Nach den heftigen Ausschreitungen im vergangenen Jahr in Hongkong beeinträchtigt nun ein anderes Phänomen den Alltag in Asien. finews.asia-CEO Claude Baumann über das Leben mit der Maske, die ideale Körpertemperatur und die Zuversicht beim Händewaschen.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Wie rasch sich der Alltag doch verändert. Niemand weiss mehr so recht, ob man sich bei der Begrüssung noch die Hand geben soll. Stattdessen lächelt man bloss verlegen. Denn die Vorstellung, dass man sich ausgerechnet über eine Person, die man kennt, mit dem Coronavirus anstecken sollte, wirkt irgendwie peinlich – ist aber nicht ausgeschlossen.

Seit die Zahl der neuen Ansteckungen und Todesfälle täglich weiter ansteigt, wächst die Verunsicherung. Ich spreche nicht von Wuhan oder China, nein, sondern von Singapur, der Schweiz Asiens, wo die Behörden die Verbreitung der ansteckenden Krankheit mit gewohnter Gründlichkeit registrieren. Das ist sicherlich gut so, weil man damit weiss, wie es um die Gefahrenlage und das Ansteckungsrisiko tatsächlich steht.

«Angst kann mehr schaden als der Virus selber»

Gleichzeitig schürt es aber auch Angst. Das weiss selbst die Regierung, die den Ausnahmezustand möglichst unter Kontrolle behalten will. «Keep calm and carry on», lautet denn auch ihre Ermahnung, und vor einigen Tagen beeilte sich Premierminister Lee Hsien Loong, eine kollektive Panik gar nicht erst aufkommen zu lassen, als er erklärte: «Fear can do more harm than the virus itself.» – Angst kann mehr schaden anrichten als der Virus selber.

Das war nötig. Denn nachdem die Anzahl der Ansteckungen in Singapur erstmals diejenige in Hongkong übertroffen und die Regierung als Reaktion darauf den Alarmzustand auf die zweithöchste, orange Stufe umgestellt hatte, dauerte es nicht lange, bis in manchen Lebensmittelgeschäften die ersten Hamsterkäufe einsetzten.

«Social distancing, also auf soziale Distanz gehen, heisst das Gebot der Stunde»

Erneut mussten die Behörden reagieren und beteuerten sogleich, dass es keinerlei Engpässe geben werde, weder beim Reis, noch bei den Nudelsuppen oder beim Toilettenpapier. Gleichzeitig forderte die Finanzmarktaufsicht Singapurs die Banken auf, ihre Bancomaten mit ausreichend Bargeld zu versorgen und an den Schaltern genügend Cash bereit zu halten.

Trotzdem, vieles hat sich verändert. Die Menschen gehen weniger nach draussen – «social distancing», also auf soziale Distanz gehen, heisst das Gebot der Stunde. Wo früher ganze Massen durch die Strassen und Shopping Malls strömten, ist es jetzt zeitweise gähnend leer. Der Verkehr hat ebenfalls merklich nachgelassen.

«Die grösste Bank Singapurs evakuierte mehr als 300 Mitarbeitende aus dem Finanzbezirk»

Viele Angestellte arbeiten von zu Hause aus, seit einige Unternehmen erste Krankheitsfälle vermelden mussten; DBS, die grösste Bank Singapurs, evakuierte mehr als 300 Mitarbeitende aus dem Finanzbezirk, nachdem ein Angestellter positiv getestet worden war und sagte auch die jährliche Bilanzpressekonferenz kurzerhand ab – als Alternative gab es einen Webcast.

Zahlreiche vereinbarte Treffen kommen nicht zustande. Anstelle von physischen Meetings finden zunehmend Telefon- und Videokonferenzen statt. Die Credit Suisse annullierte ihre grosse Philanthropie-Forum im neu renovierten Raffles Hotel, und mindestens 100 Aussteller an der jährlichen, sonst so populären Singapore Air Show bleiben dem Anlass fern.

