller zu. Konzerne wie Palantir treiben mit Künstlicher Intelligenz die Digitalisierung der Verteidigung voran und übertreffen regelmässig Gewinnprognosen.
«Negative Entwicklungen bei einzelnen Schlüsselkonzernen können überproportionale Folgen haben.»
Gleichzeitig ist der Sektor mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Verteidigungsunternehmen sind in hohem Masse von staatlichen Budgets abhängig. Politische Kurswechsel, Exportrestriktionen oder Verzögerungen in Grossprojekten können die Erträge belasten.
Zudem ist der Markt stark konzentriert, sodass negative Entwicklungen bei einzelnen Schlüsselkonzernen überproportionale Folgen haben können. Für Investoren bleibt daher eine breite Diversifikation entscheidend, um Chancen zu nutzen und Risiken abzufedern.
Die neue Aufrüstungswelle verändert nicht nur die Sicherheitsarchitektur, sondern auch Industriepolitik, Staatsfinanzen und Finanzmärkte. Europa muss industrielle Kapazitäten mühsam zurückholen, während die USA technologisch weiterhin dominieren. Für Investoren eröffnet sich damit ein globales Wachstumsfeld mit Potenzial, aber auch mit Risiken, die sich nicht wegrechnen lassen.
Dmitrii Ponomarev ist Produktmanager bei VanEck.













