Wort für Wort: Was das AT1-Urteil über die Rettung der CS verrät

4. Doppelrolle der UBS als Nutzniesserin und Rechtsnachfolgerin

Das zuvor zitierte E-Mail der Credit Suisse an die Finma vom Nachmittag des 19. März zeigt, dass die damalige Geschäftsleitung der Credit Suisse in den letzten Stunden offenbar die Pflicht verspürte, die Interessen ihrer Anleihengläubiger zu schützen.

«A Finma determination of a Viability Event […] would constitute a gift of ca. CHF 16 bn to the shareholders of the acquiring party. This is currently putting the entire transaction at risk», drahtete sie nach Bern.

Nach der technischen Umsetzung der Abschreibung wurde sie in Anbetracht der vollzogenen Tatsachen passiv. Sie versäumte jedoch nicht, sich Parteistellung in den Verfahren der Bondholder zu sichern – die Grundlage, auf der sich später die UBS als Beschwerdegegnerin neben der Finma positionieren sollte.

Am 12. Juni 2023 wurde die Fusion vollzogen. Damit trat die UBS in eine Doppelfunktion: einerseits als Profiteurin der Abschreibung – die ihr eine buchhalterische Entlastung von rund 16,5 Milliarden Franken bescherte –, andererseits als Rechtsnachfolgerin jener Bank, die kurz zuvor noch die Interessen der Bondholder zu verteidigen versucht hatte.

«Die Beschwerdegegnerin [also die UBS, Anm. d. Red.] profitiert als Rechtsnachfolgerin der Verfügungsadressatin [also der CS, Anm. d. Red.] von der vorinstanzlich angeordneten Abschreibung der AT1-Kapitalinstrumente in dem Ausmass, als die Beschwerdeführenden als davon betroffene Gläubiger ihre Forderungen verlieren (d.h. Profit von ca. Fr. 16.5 Mrd.).»

Die UBS vereinte in sich zwei unvereinbare Rollen: als Nutzniesserin einer Verfügung, die ihr Milliarden einbrachte, und als Rechtsnachfolgerin jener Bank, die zumindest anfänglich versucht hatte, dieselbe Verfügung zu verhindern.

Sie hätte sich – auch im Bewusstsein ihrer von der Credit Suisse geerbten Rechtsposition gegenüber der Finma – neutral am Rand halten und den Rechtsstreit im Wesentlichen den Bondholdern und der Aufsichtsbehörde überlassen können.

Die Grossbank wählte jedoch einen anderen Weg, indem sie ihre juristische Kraft voll auf die Seite der Finma stellte und die Rechtmässigkeit der Abschreibung sehr engagiert verteidigte.

Das Gericht vermerkt ausdrücklich das aktive Engagement, das die UBS in dem Verfahren an den Tag legte: «Im Übrigen ist aufgrund ihres Prozessverhaltens offensichtlich, dass nicht nur die Beschwerdeführenden, sondern auch die Beschwerdegegnerin [also die UBS, Anm. d. Red.] der Frage der Rechtmässigkeit der angefochtenen Verfügung relevante Bedeutung zumessen.»

Ob diese offensive Strategie der UBS auf Dauer trägt, wird der weitere Verlauf des Verfahrens zeigen.


5. Grenzen des Notrechts bei Bankenrettungen

Ein zentrales Thema des Urteils ist das Verhältnis zwischen ordentlichem Recht und bundesrätlichem Notrecht.

Gemäss der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts haben Bundesrat und Finma in den Märztagen 2023 den gesetzlich vorgesehenen Rahmen überstrapaziert.

Ausgangspunkt ist der Rückgriff auf die Notverordnung über die Unterstützungsmassnahmen zugunsten der Credit Suisse, die der Bundesrat am 19. März 2023 erliess.

Sie enthielt in Art. 5a eine nachträglich eingefügte Bestimmung, wonach die Finma «den vollständigen oder teilweisen Abschreiber von Additional-Tier-1-Kapital anordnen» könne.

