Die Credit Suisse braucht eine Neuorientierung – einen Fokus auf die Vermögensverwaltung und Digitalisierung anstatt Risiken im Investmentbanking aufzubauen. Viel Zeit bleibe nicht, die Konkurrenz lauere bereits am Horizont, schreibt Teodoro Cocca in seinem Beitrag exklusiv für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


In wenigen Tagen werden sich die Aktionäre der Credit Suisse (CS) – zumindest virtuell – zur Generalversammlung einfinden. Die Stimmung unter den Anteilseignern der Bank war schon besser.

Die Geschehnisse der vergangenen Wochen haben strategische Schwächen der Bank offenbart. Die Verluste als bedauerliche Einzelfälle hinzustellen, wäre ein fataler Fehler. Handlungsbedarf ist dringend geboten, denn der Abstand zur internationalen Konkurrenz wird durch diese Rückschritte nur noch grösser.

Die zu erwartende Strategieüberprüfung durch den neuen Verwaltungsratspräsidenten Antonio Horta-Osorio ist die vielleicht letzte Weggabelung für die Bank, die Zukunft selbstbestimmt und aus einer Position der relativen Stärke zu gestalten.

«Um ein Glas Milch zu trinken, braucht man keine ganze Kuh zu kaufen»

Die Kernfrage, die der Verwaltungsrat zu beurteilen hat, betrifft nicht weniger als die Grundlage des Geschäftsmodells und damit, wie langfristig der Aktienwert generiert werden soll. Die One-Bank-Strategie und hierbei vor allem das Zusammenspiel von Investmentbank und Asset Management mit dem Vermögensverwaltungsgeschäft muss auf den Prüfstand gestellt werden.

Dabei fasst die Aussage eines früheren CEO der Bank das zentrale strategische Dilemma zusammen: Lukas Mühlemann meinte vor mehr als 20 Jahren als CEO der CS: «Um ein Glas Milch zu trinken, braucht man keine ganze Kuh zu kaufen.»

Damals ging es um die Frage, ob man die Winterthur-Versicherung kaufen sollte, um einen Allfinanzkonzern zu bilden. Man tat es dann doch, was ein grosser strategischer Fehler war, wie sich später herausstellen sollte. Im Prinzip geht es heute um die gleiche Frage: Welche Dienstleistungen, vor allem bezogen auf das Investmentbanking, sollen intern erstellt und welche zugekauft oder vermittelt werden?

«In der Umsetzung zeigen sich aber die betriebswirtschaftlichen Herausforderungen»

Die CS steht international nicht alleine da mit Ihrem Geschäftsmodell der integrierten (grossen) Universalbank, aber deren langfristige Performance ist relativ zu den internationalen Konkurrenten als bestenfalls durchschnittlich zu bezeichnen. Doch ist das internationale Universalbankenmodell mit hoher Fertigungstiefe in den verschiedenen Geschäftseinheiten überhaupt noch zeitgemäss?

Die Frage lässt sich nicht einfach beantworten. In der Tendenz werden aber die Argumente für ein integriertes Modell mit hoher Fertigungstiefe in mehreren Geschäftsbereichen schwächer. Der Hauptreiber dafür ist nebst der regulatorischen Entwicklung im Nachgang der Finanzkrise, welche eine stärkere Trennung und Selbständigkeit der Geschäftseinheiten forderte und damit Synergien erschwerte, vor allem die technologische Entwicklung.

Die Grundidee der integrierten Bank-Strategie, bei der verschiedene Dienstleistungen und Produkte für Kunden durch verschiedene Geschäftseinheiten der Bank intern erstellt werden, verführt im ersten Moment durch das Versprechen einer Rundum-Betreuung der Kunden aus einer Hand. In der Umsetzung zeigen sich aber die betriebswirtschaftlichen Herausforderungen.

