Der Ex-Chef von Raiffeisen Schweiz gibt sich nach seiner Entlassung aus der U-Haft überraschend angriffig. Hat der Mann kein Sensorium für Unrecht oder geht die Strategie der heftigen Gegenwehr auf?

106 Tage hinter Gittern, davon täglich 23 Stunden in einer zehn Quadratmeter grossen Zelle: Für den eben aus der Untersuchungshaft entlassenen 62-jährigen Pierin Vincenz muss das eine höchst belastende Zeit gewesen sein. Doch wer jetzt erwartet hat, dass der ehemalige Raiffeisen-Chef sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht und mit Verweis aufs laufende Verfahren schweigt, liegt weit daneben.

Kaum auf freiem Fuss, teilte der ehemalige Raiffeisen-Chef in gewohnter Manier aus. «Die Untersuchungshaft war aus meiner Sicht unnötig und ihre Länge völlig unverhältnismässig», liess er am (heutigen) Mittwoch in einem Communiqué verlauten.

Gleicher Tonfall wie vor drei Monaten

Weiterhin pocht er auf seine Unschuld: Die Eröffnung des Strafverfahrens sei für ihn völlig überraschend gekommen, die Themenkreise des Verfahrens lägen Jahre zurück und seien bestens dokumentiert.

«Die im Rahmen des Strafverfahrens gegen mich erhobenen Vorwürfe bestreite ich nach wie vor, und ich werde mich mit allen Mitteln dagegen wehren», drohte der Ex-Banker. Ganz ähnliche Worte hatte Vincenz verwendet, als er vor über drei Monaten ins Gefängnis wanderte.

Genaues Kalkül?

An Vorwürfen mangelt es allerdings nicht. Vincenz wird ungetreue Geschäftsbesorgung in Zusammenhang mit Firmenkäufen bei der Genossenschaftbanken-Gruppe Raiffeisen und der Zahlungsspezialistin Aduno vorgeworfen, als deren Präsident er bis 2016 wirkte.

Weitere Anschuldigungen kamen in den letzten Tagen hinzu: So untersuchen Raiffeisen, Aduno sowie offenbar auch die Zürcher Staatsanwaltschaft, ob Vincenz bei Spesen private und geschäftliche Ausgaben vermischte.

Das Rechtssystem spielte bislang gegen ihn

Es gilt für ihn die Unschuldsvermutung – und trotzdem scheint die laute Gegenwehr angesichts der umfangreichen Anschuldigungen gewagt. Oder geschieht sie aus genauem Kalkül des Bankers, der aus der einstigen Bauernbank Raiffeisen ein Imperium mit Systemrelevanz für das Schweizer Finanzsystem zimmerte?

Fakt ist, dass die Ermittler in ihrem Vorgehen gegen Vincenz bis jetzt relativ leichtes Spiel hatten. So harsch die lange Versuchungshaft anmutet – im Schweizer Rechtssystem stehen der Massnahme im Vergleich zu anderen Ländern relativ wenig Hürden entgegen.

Die Staatsanwaltschaft, die bei Vincenz und dem nun ebenfalls aus der U-Haft entlassenen ehemaligen Aduno-Chef Beat Stocker Verdunkelungsgefahr vermutete, konnte darauf zählen, dass sie mit diesen Argumenten beim Haftrichter ankommt.

Jetzt beginnt die Schwerarbeit für den Staatsanwalt

Doch jetzt beginnt die Schwerarbeit für die Ermittler unter dem Zürcher Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel. Er muss aus den Vorwürfen einen Fall zimmern, und das ist gerade in Sachen ungetreue Geschäftsbesorgung und angesichts der verschachtelten Firmenkonstrukte durchaus kein Kinderspiel, wie Experten bereits ins Feld geführt haben. Für einen Schuldspruch müssen Vincenz hieb- und stichfest kriminelle Machenschaften nachgewiesen werden.

Zudem hat der Ex-Raiffeisen-Chef seine Verteidigung in fähige Hände gegeben: Lorenz Erni wird für ihn die Klinge mit der Staatsanwaltschaft kreuzen. Er gilt als einer der besten Strafverteidiger des Landes.

«Sehr aufwändige Untersuchung»

Das Team von Marc Jean-Richard-dit-Bressel, das unlängst die Ermittlungen auf weitere Personen ausgedehnt hatte, gab sich am Mittwoch seinerseits zuversichtlich, spricht aber von einer «sehr aufwändigen Untersuchung». Diese sei dank intensiver Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Kantonspolizei «weit fortgeschritten», so dass die Beschuldigten unter Auflage verschiedener Ersatzmassnahmen aus der Haft entlassen werden konnten. Zum weiteren Vorgehen hält sich die Behörde bedeckt.

Anders Vincenz: Stunden nach der Entlassung hat er bereits das Heft des Handelns laut und deutlich an sich gerissen. Wer seinen Aufstieg kennt, weiss, dass er es nicht so schnell wieder aus der Hand geben wird.

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