Der Stresstest des US-Wahlsystems wurde erst mit Hilfe der Gerichte bestanden. Das dezentrale Wahlsystem schützt nicht vor Machtkonzentration. Das sei auch bei der Anwendung der DLT-Systeme der Fall, schreibt Marcel Hostettler in seinem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Die Stimmen sind ausgezählt, doch der Streit um die amerikanische Präsidentschaft geht weiter. Als die Gründungsväter der USA vor mehr als 200 Jahren ein dezentralisiertes System zur Präsidentenwahl entwarfen, wollten sie die für eine Monarchie typische Machtkonzentration in der Demokratie verhindern.

Aus diesem Grund gibt es keine zentrale Aufsichtsbehörde oder einheitliche Bundesgesetzgebung zu den Wahlen, die von 13'000 lokalen Verwaltungseinheiten selbstständig durchgeführt wird. Nicht das Volk wählt den Präsidenten, sondern das Electoral College, dessen Delegierte von den Parlamenten der Bundesstaaten ernannt werden.

«Diesen von ihm selbst herbeigeführten Dissens nutzt Trump für den eigenen Machterhalt aus»

Der amtierende Präsident Donald Trump gefolgt von «seiner» republikanischen Partei fühlt sich nunmehr ermächtigt, das letzte Wort über das Wahlergebnis zu haben und spaltet so die Wählerschaft in zwei Lager. Diesen von ihm selbst herbeigeführten Dissens nutzt Trump für den eigenen Machterhalt aus, indem er sich mit Hinweis auf die dadurch geschaffene allgemeine Verunsicherung über die dezentrale Machtverteilung hinwegsetzt und bei der Ernennung der Delegierten für das Electoral College und deren Abstimmung einmischt.

Zu einem Konsens über das Wahlergebnis zu kommen, erscheint fast so unmöglich wie die Zinken einer Gabel zusammenzuführen.

Dieses Bild findet auch in der Distributed Ledger Technology (DLT) Anwendung: Was geschieht, wenn Uneinigkeit darüber herrscht, auf welche Weise das Datenregister einer DLT (zum Beispiel einer Blockchain), das in seiner Gesamtheit dezentral auf einer Vielzahl von Rechnern (Nodes) abgespeichert ist, weitergeführt wird? Bei fehlendem Konsens unter den Akteuren, kann es passieren, dass das Register sich in multiple Datenstränge aufspaltet – sprich gabelt (Fork) –, welche jeweils einer anderen Wahrheit folgen.

«Ist Dezentralität der Schlüssel um eine Machtkonzentration zu verhindern?»

Mit zunehmendem Einfluss der Akteure innerhalb der Blockchain kann auch das Risiko eines Dissens steigen und einzelne mögen versuchen mit einer dauerhaften Abspaltung das System zu ihrem Vorteil zu nutzen, das heisst Kontrolle zu erlangen. Ist Dezentralität der Schlüssel um eine Machtkonzentration sowohl in der digitalen Landschaft als auch in der Demokratie zu verhindern?

Die Frage ist, ob die Konsens-Mechanismen, mit denen die offenen Blockchains unterlegt sind, die dezentrale Machtverteilung eher erhalten oder aufheben.

Beim «Proof-of-Stake» (PoS) entscheidet die Anzahl der projekt-spezifischen Token (Stake) darüber, wer Datensätze erstellen und überprüfen darf (Validator), wofür Validators wiederum mit Token belohnt werden.

«Immer populärer wird das «delegated PoS»-Modell»

Die Wahrscheinlichkeit einer Hard Fork, ausgelöst durch die Akkumulation von Token einzelner Akteure, der daraus resultierenden Machtkonzentration und dem Versuch dadurch eine Abspaltung zu erzwingen, um noch mehr Kontrolle zu gewinnen, hängt von der Governance der Blockchain ab: Beim Off-Chain-Modell werden die Stakes ausserhalb der Blockchain (zum Beispiel in von Entwicklern oder Erst-Investoren mit hohen Tokenanteilen gehaltenen Stiftungen) zentriert.

Im Gegensatz dazu ist bei der On-Chain-Lösung die Zufallsverteilung der Anteile schon in die Blockchain einprogrammiert, so wie bei einer decentralized autonomos organization (DAO). Im ersten Fall ist es wohl vor allem die unkontrollierbare Wirkung einer hard fork, welche die Akteure diszipliniert, während im Letzteren die Autonomie der DAO vor Missbrauch seitens der Validators schützen soll.

Immer populärer wird das «delegated PoS»-Modell, bei dem Token-Verwahrer als Nutzer der Nodes, an diese die von ihnen betreuten Anteile delegieren, um Verdienst zu erwirtschaften. Der eigentliche Besitzer des Tokens kann seine Macht im DLT-System nicht selbst ausüben respektive an Entscheidungen teilnehmen. Vor allem die Beziehung zwischen dem Verwahrer und der validierenden Node ähnelt dabei der zwischen Delegierten des Electoral College und dem Wähler, der im Interesse des Anlegers respektive des Wählers handeln soll.

«Der Stresstest des US-Wahlsystems wurde erst mit Hilfe der Gerichte bestanden»

Fakt ist, dass durch das (delegated) PoS-Modell eine gewollte Konzentration von Validierungsmacht entsteht. Letztendlich sind Machtkonzentration und -missbrauch auch in einem dezentralen System unumgänglich.

Der Stresstest des US-Wahlsystems wurde erst mit Hilfe der Gerichte bestanden. Braucht nicht auch die Blockchain/DLT-Governance neben der Dezentralisierungsidee und positiven ökonomischen Anreizen die Unterstützung durch das lokale Recht, das heisst Off-Chain-Mechanismen, um sich gegen Machtmissbrauch zu schützen?


Marcel Hostettler ist Partner im Zürcher Büro der deutschen Grosskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek und berät zu gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Themen mit Schwerpunkt Digital Assets/DLT/Blockchain. Zuvor war er unter anderem als Partner für eine grössere Schweizer Kanzlei sowie in Führungspositionen für die UBS Switzerland, Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) und KPMG tätig. Er hat sein Studium an der Universität Bern abgeschlossen und ist seit 2004 als Rechtsanwalt zugelassen. Ferner hält er einen MBA der IE Business School Madrid sowie einen MA in Finance der Universität Zürich.

Co-Autorin dieses Beitrags ist Anja von Rosenstiel, in Deutschland und in Massachusetts zugelassene Rechtsanwältin und Mediatorin, lebt und arbeitet in Boston, wo sie Mandanten in grenzüberschreitenden Erbrechtsfällen berät. Als Referentin eines Bundesrichters und als Wahlbeobachterin der demokratischen Partei bei mehreren Präsidentschaftswahlen konnte sie Expertise in U.S. amerikanischem Verfassungs- und Wahlrecht sammeln.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Teodoro Cocca, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Teodoro Cocca, Neil Shearing, Claude Baumann, Guy de Blonay, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Beat Wittmann, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Didier Saint-Georges, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Gérard Piasko, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Lars Jaeger, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Michael Bornhäusser, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Michael Welti und Ebrahim Attarzadeh.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.35%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.8%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.84%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.36%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.64%
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