«Wie fühlen Sie sich heute? Waren Sie in den vergangenen 14 Tagen in China?»

Wer im Zentrum Singapurs ein Bürohaus aufsuchen will, muss jetzt früher kommen, weil am Eingang strenge und entsprechend zeitraubende Kontrollen stattfinden; man muss Fragen beantworten (Wie fühlen Sie sich heute? Waren Sie in den vergangenen 14 Tagen in China? Ist jemand in ihrer Familie derzeit erkrankt?), Formulare ausfüllen und sich die Körpertemperatur messen lassen. In manchen Gebäuden kriegt man nach solchen «Abklärungen» einen kleinen Kleber, den man sich ans Revers heftet – Test bestanden.

Temp 513

Klar, dass das Gewerbe leidet. Aufgrund der ausbleibenden Touristen und Geschäftsreisenden beklagt es Einbussen von bis zu 80 Prozent. Restaurants sind dankbar für jeden Gast, der sich zu ihnen «verirrt»; umso zuvorkommender wird er bedient. Das Jahr der Ratte – im chinesischen Kalender – hat denkbar schlecht begonnen.

«Soll man überhaupt eine Gesichtsmaske tragen, wenn es einem gut geht? »

Beunruhigend ist zudem, dass sich nun auch Leute anstecken, die gar nie in China waren. So hat die Krankheit längst eine krude Eigendynamik angenommen. Und doch bleibt es selbst unter Ärzten umstritten, ob eine Gesichtsmaske genügend Schutz bietet. Soll man überhaupt eine tragen, wenn es einem gut geht? Die Behörden meinen nein, Kritiker behaupten, es würde gar nicht genügend Masken geben. Soviel ist klar, die Maske ist so etwas wie eine Versicherungsprämie, die einem Gewähr bietet, dass man sich nicht leichtsinnig ansteckt – der Virus wird bekanntlich über Tröpfchen übertragen.

Da sich das Virus in kühler, trockener Umgebung am besten verbreitet, sind die Singapurer nun angehalten, ihre Klimaanlagen abzuschalten und die Fenster zu öffnen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was sie sich seit Jahrzehnten gewohnt waren, in denen sie sich an der künstlichen Kühle labten, die für sie der Inbegriff von Luxus und Wohlstand war. Unterkühlte Taxis, in die man als Mitteleuropäer immer mit etwas Unbehagen einsteigt, gibt es derzeit nicht. Aber auch da tut man gut daran, beim Einsteigen eine Maske anzuziehen.

«Die Krise als Chance sozusagen – Ying und Yang»

Die Wissenschaftler meinen, Ende Februar werde der Höhepunkt der neuen Ansteckungen erreicht sein. Dann soll eine Besserung eintreten, zumal auch nicht alle Erkrankten sterben – manche Patienten genesen wieder. Sind es nur Optimisten, die meinen, die Epidemie sei in drei bis vier Monaten ausgestanden? Back to business as usual? Bereits denken sie an die Erholung, die dann einsetzen und umso steiler verlaufen werde. Die Krise als Chance sozusagen – Ying und Yang.

«Wir haben in der Geschichte schon so viele Krisen überstanden, wir werden auch den Coronavirus meistern», sagt ein Singapurer, während er sich an einem der in grossen Gebäuden nun verfügbaren Seifenspender etwas Flüssigkeit nimmt und damit seine Hände desinfiziert. «Mehr können wir im Moment nicht tun», sagt er mit einem freundlichen Lächeln und betritt den Lift, der ihn auf die 62. Etage bringt.


Claude Baumann ist Mitgründer und CEO von finews.ch sowie von finews.asia in Singapur. Er arbeitete früher für «Die Weltwoche» und «Finanz und Wirtschaft». Er war ebenfalls Mitgründer des Schweizer Literaturverlags Nagel & Kimche und lancierte das Geschäftsreisemagazin «Arrivals». Darüber hinaus hat er mehrere Bücher über die Finanzbranche publiziert, zuletzt eine Biographie über Robert Holzach.


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