Der Countdown läuft. Nicht einmal mehr sechs Monate sind es, bis am 1. Januar 2022 mit der Ablösung des Libor in der Finanzwelt eine neue Ära anbricht, schreibt Philip Adler in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Mit dem Libor (London Interbank Offered Rate) endet die mehr als drei Jahrzehnte währende Alleinherrschaft dieses Interbankensatzes, der für ein breites Spektrum an Finanzinstrumenten (Kredite, Anleihen, Derivate, strukturierte Produkte) als Referenzzinssatz fungiert hat und dessen Veröffentlichung in Euro, Franken, Pfund Sterling und Yen nun eingestellt wird. Für die Publikation des Libor in Dollar wurde für das sehr kurze Laufzeitensegment eine Gnadenfrist bis 2023 gewährt.

Manipulationen und schwindende Liquidität am Interbankenmarkt hatten den Ruf des Libor schwer beschädigt und dazu geführt, dass dieser nun neuen risikofreien Referenzzinssätzen (sogenannten Alternative Reference Rates – ARR) weichen muss, denen der Finanzstabilitätsrat als federführendes Gremium dieser internationalen Reform höhere Verlässlichkeit und Robustheit attestiert.

«Die seit 2014 laufende grundlegende Reform des Referenzzinssystems ist eine echte Mammutaufgabe»

Im Gegensatz zum Libor, der auf Grundlage von Schätzungen der Panel-Banken berechnet wurde, werden die ARR aus tatsächlich getätigten Transaktionen abgeleitet. Die seit 2014 laufende grundlegende Reform des Referenzzinssystems ist wegen der hohen Komplexität und schieren Grösse des Marktes (Mitte 2018 betrug das Volumen von an verschiedene Libor-Sätze gekoppelten Transaktionen sage und schreibe 400 Billionen Dollar) eine echte Mammutaufgabe.

Zwar sind noch nicht alle Unsicherheiten beseitigt, doch insgesamt ist es dem Finanzsektor ganz gut gelungen, seine Kräfte zu bündeln und diese Hürde zu nehmen. Dabei wurde eine seltene Einigkeit an den Tag gelegt, die in ihrer Einzigartigkeit auch dadurch nicht geschmälert wird, dass die Vorbereitungen nicht in jedem Land gleich schnell vorangetrieben wurden.

In nationalen Arbeitsgruppen arbeiteten Vertreter von Zentralbank, Aufsichtsbehörden und der Branche Hand in Hand, um mit dieser Reform gleich mehrere Schwachstellen anzugehen. Neben der Festlegung der neuen Referenzzinssätze galt es, bestehende Verträge neu zu verhandeln, auf die neue Benchmark umzustellen und die Flut an Neuverträgen auf die neuen Zinssätze zuzuschneiden.

«In den USA sorgt die Libor-Ablösung für Angstschweiss bei allen Beteiligten»

In Grossbritannien scheint man dem Stichtag am 1. Januar gelassen entgegenblicken zu können. Der britische Nachfolger für den Libor, der Sterling Overnight Index Average (SONIA), hat sich an den Anleihe- und Derivatemärkten bereits recht gut etabliert. Schon seit letztem Frühjahr wird in Neuverträgen und bei in Pfund Sterling begebenen Produkten nicht mehr der Libor als Bezugsgrösse verwendet. Auch in der Eurozone steht man in den Startlöchern, um bestimmte Referenzzinssätze abzulösen, wobei der EURIBOR als bedeutendster Euro-Satz weiterhin veröffentlicht wird, wenn auch mit geänderter Berechnungsmethode. Der 2019 eingeführte €STR (Euro Short-Term Rate) soll den Übernachtzinssatz EONIA ersetzen.

In Japan steht indes noch einiges an Arbeit bevor. Erst vor Kurzem warnte ein Vertreter der japanischen Notenbank, die Uhr ticke unaufhörlich, und zeigte sich besorgt, dass die Finanzinstitute bei der Umstellung ihrer Verträge mit Libor-Bezug nur schleppend vorankommen. Neben dem seit Anfang 2021 veröffentlichten TORF (Tokyo Term Risk Free Rate) stehen in Japan noch zwei weitere risikofreie Zinssätze zur Auswahl.

