Das Private Banking verlangt ein paar Qualitäten mehr als bloss nacktes Asset Management. Performance ist eine Voraussetzung, aber keine hinreichende, schreibt Thomas Fedier auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Das Bild ist überall gleichermassen deprimierend. Was derzeit die abrückende Generation in der Vermögensverwaltung ablöst, ist der Kundschaft häufig noch weniger zumutbar als eine schwache Performance. Diese latente Personalkrise ist womöglich eine grössere Gefährdung für den Finanzplatz Schweiz als die Flut von immer neuen regulatorischen Auflagen, die sich längst vom gesetzgeberischen Auftrag emanzipiert haben. In der Praxis dienen sie heute nur noch dazu, stellenlosen Juristen ein Erwerbseinkommen zu sichern.

Wenn wir uns in unserer Branche Gedanken machen, wie wir unser Geschäft führen wollen im Zeitalter der Robo-Advisors und anderen automatischen Vermögensmanagement-Systemen, dann kommen wir nicht um einen prüfenden Blick auf die kommenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herum.

Ehrlicherweise müssen wir uns gestehen, dass wir viel zu lange ausschliesslich auf die schiere Fachkompetenz geachtet haben. Womöglich noch auf die Fähigkeit, sich in eine Crew einzufügen (Teamgeist) statt sich gleich bei erster Gelegenheit auf die Hinterbeine zu stellen.

«Mit dem schleichenden Ende unserer Milizgesellschaft geht ein kultureller Verlust einher»

Wir müssen uns auch eingestehen, dass die spezifisch helvetische Sozialisierung mit ihren Militär- und Offizierskarrieren, dem Welschlandaufenthalt (und umgekehrt dem Jahr in der Deutschschweiz) sowie dem Willen, sich die anderen Landessprachen anzueignen, immer seltener wird.

Erst langsam realisieren wir, dass mit dem schleichenden Ende unserer Milizgesellschaft ein kultureller Verlust einhergeht. Er geht noch weit über die fehlende Aneignung der spezifischen Fähigkeiten hinaus. Man könnte beinahe sagen: Langsam werden wir wie alle anderen.

Es zeigt sich heute mehr denn je, dass der bleibende Wert des Militärs weniger die Ausbildung an der Waffe oder etwa der unentgeltliche Erwerb des Camion-Führerausweises war. Meinetwegen auch noch die Fähigkeit, im Unterstand 72 Stunden ohne Schlaf auszukommen und immer noch keinen grösseren Unsinn zu befehlen.

Bleibend waren vielmehr die Erfahrung des schnellen und unkomplizierten Umgangs mit allen möglichen Leuten aus allen Sprachzonen und den verschiedensten Regionen. Damit einhergehend die Wahrnehmung kultureller Differenzen. Aber ebenso der intuitive Wille, aus dem Heterogenen einen Gemeinsinn zu entwickeln. Und nicht zuletzt, sich als Schweizer in der Verschiedenheit zu erkennen. Und sich zu verständigen, ohne dafür wie ein Eingeborenenvolk mit dem Knochen in der Nase auf Englisch ausweichen zu müssen.

«Die einen leben mit dem Baumsterben, die anderen mit dem Zeitungssterben»

Nicht dass sich diese Fähigkeit nicht auch anders vermitteln liessen. Aber es ist nicht erkennbar, wer oder welche Institution sie heute – noch dazu auf eidgenössischer Ebene – pflegen und schulen würde. Dass die ETH Zürich als eidgenössische Institution und eines der frühesten Kinder des modernen Bundesstaats wegen ein paar Franken die vierte Landessprache aufgeben will, ist sicher kein Ausdruck übermässiger Sensibilität für die – zugegeben: anspruchsvolle – Landeskultur.

Soviel zum allgemeinen Hintergrund. Es gäbe sicher noch einiges zu sagen zu einer Elterngeneration, die von der Schule keine Bildung erwartet, sondern den Einstieg in eine – selbstredend: erfolgreiche – Berufskarriere. Es gäbe einiges zu sagen zu einer politischen Führung (so sie überhaupt führt), die das Unterrichtswesen in erschreckendem Masse bürokratisiert, so dass den Lehrern zunehmend weniger Zeit bleibt für Unterricht und eigene Bildung.

Darunter leiden alle Metiers. Vom Forstingenieur bis zum Zeitungsredaktor. Aber da fällt es weniger auf. Niemand stellt an sie besondere Ansprüche. Die einen leben mit dem Baumsterben, die anderen mit dem Zeitungssterben.

«Servile Mitarbeiter sind nicht inspirierend, aber unendlich angenehm»

Im Umgang mit den Vermögenden fällt es dagegen sehr auf. Die Kundschaft ist welterfahren, vorsichtig und anspruchsvoll. Sie ist an gepflegte Behandlung gewohnt. Was nicht zu verwechseln ist mit Servilität. Dafür sind die eigenen Mitarbeiter da. Immer nach dem Satz des langjährigen Lazard-Frères-Patrons Pierre David-Weill: «Servile Mitarbeiter sind nicht inspirierend, aber unendlich angenehm.»

