Wie sieht das Schadensbild der US-Zölle in der Wirtschaft aus?

Vor einer Woche hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) beschlossen, den Leitzins weiterhin auf 0 Prozent zu halten – und ihn damit nicht in den negativen Bereich abgesenkt, obschon die USA Anfang August hohe Zölle für Schweizer Exporte ankündigten. Es sei nur ein kleiner Anteil der Schweizer Exporte direkt davon betroffen, hatte Martin Schlegel, Präsident des Direktoriums, an der Medienkonferenz festgehalten. Und ganz allgemein scheinen sich die gesamtwirtschaftliche Auswirkungen der Zollgeschichte bisher in Grenzen zu halten.

Allerdings ist nicht ausgemacht, dass dies so bleiben muss. Hinweise, wie sich die Zölle konkret bei exportorientierten Schweizer Industrieunternehmen bemerkbar machen, sind deshalb wertvoll, um ein besseres Schadensbild zu gewinnen. Und eine wichtige Quelle dafür ist der Bericht «Konjunktursignale», der im am Mittwoch von der SNB publizierten Quartalsheft zu finden ist.

Gespräche vor und nach dem 1. August

Der Bericht basiert auf Informationen, welche die Delegierten für regionale Wirtschaftskontakte in Gesprächen mit Unternehmensleitungen in der ganzen Schweiz zusammengetragen haben. Insgesamt wurden vom 22. Juli bis 9. September 212 Gespräche geführt und ausgewertet, der grösste Teil dürfte also nach dem 1. August, dem Tag der Bekanntgabe des Zollsatzes von 39 Prozent auf Schweizer Exporte in die USA, geführt worden sein (die SNB macht dazu keine weiteren Angaben).

Der in Anlehnung an das Beige Book der US-Notenbank auch Blue Book genannte Bericht mit seinen empirisch fundierten Resultaten dient dem Direktorium als eine wichtige Orientierungshilfe für den geldpolitischen Entscheid, neben den anderen doch eher modelllastigen Grundlagen.

Die aktuelle Ausgabe, in welcher der Zollproblematik eine eigene Seite gewidmet ist, bestätigt: Die Zölle tragen dazu bei, dass sich die Aussichten insbesondere für die Industrie eintrüben, haben aber bislang insgesamt nur wenig Spuren hinterlassen. Gemäss den Gesprächen ist die Schweizer Wirtschaft im dritten Quartal sogar leicht stärker gewachsen als im Vorquartal.

Belebung wird von US-Zöllen überschattet

Auch in der Industrie stellen die Unternehmen Anzeichen einer Belebung fest», hält die SNB fest. Aber die Zölle «treffen in die USA exportierende Industrieunternehmen zum Teil hart». Das stelle die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen in Frage, obwohl die Zölle in den Umsatzzahlen noch kaum sichtbar sind.

Mehr als ein Fünftel der besuchten Unternehmen spürten indes direkt negative Auswirkungen, d.h. tiefere Auftragsvolumen, Preise oder Margen. 

MEM-Industrie trifft es am härtesten

«Betroffen sind in erster Linie Industrieunternehmen, insbesondere aus der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) sowie der Uhrenindustrie. Rund 60 Prozent dieser Unternehmen spüren negative Effekte.» Immerhin hat sich der Anteil der von der US-Handelspolitik betroffenen Unternehmen gegenüber dem Vorquartal kaum verändert. Allerdings hat sich für die betreffenden Betriebe die Belastung nochmals deutlich erhöht.

Die SNB stellt auch fest, dass in der Schweiz produzierende Unternehmen aufgrund des höheren Zolles gegenüber der Konkurrenz aus der Europäischen Union oder dem Vereinigten Königreich benachteiligt ist.

Kosten teilen oder senken, Produktion verlagern, neue Märkte erschliessen

Wie können sie dennoch wettbewerbsfähig bleiben? Zuvorderst stünden Gespräche über die Aufteilung der Zollkosten zwischen den Unternehmen in der Schweiz, den importierenden Unternehmen, dem Handel in den USA und den Endkunden, berichtet die SNB. Betriebe mit Produktionsstätten in Ländern mit einem tieferen Zollsatz prüfen zudem Verlagerungen. Kostensenkungen und Kurzarbeitsentschädigung (die maximale Bezugsdauer wurde jüngst auf 24 Monate ausgedehnt) werden ebenfalls genannt. Zudem werden die Bemühungen verstärkt, neue Absatzmärkte zu erschliessen.