Dieser Passus wurde als rechtliche Grundlage für die AT1-Verfügung vom späten 19. März herangezogen.

Das Gericht hält jedoch fest, dass dieses Notrecht nicht verfassungskonform war, weil es in einem Bereich erlassen wurde, der bereits gesetzlich geregelt war – nämlich in der Too-big-to-fail-Gesetzgebung (TBTF), die das Vorgehen bei der Sanierung systemrelevanter Banken detailliert vorsieht.

Das Gericht erinnert daran, dass das Notrecht der Bundesverfassung nur für unvorhergesehene und vom Gesetzgeber nicht geregelte Ausnahmesituationen vorgesehen ist.

Allerdings: «Der Gesetzgeber hat seit 2008 mit der Too big to fail-Regulierung Krisenszenarien von systemrelevanten Banken antizipiert und sich damit auseinandergesetzt. Ein ‹bank run›, d.h. ein schneller und unvorhersehbarer Vertrauensverlust der Kunden, ist kein neues Phänomen, sondern gehört zum inhärenten Geschäftsrisiko einer Bank.»

Damit, so das Gericht, bestand kein Raum für ein eigenständiges bundesrätliches Handeln per Notverordnung. Es stehe «nicht im Belieben des Bundesrates, eine vom demokratischen Gesetzgeber gerade für solche Fälle ausgearbeitete Lösung zu derogieren».

Sollte diese Auffassung vor Bundesgericht Bestand haben, wäre das ein Wendepunkt: Der Handlungsspielraum von Bundesrat und Finma bei künftigen Bankenkrisen würde deutlich enger.


6. Karin Keller-Sutters explosive Aussage

In den hektischen Stunden des 19. März 2023 trat Bundesrätin Karin Keller-Sutter vor die Medien und sprach den inzwischen vielzitierten Satz: «This is not a bailout. This is a commercial solution.»

Das Bundesverwaltungsgericht greift diese Aussage auf. Denn sie widerspricht direkt jener Begründung, auf die sich die Finma bei der Abschreibung der AT1-Bonds stützte.

Die Aufsicht hatte ihre Verfügung damit gerechtfertigt, dass die staatlich gewährten Liquiditätshilfen und Verlustgarantien eine «öffentliche Unterstützung» im Sinne der ERV darstellten.

Das Gericht prüfte diese Argumentation sorgfältig – und kam zu einem gegenteiligen Schluss.

Zudem zog es Bundesrätin Karin Keller-Sutters Zitat als Beleg dafür heran, dass der Rückgriff auf Notrecht nicht gerechtfertigt war: «Bei der vorliegenden Fusion handelt es sich ... um ein Rechtsgeschäft zwischen zwei Privatrechtssubjekten.» Und weiter: «Im Ergebnis erweist sich das Zurückgreifen auf Notverordnungsrecht – trotz bestehendem einschlägigem Gesetzesrecht –, um im Rahmen einer privatrechtlichen Transaktion (‹commercial solution›) die Interessen einer Partei zu schützen, als von Art. 184 Abs. 3 bzw. Art. 185 Abs. 3 BV [also das Notrechtsdispositiv, Anm. d. Red.] nicht gedeckt.»

Denn wenn es tatsächlich eine «kommerzielle Lösung» war, dann entfiel die rechtliche Grundlage für das Eingreifen von Staat und Aufsicht zur Abschreibung der AT1-Bonds.


Wie finews.ch bereits kommentierte, besteht durchaus die Möglichkeit, dass das eher staatstragend urteilende Bundesgericht Mittel und Wege finden wird, die sorgfältig abgewogene Argumentation der Vorinstanz zu relativieren oder gar aufzuheben.

Ein bleibendes Verdienst der Richter in St. Gallen bliebe dennoch, dass sie mit diesem Entscheid bisher kaum zugängliche Einblicke in die rechtlichen und institutionellen Bruchstellen der Notfusion eröffnet haben.