«Das Modell mag auf dem Papier seinen Charme haben»

In vielen Bereichen die kritische Grösse sowie das beste Know-how aufzuweisen, ist ambitioniert. Synergien zu schöpfen, um tatsächlichen Mehrwert für die Aktionäre zu schaffen ebenso, vor allem wenn dies auch noch international über eine Vielzahl von Standorten geschehen soll.

Das Modell mag auf dem Papier seinen Charme haben, generiert aber vor allem ausserhalb des Heimmarktes sehr hohe Kosten und ist – wie die jüngsten Ereignisse zeigen – schwer zu führen.

Auch das Argument der Glättung der Ertragsströme durch die breitere Diversifikation hat sich in der Umsetzung nicht bestätigt. Eine Investment-Banking-Einheit glättet nicht die Erträge des Gesamtkonzerns, sondern kann als «High-Beta-Geschäft» definiert werden, das in beide Marktrichtungen zu extremeren Ergebnissen führt.

«Dass es Kunden gibt, die Investmentbanking-Dienstleistungen benötigen, steht ausser Frage»

Die Glättung unter den Geschäftseinheiten erfolgt nur einseitig: Bei aversen Kapitalmarktentwicklungen halten die relativ stabilen Erträge des Privatkundengeschäftes die Schwankungen auf die Bottom-Line des Konzerns in Grenzen. Eher rar sind Situationen, in denen die Erträge der Investmentbank einen Ertragseinbruch des Vermögensverwaltungsgeschäftes ausgleichen.

Dass es Kunden gibt, welche Investmentbanking-Dienstleistungen benötigen, steht ausser Frage. Der Punkt ist nur, ob man diese Dienstleistungen selber erbringen muss oder nicht einfach besser zukaufen oder vermitteln sollte.

Die Antwort aus industrieökonomischer Sicht liefert der Nobelpreisträger Roland Coase mit seiner berühmten Transaktionskostentheorie. Die Kosten der Erstellung einer Dienstleistung durch ein Unternehmen in Relation zu den Kosten der gleichen Leistungserstellung über Märkte, Plattformen oder Netzwerke entscheiden darüber, welches die optimale Organisationstruktur ist. Grundsätzlich geht es dabei aber immer um die Dimension der Transaktionskosten (Informations-, Such-, Verhandlungskosten, etc.).

«Die Standardisierung von Bankschnittstellen verschiebt die Grenzen der optimalen Organisationsstruktur»

Ist es aus Transaktionskostensicht vorteilhafter zum Beispiel eine Zinsabsicherung für einen Kunden intern durch die eigene Investmentbank durchführen zu lassen, oder wäre es kostengünstiger, das beste Angebot von Dritten am Markt zu suchen und dann einzukaufen?

Die Digitalisierung von Wertschöpfungsprozessen, die Etablierung neuer digitaler Marktplätze und die zunehmende Standardisierung von Bankschnittstellen verschiebt dabei die Grenzen der optimalen Organisationsstruktur in Richtung flexibler digitaler Netzwerke und Marktplätze und weg von der Fertigung durch hierarchische Organisationen.

Sich attraktive Konditionen für eine Zinsabsicherung von Drittbanken anbieten zu lassen, geht heute durch digitale Marktplätze in Sekundenschnelle, dafür benötigt man tendenziell keine eigene Investmentbank. Das heisst nicht, dass eine «One Bank»-Strategie per se keinen Sinn macht, sondern dass die Messlatte für die Überlegenheit des «One Bank»-Modells zunehmend höher gesetzt ist. Denn es wird zunehmend einfacher, sich fremde Dienstleistungen am Markt beim bestbietendem Unternehmen einzukaufen und dabei nicht die gesamte Infrastruktur einer Investmentbank inklusive den Kapitalanforderungen und Risiken auf die Bilanz zu nehmen.

«In Tat und Wahrheit ist die Credit Suisse wohl nie eine echte ‹One Bank› geworden»

Weiter gedacht würde die eigene Investmentbank nur dann eine überlegene Lösung für die eigenen Kunden darstellen, wenn man entweder in einer bestimmten Dienstleistung «Best-in-class» ist oder zumindest für den Kunden Synergien zu anderen Produktbündel erzielen kann. Der anhand von Shareholdervalue bisher kaum erbrachte Nachweis der Überlegenheit des integrierten Grossbankenmodells (Investmentbank plus Vermögensverwaltung) lässt es wenig glaubwürdig erscheinen, dass dies nun plötzlich funktionieren sollte.

