Man stelle sich eine Finanzwelt vor, in der Transaktionen öffentlich einsehbar oder Einkünfte von Banken in Echtzeit abrufbar sind. Die On-Chain-Analyse ermöglicht dies bereits in der Kryptowelt. 

Von Pascal Hügli und Manuel Jungen


Eine Finanzwelt, die die dem Ideal eines vollkommen transparenten Finanzsystems verdächtig nahekommt, entwickelt sich derzeit auf öffentlichen Blockchain-Protokollen. Um von dieser Öffentlichkeit der Daten bestmöglich profitieren zu können, etabliert sich eine neue Domäne, die sogenannte On-Chain-Analyse.

Mit deren Hilfe lässt sich der Puls öffentlicher Blockchains fühlen. Sie liefert vertieften Einblick darüber, was auf einer Blockchain und den darauf basierenden Protokollen geschieht. Diese Echtzeit-Daten wiederum erlauben es, Rückschlüsse über Marktereignisse zu ziehen oder auch auf potenzielle Preis- und Finanzentwicklungen zu spekulieren.

Kryptohandelsbörsen im Hauptfokus

Natürlich findet auch in der Kryptowelt nicht alles auf der Blockchain statt. Handelsbörsen wie Coinbase, Binance oder FTX führen sogenannte Off-Chain-Bücher, die aber stets Berührungen zu verschiedenen öffentlichen Blockchains haben. Als wichtige Treiber sind die Börsen der Ort, wo der Grossteil der Transaktionen und der Preisfindungsprozess stattfindet.

Die öffentliche Einsehbarkeit von Blockchains hilft dabei, mittels wichtiger Kennzahlen das aktuelle Geschehen am Markt interpretieren zu können. Durch On-Chain-Analyse können beispielsweise die von Börsen gehaltenen Bitcoin-Bestände ermittelt werden. Da jede Transaktion auf der Blockchain geschieht, kann zudem jeder Bitcoin, der zur Börse hin- oder von ihr wegfliesst, nachverfolgt werden. Diese Daten liefern wertvolle Informationen über die im Markt vorhandene Liquidität, das Verhalten von Investoren sowie die Angebotsseite des Marktes.

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Aggregierte Bitcoin-Bestände auf den Kryptobörsen

 

Ein konkretes Beispiel sind sogenannte Whale-Alerts. So gibt es heute verschiedene Akteure, welche die öffentlichen Blockchains rund um die Uhr überwachen. Werden grössere Bitcoin- oder andere Kryptowährungsbestände bewegt, ist das auf der Stelle ersichtlich. Mit dieser Art von Whale-Watching, wie es in Krypto-Kreisen genannt wird, können unter anderem auch mögliche Preisbewegungen antizipiert werden.

Dann nämlich, wenn eine grössere Menge Bitcoin eben von einer privaten Wallet auf eine Handelsbörse geschickt worden ist - eventuell mit der Absicht, verkauft zu werden. Diese Information wäre in etwa damit zu vergleichen, wenn ein traditioneller Grossinvestor eine beachtliche Menge Aktien an die SIX schicken würde, um diese zu liquidieren.


Whale Alert auf Twitter: Angebotsschock in Sicht?

Zurzeit scheinen die Kryptowale allerdings eher abgetaucht zu sein. Noch bis Mai wurden mehr Bitcoin zu- als von den Börsen weggeschickt. Seither hat der Wind gedreht und die Anzahl Bitcoin, die auf Kryptobörsen gehalten werden, tendiert stark nach unten. Einige On-Chain-Analysten spekulieren deshalb, dass der Bitcoin-Preis durch einen Angebotsschock bis Ende Jahr nochmals in die Höhe getrieben werden könnte.

Bitcoin Balance


Anzahl auf allen Börsen kumuliert gehaltenen Coins (gelb)

Werden Coins und Token von Börsen abgezogen, kann dies bedeuten, dass Investoren diese zur langzeitigen Selbstverwahrung abziehen. Dies liesse eher auf eine bullische Preisentwicklung schliessen. Zuflüsse von Coins und Token an Börsenadressen können dagegen auf Gewinnmitnahmen hindeuten.

Neben diesen Börsen-Metriken existieren noch unzählige weitere Parameter, die man on-chain beobachten kann. Ebenfalls spannend zu beobachten sind Vergleiche von lang- und kurzfristigen Bitcoin-Besitzern oder die Wachstumsrate neuer Adressen auf der Blockchain, welche Bitcoin halten (siehe Grafik 4).

Wenn fortlaufend neue Bitcoin-Besitzer dazukommen, ist das ein Indiz auf ein Wachstum des Bitcoin-Netzwerkes, was wiederum auf eine positive Stimmung am Markt hindeutet. Dieses zusätzliche Interesse stärkt den Netzwerk-Effekt von Bitcoin und gilt als Indikator für die Gesundheit, aber auch für die Bewertung des Bitcoin-Netzwerkes.

Bitcoin entities


Anzahl neuer BTC Adressen (gelb) in Relation mit der Preisentwicklung in USD (grau)

Die öffentliche Einsehbarkeit der Blockchains liefert somit Echtzeit-Daten auf makroökonomischer Ebene - etwas, was sich ein jeder Makroökonom und jede Konjunkturforschungsstelle für das traditionelle Wirtschaftsgeschehen sehnlichst wünschen würden. Doch nicht nur makroökonomische Trends sind potenziell abschätzbar, auch einzelne Projekte können auf Herz und Nieren geprüft werden.

Neuheit On-Chain-Banken

So zum Beispiel die aufstrebenden Blockchain-basierten Protokoll-Banken. Deren Bilanzen sind sprichwörtlich ein offenes Buch für Nutzer und Investoren. Auch sind sämtliche relevante Statistiken bezüglich Einnahmen, Kreditvolumen, Besicherungsbestand oder Anzahl Aktionäre transparent einsehbar. Im Unterschied zur traditionellen Bank, die ihre Ergebnisse nur quartalsweise publiziert, liefern On-Chain-Banken alle Zahlen und Fakten rund um die Uhr.

Verschiedene Firmen wie Glassnode, Cryptoquant oder auch Santiment aus der Schweiz sind mittels On-Chain-Analysen bemüht, diese Daten zu aggregieren und sie einer möglichst breiten Masse zugänglich zu machen. Auch dürften bald die erste Stellen geschaffen, die explizit auf das Profil On-Chain-Analyst ausgerichtet sind. Die zunehmende Verschmelzung von öffentlichen Blockchains, digitalen Assets und der etablierten Finanzwelt wird dafür sorgen, dass die On-Chain-Analyse zu einem wichtigen Bestandteil der Forschungsabteilung bei Banken werden wird.


Manuel Jungen hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften und ist heute unternehmerisch tätig. Seine Leidenschaft als Pokerspieler hat ihn das Feld der On-Chain-Analyse entdecken lassen.

Pascal Hügli schreibt regelmässig für finews.ch. Er ist Moderator, Debattierer und Dozent an der HWZ, wo er vor allem zum Thema Bitcoin, Kryptoassets und Blockchain unterrichtet. Wie Manuel Jungen schreibt er für den Newsletter Insight DeFi.

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