Werden Datenschutz und Privatsphäre in Zeiten des Coronavirus zur Makulatur? Warum Banken mit diesem vermeintlichen Fortschritt ein Eigentor schiessen könnten, beschreibt finews.ch-Redaktor Florian Wicki in seinem Beitrag auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Das Coronavirus bringt nicht nur unser Gesundheitssystem und unsere Wirtschaft an den Anschlag, es stellt nach und nach auch unsere Gesellschaft auf die Probe.

So erstaunt es nicht, dass nach ersten Medienberichten über den blossen Umstand, dass der Bund im Kampf gegen das Coronavirus Bewegungsdaten von Personen über deren Mobiltelefone sammeln und auch analysieren könnte, bereits Stimmen laut werden, die ein solches Vorgehen der Landesregierung nicht nur begrüssen, sondern sogar noch ausbauen wollen.

Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, wo solche Bestrebungen hinführen können: So hat dieser Tage das europäische Magazin «Politico» berichtet, dass die EU-Kommission pro Mitgliedsstaat einen grossen Telefonanbieter dazu verpflichten will, Standortdaten nach Brüssel zu schicken, womit ein EU-weites Datennetz über Personenbewegungen gespannt werden soll.

«Dass sich viele einen stärkeren Staat wünschen, der dem Volk stärker auf die Finger schaut, stimmt nachdenklich»

Hierzulande sind wir noch nicht bei solchen Szenarien, die geradewegs aus dem Kopf von George Orwell stammen könnten. Trotzdem hat diese Woche der Kanton Aargau erschreckenderweise beschlossen, dass die Polizei ab sofort jede öffentliche Fläche im ganzen Kanton per Videokamera überwachen darf, ohne Bewilligung der Datenschützer.

Vergangene Woche hat sich dafür der Bundesrat nach oben erwähnten Medienberichten dazu genötigt gefühlt, in einer Medienkonferenz ausdrücklich zu betonen, dass auf Bundesebene immerhin nur anonymisierte Metadaten gesammelt und ausgewertet werden können. Dies, damit der Bund überprüfen kann, ob die Schutzmassnahmen wie das Versammlungsverbot und die Social-Distancing-Bemühungen umgesetzt werden. 

Dass sich hierzulande aber dennoch viele Bürgerinnen und Bürger einen stärkeren Staat wünschen, der seinem Volk noch mehr auf die Finger schaut, stimmt trotzdem nachdenklich. Denn gerade die Schweiz ist – auch nachdem das Bankkundengeheimnis gefallen ist – immer noch international bekannt und beliebt für ihre Diskretion, ihren Datenschutz und ihre Wahrung der Privatsphäre.

«Den Schweizer Banken hingegen muss es noch gelingen, einen fürchterlich anstrengenden Spagat hinzulegen»

Und das hat nicht nur den Bankenplatz enorm gefördert. Zuletzt sah man die fortwährende Popularität der Schweiz auch im Kanton Zug, im inzwischen nur noch leicht ironisch «Crypto Valley» genannten Paradies für Krypto-Stiftungen, Tech-Startups und Blockchain-Firmen. Ein grosses Argument für viele von ihnen, in die Schweiz zu ziehen, war die demokratisch geschützte Privatsphäre, die hierzulande immer noch als enorm wichtiges Gut und damit unveräusserlich gilt.

Den Schweizer Banken hingegen muss es noch gelingen, einen fürchterlich anstrengenden Spagat hinzulegen: Denn Daten sind, wie es der Volksmund so schön sagt, wohl tatsächlich das Öl oder Gold des 21. Jahrhunderts. Mit der digitalen Transformation, der viele Banken noch ganz schön hinterher hinken, sollte eigentlich der Kunde wieder ins Zentrum der Geschäftstätigkeit gerückt werden, so dass ihm ihm alle Wünsche von den Lippen abgelesen werden können. Und das macht man heute nun mal, indem man so viele Informationen wie möglich über den Kunden sammelt, diese in Datensätze aggregiert und auswertet. 

«Bei einer UBS wird der Kunde schneller misstrauisch als etwa bei Revolut.»

Neobanken haben da die Nase vorn. Deshalb, weil sie einerseits technisch agiler, moderner und häufig auch weniger reguliert sind, aber auch, weil sie es verstehen, den Kunden auf eine hippe, junge und dynamische Art und Weise einzulullen, alle seine privaten Informationen freiwillig preiszugeben, ohne sich dabei über den Tisch gezogen zu fühlen. Dies zum Beispiel, indem man ganz nebenbei gefragt wird, ob man denn nicht sein Facebook-Konto oder das eigene Telefonbuch mit der App verknüpfen wolle. Bei einer UBS wird der Kunde da immer noch schneller misstrauisch als etwa bei Revolut.

Traditionelle Banken tun sich schwer damit. Noch. Sie sollten sich aber sowieso vor der süssen Versuchung des Geschäfts mit den Daten hüten. Denn sonst wäre ein bitterer Abgang die Folge: Banken haben über Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte von ebenjener Diskretion, jener Geheimniskrämerei und jener Verschwiegenheit profitiert, die nun droht, im Namen der Kundenfreundlichkeit ausgehöhlt zu werden.

Sie wird häufig vorgeschoben, wenn sich Unternehmen über die Privatsphäre ihrer Kundschaft hinwegsetzen wollen. «Wir brauchen diese Informationen, um Ihnen einen exakt auf Sie zugeschnittenen Service zu bieten», heisst es dann jeweils. Dabei ist die Kundschaft schon froh, wenn sie für eine einfache Kontoeröffnung nicht 37 A4-Blätter unterschreiben und sechs Wochen warten muss. Irgendwo dazwischen sollte es einen Mittelweg geben.


Florian Wicki ist Redaktor beim Schweizer Finanzportal finews.ch. Davor arbeitete er für die «Blick»-Gruppe in der Bundeshausredaktion in Bern, sowie für das US-Magazin «Politico Europe» in Brüssel und für das «Republik»-Magazin in Zürich. 


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