In Tat und Wahrheit ist die Credit Suisse wohl nie eine echte «One Bank» geworden, sondern immer historisch, kulturell und faktisch ein Konstrukt bestehend aus zwei Banken geblieben. Auf der einen Seite das Schweizer Geschäft und das daraus erwachsene internationale Vermögensverwaltungsgeschäft und auf der anderen Seite die angelsächsisch geprägte Investment Bank.

Das Asiengeschäft und das Asset Management sind als heterogener zu bezeichnen und je nach Sub-Geschäftseinheit einer der beiden Seiten zuzuordnen. Die Synergievorteile konnten nie in einem Ausmass geschöpft werden, so dass auf dem für das Investmentbanking zusätzlich notwendige Eigenkapital eine angemessene risikoadjustierte Rendite verdient wurde.

«Die Konzentration auf die eigenen Stärken ist in schwierigen Zeiten ratsam»

Für die CS ist keine einfache Situation entstanden. Die durch Tidjane Thiam initiierte neue strategische Ausrichtung hat einerseits bedeutende Verluste eingefahren, andererseits wären ohne diese Verluste die Geschäftszahlen sehr gut gewesen.

Das liefert weiterhin Argumente für viele mögliche Wege, auch für ein Weiterführen der bestehenden Strategie mit kleineren Anpassungen. Letzterer Weg wäre allerdings eine verpasste (letzte?) Chance. Die Konzentration auf die eigenen Stärken ist in schwierigen Zeiten ratsam.

Ein erster Eckpfeiler einer neuen strategischen Ausrichtung der im Ausland tätigen Einheiten könnte darin bestehen, eine hohe Fertigungstiefe nur in der internationalen Vermögensverwaltung aufrechtzuerhalten. Das ist die Kernkompetenz der CS, das beherrscht sie.

«Am Horizont positioniert sich die Konkurrenz im zu erwartenden Konsolidierungswettbewerb»

Dazu braucht es viel weniger Kapital und aus Aktionärssicht ist das Geschäft mindestens so rentabel wie die Gesamtgruppe heute, bei allerdings viel geringeren Risiken. Ein zweiter ergänzender Eckpfeiler könnte eine digitale Plattform für eine moderne Integration von Dienstleistungen des Investmentbanking und Asset Management von Dritten sein.

Das umfassende Angebot einer «One Bank» wird virtuell realisiert. Das bindet deutlich weniger Kapital und reduziert Interessenkonflikte massiv. Der Aktienkurs müsste davon deutlich profitieren können.

Zeit bleibt nicht viel. Am Horizont positioniert sich die Konkurrenz im zu erwartenden Konsolidierungswettbewerb. Mit der Ernennung von Andrea Orcel als CEO des italienischen Finanzkonzerns Unicredit könnte bald ein aggressiver Player am europäischen Bankenmarkt in Erscheinung treten. Da Orcel, als ehemaliger Chef der UBS-Investmentbanking, das Swiss Banking sehr gut kennt, wird er auch ein Auge auf die CS werfen. Und er wird nicht der Einzige sein.


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig. Von 2011 bis 2020 war er Mitglied des Verwaltungsrats der VP Bank in Vaduz und leitete den Strategie- und Digitalisierungsausschuss. Er schreibt als Kolumnist regelmässig für finews.ch.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Teodoro Cocca, Neil Shearing, Claude Baumann, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Gérard Piasko, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Michael Welti, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Michael Bornhäusser, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Lars Jaeger, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Rolando Grandi, Vega Ibanez, Beat Wittmann, Carina Schaurte, David Folkerts-Landau und Andreas Ita.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.4%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    19.2%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.95%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.24%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.21%
pixel