Der Wunsch Donald Trumps, dass (ausländische) Unternehmen vermehrt in den USA produzieren (statt Waren bloss einzuführen), erfüllt sich aber nicht. Aufgrund der Unsicherheit darüber, wie lange das hohe Zollniveau bestehen bleibt, sind die Schweizer Unternehmen nämlich mit grossen Investitionen in neue Produktionskapazitäten in den USA zurückhaltend.

Ob die jüngste ziemlich aussergewöhnliche und medial kaum beachtete gemeinsame Erklärung der SNB, des Eidgenössischen Finanzdepartements und des US-Treasury zu den Wechselkursen einen Beitrag zu einer Einigung im Zollstreit zu leisten vermag, bleibt abzuwarten.

Arbeitslosigkeit wird weiter zunehmen

Die SNB schlüsselt die Antworten der Unternehmen auch nach dem Zeitpunkt der Gespräche auf. Bei der Einschätzung der Umsatzentwicklung gibt es keinen Unterschied zwischen vor und nach der Zollankündigung geführten Gesprächen. Aber die Zuversicht in Bezug auf das Wachstum fällt nach dem 1. August besonders in der Industrie markant tiefer aus, selbst für Betriebe, für die der US-Markt nicht so bedeutend ist.

Konjunktursignale SNB Grafik

(Grafik: SNB)

An ihrer Lagebeurteilung hatte die SNB festgehalten, dass die Arbeitslosigkeit in der Schweiz weiter zunehmen dürfte. Die Unternehmen schätzen ihren Personalbestand insgesamt als angemessen ein. In der Industrie dominiert jedoch das Urteil, dass er zu hoch ist, und damit Personal abgebaut werden muss. Da auch der Dienstleistungssektor und die Bauwirtschaft bezüglich Neueinstellungen vorsichtiger geworden sind, scheint die Prognose einer steigenden Arbeitslosigkeit leider ziemlich gut fundiert zu sein. Dazu passt, dass das erwartete Lohnwachstum rückläufig ist (von 1,6 Prozent für 2025 auf 1,3 Prozent für 2006).

Chinesische Online-Händler sind günstiger

Auch abseits der Industrie enthält die Publikation «Konjunktursignale» Bemerkenswertes: So sehen sich die Detailhändler v.a. bei eher günstigen Produkten einem zunehmend starken Wettbewerb mit internationalen Onlineanbietern ausgesetzt. «Die hiesigen Unternehmen weisen darauf hin, dass die chinesischen Händler laschere Anforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Transparenz erfüllen und so deutlich günstiger anbieten können.»

Und in der Hotellerie bleiben die Gästezahlen hoch. «Individualgäste aus den USA, dem Mittleren Osten, Indien und diversen Nischenmärkten zeigen sich wenig preissensitiv und stützen die Nachfrage trotz der jüngsten Abschwächung des US-Dollars.» Zudem stellt die SNB einen Effekt der Fussballeuropameisterschaft der Frauen fest: Die Hotels rund um die Austragungsorte hätten davon profitiert.

Steht ein Dämpfer im Handelsgeschäft bevor?

Für diejenigen, die sich mehr für die Entwicklungen in der Finanzbranche interessieren: Die SNB attestiert ihr einen insgesamt einen soliden Geschäftsgang, mit steigendem Hypothekarvolumen und von der guten Börse begünstigter Vermögensverwaltung. Allerdings dämpfen die tiefe Finanzmarktvolatilität und die Vorsicht der Kundschaft das Handelsgeschäft.

Und für die mit der Wahrung der Preisstabilität betraute SNB quasi in eigener Sache wichtig und erfreulich: Die Inflationserwartungen sind gut im zulässigen Bereich (0 bis 2 Prozent) verankert: Die Inflationserwartungen der Unternehmen für einen Zeithorizont von drei bis fünf Jahren liegen unverändert bei 1,1 Prozent.