Banken sind «Gatekeeper». Sie taugen daher nur in Ausnahmefällen als digitale Plattformen, schreibt Patrick Hunger auf finews.first. Und doch wollen sie alle Plattformen sein.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Die Digitalisierung kultiviert zuweilen seltsame unternehmerische Verwirrspiele. Vergleichbar mit dem Karnevals-Tintenfisch, der als vermutlich brillantester Schauspieler im Tierreich Form- und Farbveränderungen situativ zur Abschreckung von Feinden nutzt, versuchen Banken als digitale Plattformen nicht den gefrässigen Tech-Giganten zum Opfer zu fallen.

Ungeachtet des gelegentlichen Einfallsreichtums der Banken zeigt jedoch ein nüchterner Blick auf die Eigenarten der Plattformökonomie, dass die Kopierleistungen der Banken – vergleichbar mit dem Tierreich – primär darauf ausgelegt sind, zu überleben. Wollen sich Banken strukturell emanzipieren, die Rolle des sektoriellen Opfers ablegen und ihre Zukunft aktiv sowie transformativ gestalten, reicht es nicht aus «Schauspieler in einer fremden Rolle» zu sein.

«Banken verkörpern traditionell eine Antithese zur Plattformökonomie»

Plattformen wie Google, Facebook, Amazon, Uber oder Airbnb stehen in der digitalen Welt sinnbildlich für ökonomische Dominanz. Aufbauend auf einer Kernaktivität ermöglichen Plattformen wertschaffende Interaktionen zwischen Plattformnutzern. Voraussetzung für besagte Wertschöpfung sind vorrangig positive Netzwerkeffekte auf der Grundlage einer effizienten Nachfrage-Skalierung. Bei Uber beispielsweise führt mehr Nachfrage zu mehr Fahrern, zu besserer Abdeckung und zu kürzeren Wartezeiten.

Banken dagegen verkörpern traditionell eine Antithese zur Plattformökonomie. Aufgesetzt als Produktpipeline-basierte Geschäftsmodelle werden Bankkunden in ihren Leistungsbedürfnissen von ihren Banken als «Gatekeeper» eng geführt und die Wertschöpfung anhand von Angebots-Skaleneffekten kontrolliert. Die eigentliche Wertschöpfungseffizienz steht nicht im Fokus.

Dieses «Gatekeeping» steht seit geraumer Zeit unter Druck. Fintechs haben nicht nur deutlich die Schwächen ineffizienter Wertschöpfungsketten respektive ihre Verletzlichkeit gegenüber Wettbewerbern aufgezeigt, sondern auch in Bezug auf Innovationsinhalt und -geschwindigkeit sowie Kundenerwartungen neue Massstäbe gesetzt. Weniger erfolgreich waren Fintechs hingegen bisher darin, die Wechselbereitschaft bei Bankkunden massgeblich zu erhöhen oder alternative Infrastrukturen aufzubauen.

«Nun scheint aber Bewegung in die Geschäftsmodell-Diskussion zu kommen»

Diese ausgebliebene Disruption der Finanzindustrie durch Fintechs wurde wiederum von den Banken genutzt, um «Digitalisierungs-Terrain» wett zu machen und Fintechs als «Innovations- und Technologie-Supermarkt» zu nutzen. An der für Banken kennzeichnenden eindimensionalen Rollenbeziehung zur Aussenwelt – der Kunde ist nur Kunde – hat sich jedoch kaum etwas geändert. Die Bank dominiert weiterhin, gegebenenfalls unter Einbezug von Netzwerkpartnern, ihre Produktpipeline und Wertschöpfung.

Nun scheint aber Bewegung in die Geschäftsmodell-Diskussion zu kommen. Verantwortlich sind die GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) und BAT (Baidu, Alipay, Tencent). Diese Tech-Giganten sowie allgemein erfolgreiche Plattformen (zum Beispiel Ebay, Twitter oder Snapchat) haben es geschafft, die durchgreifende Herausforderung der Plattformökonomie zu meistern: Nutzer besuchen keine Plattform ohne Mehrwert und eine Plattform hat keinen Mehrwert ohne Nutzer.

