Das Jahr 2021 stellte China vor grosse Herausforderungen: Eine ungewöhnlich hohe Ungewissheit in Bezug auf die politischen Veränderungen und die zunehmend zentralisierte Kontrolle der Partei dominierten. Die Kombination dieser Faktoren wird die Art und Weise in Frage stellen, wie in- und ausländische Investoren sich am chinesischen Markt engagieren, schreibt Jan Boudewijns in seinem Beitrag auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Der CEO von J.P. Morgan, Jamie Dimon, musste sich anlässlich seiner jüngsten Reise nach Hongkong für seinen «Witz» lang und öffentlich entschuldigen. Er hatte gesagt: «Die Kommunistische Partei Chinas feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Auch J.P. Morgan besteht seit 100 Jahren in China. Ich bin überzeugt, dass wir länger Bestand haben werden.»

Jack Ma, der Gründer von Alibaba und einer der reichsten Menschen in Asien, hätte Herrn Dimon eine Warnung sein können: Die kommunistische Führung Chinas duldet es nicht, ins Lächerliche gezogen zu werden.

Vor einem Jahr wurde der Börsengang von Alibabas Ant Finance, einer der grössten der Geschichte, plötzlich in letzter Minute von den chinesischen Behörden abgesagt. Es gab natürlich offizielle Gründe – aber die Entscheidung fiel, nachdem Jack Ma in einer Rede die Partei kritisiert und ihr vorgeworfen hatte, zu konservativ zu sein und Innovationen zu verhindern.

«Zunehmend wenden die Behörden Vorschriften an, um dem Internetsektor Einhalt zu gebieten»

Die Absage des Börsengangs war der Auftakt zu einer sehr wichtigen und scheinbar überraschenden politischen Wende in Peking. Zunehmend wenden die Behörden wettbewerbs- und kartellrechtliche Vorschriften an, um dem Internetsektor Einhalt zu gebieten. Dieser hat aufgrund niedriger Einstiegsbarrieren stark expandiert und wird immer mächtiger. Offenbar soll die Richtungsänderung Pekings die neue Klasse der Multi-Milliardäre und andere potenzielle Gegner daran erinnern, wer in China wirklich das Sagen hat: die Kommunistische Partei und Xi Jinping.

Ma, der nach seinen kritischen Äusserungen sogar für einige Zeit verschwand, war wahrscheinlich das primäre Ziel. Andere Internetmoguln reagierten schnell und führten die Anweisungen ihrer Partei demonstrativ aus.

Die auf den Binnenmarkt abzielenden regulatorischen Massnahmen betreffen unter anderem auch den privaten Bildungs- und den Online-Gaming-Sektor. Infolgedessen erzielten chinesische Aktien angesichts des bereits nachlassenden Wachstums dieses Jahr eins ihrer schlechtesten Ergebnisse. Die Bedenken der Anleger infolge der staatlichen Massnahmen führten dazu, dass die in China kotierten Unternehmen mehr als eine Billion Dollar an Marktwert einbüssten. Auch beeinträchtigten die Regierungsmassnahmen die Renditen der einzelnen Sektoren und Aktien in unterschiedlichem Ausmass.

«Die Volkszählung 2021 deutet auf eine merkliche Verschlechterung der demografischen Entwicklung hin»

Der «Regulierungstsunami» ist durch zwei wesentliche Probleme Pekings begründet: der demografischen Zeitbombe und der Machtposition von Xi Jinping vor dem 20. Parteikongress, der 2022 stattfindet. Die Regierung ergriff Massnahmen, um mögliche Gefahren für ihren «gemeinsamen Wohlstand» zu mindern und zu zeigen: Die Führung behält den Zügel fest in der Hand und wird die sozialen Werte dem Wirtschaftswachstum voranstellen und die «soziale Stabilität» erhalten.

Die Volkszählung 2021 deutet auf eine merkliche Verschlechterung der demografischen Entwicklung hin – mit einer der niedrigsten Wachstumsraten der Bevölkerung seit den 1950er-Jahren. Auf diese Feststellung folgte sehr schnell eine Reihe von Massnahmen: die Ankündigung einer Drei-Kinder-Politik (trotz der derzeit nicht erfolgreichen Zwei-Kinder-Politik) sowie Anreize für Paare, zu heiraten und Kinder zu bekommen.