Niemand bevorzugt die Eidgenossenschaft als Depotstelle und für die Vermögensverwaltung allein aus sachlichen Gründen. Faktisch gibt es so gut wie keine Standortvorteile mehr. Auch lässt sich nicht ernsthaft behaupten, dass die Performance der Schweizer Vermögensverwalter besser sei. Das Leistungsintegral der in der Schweiz domizilierten Fonds deutet zumindest nicht darauf hin.

Die Kunden kommen sicher auch nicht, weil die Gebühren hierzulande höher sind. So, wie sie sicher auch nicht darauf erpicht sind, die Freude ihres Kundenberaters an seinem neuen Cayenne zu teilen.

«Eine weit verbreitete Schwäche ist die Neigung zu billigen Schuhen»

Schon gar nicht, wenn das Äussere irgendwo zwischen Herren Globus und PKZ zu orten ist. Eine weit verbreitete Schwäche ist die Neigung zu billigen Schuhen – und die dann nicht einmal ordentlich zu putzen. Was gerade die deutsche Kundschaft gar nicht goutiert. Die italienische Kundschaft hat im Umgang mit Schweizern keine grossen ästhetischen Erwartungen: «Sei vestito come un Svizzero», heisst es in Italien, wenn sich jemand schlecht anzieht oder die Krawatte nicht akkurat knotet.

Ich will jetzt nicht gross ausholen und über das Desinteresse an Kultur klagen. («Anne-Sophie Mutter? – Ist das die Neue in der Wertschriftenverarbeitung?») Es ist aber unübersehbar, dass die wenigsten heute kulturell über ein Golf-Turnier hinauskommen. Und auch das mit Einschränkungen («Beim Golf bin ich über den Lehrer nicht hinausgekommen.»)

Es ist auch nicht damit getan, dass eine Grossbank oder eine Vermögensveraltungsbank grosszügig eine Operninszenierung unterstützt und die Kunden einlädt. Wenn sich die Berater nicht interessieren und von der Oper womöglich noch weniger wissen, vom Dirigenten noch nie etwas gehört haben und beim Sopran mehr das Decolleté als die Stimme bewundern, liegen nicht die besten Voraussetzungen für ein inspirierendes Pausengespräch vor.

«Vielleicht wird man sogar über Messer-und-Gabel-Kurse nachdenken müssen»

Zu ihrer Entlastung könnten die unglücklichen Nachwuchskräfte anführen, dass das Feuilleton der grossen nationalen Blätter schwer abgegeben hat. Dabei übersehen sie aber, dass gerade die «Financial Times» auch einen exzellenten Kulturteil pflegt. (Ebenso brillant gemachte Modestrecken.)

Aber wenn man die Zeitung nur noch auf dem Tablett zur Kenntnis nimmt, wie es sich der Nachwuchs zur Gewohnheit gemacht hat, hat auch der bestgemachte Kulturteil keine Chance mehr, mehr als eine Handvoll angefressener Freaks zu erreichen.

Vielleicht lohnt es sich darüber nachzudenken, die Lehrpläne an den Business Schools, Bankinstituten oder auch den praktischen Ausbildungsgängen zu ergänzen mit dem, was früher unter Allgemeinbildung üblich war, bevor man ins Berufsleben entlassen wurde. Vielleicht wird man sogar über Messer-und-Gabel-Kurse nachdenken müssen, wie sie die Schweizer Militärattachés seit gut 20 Jahren zu absolvieren haben, bevor sie auf ihren Auslandsposten dürfen. Die soziale Regression ist eben keineswegs nur ein Thema in der Bankenwelt.

Aber da können sie sehr einschneidend sein. In beiden Richtungen. Wenn dagegen ein Militärattaché einen Rotwein zum Fisch serviert, weil das jetzt bei ihm daheim Mode geworden ist, ist der Export von Schweizer Rüstungsgut kaum gefährdet.

«Sich etwas anlesen und Pflichtläufe absolvieren, reicht nicht»

Letztlich ist es so, dass man ein Gesellschaftsleben einfach leben muss. Sich etwas anlesen und Pflichtläufe absolvieren, reicht nicht. Die wirklich erfolgreichen Vermögensverwalter – angestellt oder selbständig – bewegen sich von Galerie zu Konzert oder auch von Wein-Degustation zu Pferderennen, von Oper zu Ausstellung, von der Vernissage zur Premiere und auch durchaus einmal zu einem Fussball-Match. Alles mit absoluter Natürlichkeit. Da sind sie daheim. Das ist ihr Turf. Das stimuliert sie, und da laufen sie zu grosser Form auf. Alles sicher nicht zum persönlichen Nachteil.

Womit sich wieder bestätigt, dass kulturelles Raffinement und ein hoher Selbstanspruch sich nicht einkommensschmälernd auswirken. Es wird Zeit, die weichen Werte ernstzunehmen.


Thomas Fedier ist Partner und CEO der Firma VT Wealth Management, einer unabhängigen Vermögensverwaltung in Zürich.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Thomas Fedier, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Peter Hody, Albert Steck, Andreas Britt und Martin Dahinden.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.55%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.94%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    8.95%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.57%
pixel