«Diese Dynamik ist es, welche die Banken alarmiert»

Das Überwinden dieses «Huhn-Ei-Problems» resultiert in «Network Gravitation», sprich positiven Netzwerkeffekten mit entsprechender (Neu-)Nutzerbindung. Um diese Anziehungskraft oder «Virtuous Cycle Economy» aufrecht zu erhalten, skalieren sich erfolgreiche Plattformen weiter über die Kernaktivität komplementierende Aktivitäten. Dazu zählen Finanzdienstleistungen, deren Erbringung durch regulatorische Initiativen wie PSD2 für Nicht-Finanzinstitute attraktiv wird. Das Ergebnis sind Distributions-Champions, die kontinuierlich (Daten-)Masse zulegen und die «Client Journey» diversifiziert orchestrieren, ja sogar dominieren, wie WeChat.

Und genau diese Dynamik von «Beyond the Core Interaction» ist es, welche die Banken alarmiert. Die Geschäftsmodell-Diskussion geht nunmehr über das im Kontext von Fintech geforderte «Network Partnering» hinaus. Vielmehr rückt die Distribution in den Vordergrund. Die oben beschriebene Nutzerbindung durch Plattformen vergrössert für Banken die Gefahr, die Kommunikations- und Distributionshoheit zu verlieren und auf reine Produktproduzenten reduziert zu werden.

«Hier zeigt sich wohl die grösste Schwäche der Banken»

Die grundsätzliche Frage ist daher, ob Banken die beschriebenen Eigenarten von Plattformen mitbringen oder erarbeiten können. Die Antwort ist wohl nein. Ihnen fehlt – mit wenigen Ausnahmen – schlicht das Potenzial, mit ihrer Kernaktivität die beschriebene Netzwerkgravitation zu erzielen und den «War for Mindshare» zu gewinnen.

Hier zeigt sich wohl die grösste Schwäche der Banken: Ihre Kernaktivität ist im Kontext der «Client Journey» heute mehrheitlich nicht ausreichend relevant und ebenso wenig sozial, sprich anteilnehmend und solidarisierend. Vielmehr werden Banken faktisch dazu gedrängt, ihre zur gesellschaftlichen Umgebung des Kunden peripheren Dienstleistungen auf der Basis von funktionalem ‹Low› oder ‹No Impact› zu erbringen (etwa mittels Nutzererlebnis-optimierten Chatbots), damit ihre Kunden sozialeren digitalen Aktivitäten nachgehen können und in der Zuckerberg’schen Logik die auf digitalen Plattformen verbrachte Zeit gut verbrachte Zeit ist.

«Was bin ich als Bank dann?»

Der Wunsch vieler Banken auch eine digitale Plattform zu sein, ist nicht nachhaltig, sondern fremdgesteuerte Schauspielerei. Den Distributions-Champions gehört die Zukunft. Sie sind auch die technologischen Trendsetter und der von Banken praktizierte «autonome» Nachvollzug von künstlicher Intelligenz (KI) ist unvermeidbar weniger intelligent. Erfolgsversprechender ist daher die Diskussion darüber, wie sich eine traditionelle Bank auf «Multi-Provider»-Plattformen erfolgreich anbinden und positionieren kann.

Und was wäre, wenn eine Bank die Daten- und Profilhoheit konsequent dem Kunden zuweisen würde, der Kunde dynamisch seine (sozialen) Transaktionsbedürfnisse festlegen könnte und die Nutzungskontrolle (insbesondere mit Dritten) vom Kunden ausginge? Würde eine solche Kunden-gesteuerte Beziehung (CMR) nicht das Thema «Open Banking» endlich greifbar machen und die von den Tech-Giganten gezielt kuratierte Logik der Anteilnahme neu definieren? Was bin ich als Bank dann?


Patrick Hunger ist CEO der Saxo Bank (Schweiz). Er stiess Anfang 2016 als Chefjurist zum Unternehmen. Im Juli jenes Jahres wurde er interimistisch zum CEO ernannt, nachdem sein Vorgänger überraschend aus seinem Amt  ausgetreten war. Im September 2016 bestätigte ihn die Konzernleitung in Kopenhagen als Schweiz-Chef. Zuvor war Hunger viele Jahre für die Credit Suisse Trust tätig gewesen, zuletzt als General Counsel und Mitglied der Geschäftsleitung. Er ist ein passionierter Radrennfahrer und Ruderer.


Bisherige Texte von: Rudi BogniOliver BergerRolf BanzSamuel GerberWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Andreas BrittMartin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten PolleitKim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard GuerdatDidier Saint-GeorgesMario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. LucatelliKatharina BartMaya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco MartinelliBeat WittmannThomas SutterTom KingWerner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini, Frédéric Papp, Claudia Kraaz, James Syme, Peter Hody, Claude Baumann, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert und Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth und Hans Ulrich Jost.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.01%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.7%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.44%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.47%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.37%
pixel