Die Regierung versprach auch, die Kosten für den Aufbau einer Familie zu senken. Das erklärt die Massnahmen zur Beschränkung der teuren privatwirtschaftlichen Nachhilfe, um den ständigen Druck auf die Kinder zu mindern. Damit verbunden sind auch die Schritte zur Reduzierung der hohen Kosten für Wohnraum und Gesundheitsleistungen.

«Diese Politik hat bewirkt, dass es in Megastädten wie Schanghai keine Ansteckungen gegeben hat»

In der Zwischenzeit kühlt die chinesische Konjunktur ab. Ausschlaggebend dafür sind die (Schulden-)Krise des für die Wirtschaft wesentlichen Immobiliensektors, die hohen Kommunalschulden und die Straffung der Kreditpolitik. Eine Belastung stellten zudem die jüngsten Überschwemmungen, eine kurze, aber schwerwiegende Unterversorgung mit Strom und die Null-Toleranz-Politik in Bezug auf Covid-19. Diese Politik hat bewirkt, dass es in Megastädten wie Schanghai keine Ansteckungen gegeben hat und sie wird zumindest bis nach den Olympischen Winterspielen in Peking fortgesetzt. Wenn nicht rasch Unterstützungsmassnahmen ergriffen werden, ist davon auszugehen, dass das Wachstum unter die psychologisch wichtige Schwelle von 5 Prozent sinkt. Die geplanten Wirtschaftstreffen im Dezember werden genau beobachtet.

Darüber hinaus gibt es weitere, neue Negativfaktoren, die Peking möglicherweise nicht so leicht eindämmen kann. Darunter fallen die zunehmenden Forderungen westlicher Politiker nach Massnahmen im Zusammenhang mit den von China ausgehenden Sicherheitsrisiken: seine (potenziellen, aber nicht wahrscheinlichen, sofern nicht erzwungenen) militärischen Absichten gegenüber Taiwan, seine Kapazitäten zu Cyber-Attacken und Vorwürfe einer ernstzunehmenden Geheimdienstpräsenz im Westen. Hinzu kommt die finanzielle Belastung, die China für die «Neue Seidenstrasse» mehreren Entwicklungsländern aufbürdet.

«Als Staatspräsident ist es Xi Jinping gelungen, den Grossteil der Opposition zum Schweigen zu bringen»

Des Weiteren bestehen ernste Bedenken angesichts der Menschenrechtsverstösse, der Bekämpfung der politischen Äusserungen (insbesondere in Hongkong) und der Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang. Hochkarätige Persönlichkeiten sind «verschwunden». Das hat ebenfalls nicht dazu beigetragen, den Ruf Chinas im Ausland zu verbessern.

Der 20. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas soll 2022 die neue Machtstruktur bestimmen. Als Staatspräsident ist es Xi Jinping gelungen, den Grossteil der Opposition zum Schweigen zu bringen und seine Amtszeit sogar zu verlängern. Er zielt eindeutig auf eine unbefristete Amtszeit ab und will in derselben Liga spielen wie seine Vorgänger Mao Zedong und Deng Xiaoping.

Das 2021 stellte Anleger in China vor grosse Herausforderungen: Eine ungewöhnlich hohe Ungewissheit in Bezug auf die politischen Veränderungen und die zunehmend zentralisierte Kontrolle der Parteien auf allen Ebenen öffentlicher und privater Aktivitäten dominierten. Obwohl das Marktumfeld im Allgemeinen enttäuschend war, wird die Kombination dieser Faktoren die Art und Weise in Frage stellen, wie in- und ausländische Anleger sich am chinesischen Markt engagieren.

«Leider dürfte niemand von uns noch hier sein, um es herauszufinden»

Die Investoren haben die Wahl, ob sie in die chinesische Wirtschaft oder die chinesischen Märkte investieren wollen oder nicht. Mit Hilfe ihrer Anlageentscheidungen können sie den Druck auf die chinesische Regierung aufrechtzuerhalten, damit eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft entstehen kann.

Institutionelle Anleger und internationale Unternehmen, die wie J.P. Morgan in China tätig sind, können nicht jedes Mal weglaufen, wenn etwas passiert, das ihnen nicht gefällt. Denn sie spielen eine wichtige Rolle. Ob sie die Kommunistische Partei Chinas für weitere 100 Jahre überleben, bleibt abzuwarten. Leider dürfte niemand von uns noch hier sein, um es herauszufinden.


Dieser Beitrag stammt von Jan Boudewijns in Zusammenarbeit mit Paulo Salazar, beide Co-Heads of Emerging Market Equities beim weltweit tätigen Vermögensverwalter Candriam.


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