Vor zehn Jahren begann die globale Finanzkrise. Nach einer unscheinbaren Verlustankündigung der britischen Bank HSBC nahm das Unheil seinen Lauf. In einem Essay blickt Finanzmarktexperte Adriano B. Lucatelli zurück.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Am 7. Februar 2007 überraschte die britische Grossbank HSBC die Finanzmärkte mit einer Gewinnwarnung im Zusammenhang mit Abschreibungen auf US-Subprime-Hypotheken. Niemand konnte damals erahnen, dass daraus die schwerste Weltwirtschaftskrise seit der grossen Depression von 1929 entstehen würde. Die Krise von 2007 stellte sogar den Börsenkrach vom 19. Oktober 1987 («Schwarzer Montag») oder die Dotcom-Krise von 2000 in den Schatten.

Nach der Verlustankündigung der HSBC nahm das Unheil seinen Lauf. Am 9. August 2007 meldete die französische Bank BNP Paribas das Aus von drei Investmentfonds, die in US-Hypothekenkredite investierten und de facto zahlungsunfähig waren. Am 14. September 2007 kam es zu einem Bankrun auf die britische Hypothekenbank Northern Rock. Die Leute standen stundenlang vor den Filialen Schlange, um ihr Geld abzuheben.

«Am 15. September 2008 überstürzten sich die Ereignisse förmlich»

Am 22. Februar 2008 war dann auch Northern Rock am Ende und wurde vom englischen Staat übernommen. Am 17. März 2008 liess sich die stolze Investmentbank Bear Stearns für 236 Millionen Dollar von J.P. Morgan Chase übernehmen, um einer Insolvenz zuvorzukommen.

Ihren Höhepunkt erreichte die Krise aber am 15. September 2008, als sich die Ereignisse förmlich überstürzten. Die Investmentbank Lehman Brothers beantragte Chapter 11 und ging unter; Merrill Lynch wurde für 50 Milliarden Dollar von der Bank of America übernommen. Der US-Index Dow Jones Industrial Average (DJIA) erlitt daraufhin den grössten Tagesverlust seit den Terrorattacken vom 11. September 2001 und fiel um 777.68 auf 10'365.45.

Börsenentwicklung zwischen Februar 2007 und März 2009

Borsenentwicklung 500

(Quelle: Bloomberg)

Wie sieht es heute, zehn Jahre danach, aus? Betrachtet man die USA, ist alles in Ordnung. Im Gefolge der Normalisierung der Geldpolitik durch die US-Notenbank am 16. Dezember 2015 konnte das offizielle Ende der Finanzkrise verkündet werden. Der breit abgestützte US-Börsenindex S&P 500 und auch der DJIA haben inzwischen den Vorkrisenwert längst hinter sich gelassen. Seit der Wahl von Donald Trump haben sie sogar neue Allzeithochs erreicht.

«Auch in Italien brodelt es weiter»

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. In der Eurozone sehen die Aussichten noch immer vorwiegend düster aus. Um die taumelnden Banken zu retten, mussten die Regierungen Milliardensummen aufwenden. Hieraus erwuchs die Staatsschuldenkrise, die die europäische Einheitswährung Euro in existenzielle Nöte brachte.

In Europa hat die Krise mit Griechenland genau genommen bereits ihr erstes Opfer gefordert. Das Land liegt in Trümmern, und es ist nicht absehbar, wie Hellas seine Schulden je wieder zurückzahlen kann. Ohne Schuldenschnitt werden die Griechen kaum mehr auf die Beine kommen, und ein Grexit dürfte letztlich unausweichlich werden.

Auch in Italien brodelt es weiter. Nach zehn Jahren Stagnation und drei Jahren Rezession sind der Wohlstand, die Beschäftigungs- und die Ersparnisquote im Belpaese am Boden. In der Folge haben populistische Kräfte stark an politischem Gewicht zugelegt, und die «Fünf-Sterne-Bewegung» liebäugelt gar mit dem Austritt Italiens aus der Eurozone.

«Bei weiterer Untätigkeit könnte dies die Spätfolge der Krise von 2007 sein»

Von einer Überwindung der grossen Finanzkrise kann in Europa also nicht die Rede sein. Vielmehr ist das europäische Einigungsprojekt weiterhin in Gefahr.

Die Euroländer sind deshalb aufgerufen, die Beseitigung der durch die Krise aufgedeckten strukturellen Schwächen an die Hand zu nehmen und nachhaltige Reformen durchzuführen. Sollte ihnen dies nicht gelingen, stehen der EU äusserst stürmische Jahre bevor.

Das Auseinanderbrechen der Eurozone, wenn nicht gar der EU, könnte bei weiterer Untätigkeit durchaus die Spätfolge der globalen Finanzkrise von 2007 sein.


Adriano B. Lucatelli ist ein Schweizer Unternehmer, Dozent an der Universität Zürich und Mitgründer des Vormärz, eines Think Tanks zur Förderung des Dialogs zwischen der Realwirtschaft und den Finanzmärkten. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität Nevada (BA) sowie an der London School of Economics (MSc). Er promovierte über die Thematik der globalen Finanzmarktaufsicht. Lucatelli ist Mitgründer und Delegierter des Verwaltungsrates von Descartes Finance. Seine Berufslaufbahn startete er 1994 bei der Credit Suisse. Zwischen 2002 und 2009 war er bei der UBS Schweiz als Managing Director und Mitglied des Management Committee tätig.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang, Guido Schilling und Claude Baumann.

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