Auch in den USA sorgt die Libor-Ablösung für Angstschweiss bei allen Beteiligten. Mit der Entscheidung, die Veröffentlichung des USD-Libor bis Mitte 2023 zu verlängern, soll den Marktteilnehmern Luft verschafft werden, um Altverträge neu auszuhandeln. Allerdings haben die Aufsichtsbehörden als Ultimatum gesetzt, Neuverträge spätestens ab Ende 2021 nicht mehr an den Libor zu koppeln.

«In der Schweiz sieht es da schon besser aus»

Zum Nachfolger des alten Referenzzinssatzes und damit zum neuen Standard für den US-Markt wurde der von der New Yorker Federal Reserve verwaltete SOFR (Secured Overnight Financing Rate) gekürt. Allerdings konkurriert der SOFR mit etablierten Bezugsgrössen wie der Federal Funds Rate und der Overnight Bank Funding Rate. Immer lauter wird inzwischen – sogar auf höchster Ebene von Finanzministerin Janet Yellen – gefordert, gemeinsam und mit ganzer Kraft an einem geordneten Übergang zu arbeiten.

In der Schweiz sieht es da schon besser aus, laufen die Vorbereitungen für die Libor-Ablösung bislang doch ganz nach dem von der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma vorgegebenen Fahrplan. Schon jetzt kann sich die Schweiz damit rühmen, mit dem Saron (Swiss Average Rate Overnight) eine solide und ausreichend liquide Alternative an der Hand zu haben. So überrascht es auch nicht, dass dieser 2008 in Reaktion auf die Finanzkrise lancierte transaktionsbasierte Tagesgeldsatz zum Nachfolger des Libor erkoren und von allen Banken als neuer Referenzzinssatz angenommen wurde. Seit dem 30. Juni wird in neuen Verträgen nur noch der Saron als Bezugsgrösse verwendet.

«Die rückwirkende Berechnung zwingt die Banken, kostspielige Methoden zu entwickeln»

Doch ganz gleich, wie viel Druck die einzelnen Länder bei ihren Vorbereitungen für die Umstellung am 1. Januar machen, bleiben am Ende noch offene Fragen. Während der Libor für Laufzeiten von einem Tag bis zu einem Jahr berechnet wurde, wird bei den neuen Referenzzinssätzen ein Backward-Looking-Ansatz angewendet. Die rückwirkende Berechnung zwingt die Banken, kostspielige Methoden zu entwickeln, wie sie ihren Kunden trotzdem im Voraus Zinsauskünfte geben können.

Hinzu kommt, dass die ARR ausschliesslich «risikolose» kurzfristige Transaktionen abbilden und somit (im Gegensatz zum Libor) keine Liquiditäts- und Kontrahentenrisiken berücksichtigen. Für die Branche bedeutet dies, dass Wege gefunden werden müssen, diese Risiken in anderer Form in die Kreditkosten zu integrieren. Zu diesem Zweck wurden etliche Benchmarks (Bloomberg Short Term Bank Yield Index, American Interbank Offered Rate, IHS Markit USD Credit Inclusive Term Rate) eingeführt, wobei bislang keine besonders hervorsticht.

«In der Branche sollte man sich daher darauf einstellen, dass einiges an Anpassung nötig sein wird»

So bleibt dem Finanzsektor vorerst nichts anderes, als gleichzeitig mit mehreren nur schwer vergleichbaren Zinssätzen zu jonglieren. Die Schweiz zum Beispiel hat sich für einen ARR entschieden, der auf besicherten Transaktionen basiert, während anderswo für einen unbesicherten Zinssatz optiert wurde.

Somit ist es geradezu unmöglich vorherzusagen, welche Referenzzinssätze sich in Zukunft als Standard für internationale Finanzierungstransaktionen (Trade Finance oder syndizierte Kredite) – dem einstigen Herrschaftsgebiet des Libor – durchsetzen werden.

In der Branche sollte man sich daher darauf einstellen, dass einiges an Anpassung nötig sein wird, bis sich die neuen Standards etabliert haben. Wie bei jeder Veränderung lautet auch hier das Motto: Aus Erfahrung lernen.


Philip Adler ist Global Head of Treasury & Trading bei der in Genf ansässigen Union Bancaire Privée.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Neil Shearing, Claude Baumann, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Gérard Piasko, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Michael Bornhäusser, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Rolando Grandi, Vega Ibanez, Beat Wittmann, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Teodoro Cocca, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Fabrizio Pagani, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Fernando Fernández, Lars Jaeger, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo und Lamara von Albertini

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.62%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    19.19%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.54%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.42%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.23%
pixel